Kolumne Olivier Schopfer

Das, was man nicht sieht

Gott, wenn er überhaupt existiert, muss grösser sein als alles, was man sich vorstellen kann. Deswegen heisst es ist in der Bibel: Wer Gott sieht, muss sterben. Und auch, dass man Gott weder darstellen kann noch darf. Aber was passiert, wenn man nicht Gott darstellt, sondern das, was man von ihm versteht? Genau das hat ein Bildhauer im Mittelalter versucht: uns seine Vorstellung des Unvorstellbaren zu zeigen. Schauen Sie mal dieses sehr ungewöhnliche Bild an! Dem Künstler wurde erklärt, dass man Gott nur durch seinen Sohn Jesus Christus versteht, und zwar Jesus am Kreuz. Deswegen steht in der Skulptur der Gekreuzigte im Vordergrund. Er hat sichtbar gelitten, er ist tot. Das ist die sichtbare Ebene: ein geopfertes Leben, ein Unschuldiger, dem man das Leben geraubt hat. Ein Schicksal, das alles Ungerechte im Leben der Menschen umfasst. Aber hinter dieser sichtbaren Ebene befindet sich eben das, was man nur mit dem Glauben sehen kann: dass Gott seinen Sohn gar nicht verlassen hat, sondern dass er ihn zärtlich hält und seine Arme so beugt, dass sie uns segnen. Und zwischen diesem toten Sohn, dessen Körper wieder lebendig aussieht, und diesem liebevollen Vater befindet sich eine Taube, Symbol für den unsichtbaren Heiligen Geist, den Atem des Lebens. Ein mutiger Versuch, uns eine hoffnungstragende Botschaft zu geben: die Liebe Gottes, als Vater, Sohn und Heiliger Geist, besiegt den Tod und öffnet uns die Tore des Lebens. Naiv? Vielleicht doch nicht!

Illu Zu Schopfer Low

Darstellung der Trinität,
Stadtkirche St. Jakob Rothenburg ob der Tauber
Foto: Olivier Schopfer

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