Walti Christian

Bist du heute schon gestorben?

Normalerweise ist es an einer medizinischen Fachperson festzustellen, wann eine Person definitiv gestorben ist. Es gibt natürlich auch Grenzfälle, zum Beispiel wenn jemand für «Hirntot» erklärt wird, aber andere Körperfunktionen noch lebendig sind. So versuchen wir heute der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Tod in den meisten Fällen nicht augenblicklich eintritt, sondern eher ein Prozess ist, wenn auch unumkehrbar.

In verschiedenen spirituellen Traditionen, sowohl im Buddhismus und Hinduismus als auch im Judentum, Christentum und dem Islam, gibt es schon lange die Vorstellung, dass der Tod nicht etwas Augenblickliches ist, sondern ein Prozess. Dabei geht es weniger um Lebensfunktionen wie Herzschlag, Atem oder Bewusstsein, sondern um Verhältnisse und Beziehungen. Es geht darum, wie wir uns auf Dinge und Personen in der Welt ausrichten und von ihnen abhängen. So lässt sich die Frage stellen: Für wen oder für was bist du schon gestorben?

Es ist erstaunlich, dass wir vom eigenen Absterben so wenig halten, obwohl es uns auch mitten im Leben oder sogar als vollkommen gesunde oder junge Menschen guttun könnte. Schliesslich sind viele unserer Verhaltensweisen, einige unserer Lebensinhalte und Ziele und auch einige Beziehungen, die wir führen, alles andere als hilfreich für unser Leben. Und dem Überleben der Menschheit oder der Welt dienen viele Dinge, die uns so eigen sind, auch nicht wirklich. Die fallenden Blätter im Herbst verhelfen uns nicht nur zu trüben Gedanken, sondern leiten uns an, einige Dinge unumkehrbar zurückzulassen.

Christian Walti, ref. Pfarrer Friedenskirche, Bern

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