Schreier Isabelle

Geborgtes

Schon lange liegt das blaue Buch in meinem Büro. Mal unter einem Stapel Unterlagen versteckt, mal in Sichtweite im Büchergestell. Oft blättere ich darin und suche nach Inspiration. Ich werde fündig: die Gedanken und kleinen Gedichte sind genau richtig in diesem Moment. Dann verschwindet das Buch wieder für ein paar Wochen in einer Ecke. Bis mir plötzlich in den Sinn kommt, dass ich es schon längst zurückgeben sollte. Es ist eine aufmerksame, persönliche Leihgabe.

Da kommen mir all die Dinge in den Sinn, die ich selbst anderen Menschen ausgeliehen habe. Einige kommen postwendend zurück, andere sind auf längerer Reise … Mancher Gegenstand wird vom geborgten zum geschenkten.

Materielles kann häufig ersetzt werden. Dasselbe Buch wäre wohl rasch nachbestellt und dann ebenso Teil meiner kleinen Bibliothek. Dennoch hat etwas Geborgtes einen ganz eigenen Charakter. Eine Leihgabe erinnert mich an die Person, die mir den Gegenstand anvertraut hat. Einen ihrer wertvollen Gegenstände, den ich nun auf Zeit beheimaten darf.

So borgt mir die Leihgeberin auch etwas von sich: ein Stück ihrer wertvollen Zeit und ihres Vertrauens. Borgen ist ein freundschaftlicher Akt. Und als ich schliesslich das Buch seinem Besitzer zurückgeben kann, sage ich nicht nur «herzlichen Dank» für das Buch, sondern vielmehr für die geschenkte Zeit und das wohlwollende Vertrauen.

Isabelle Schreier, Projektleiterin offene kirche bern

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