Wir besuchen eine Gruppe Flüchtende auf der Balkanroute, die bei einem Bach ausserhalb der Stadt Bihac in Bosnien ein kleines illegales Zeltcamp errichtet hat. Hassan aus Afghanistan kommt mit uns in gebrochenem Englisch ins Gespräch. Sie hätten den Grenzübertritt nach Kroatien schon mehr als dreissig Mal probiert, meint er. Einer aus seiner Gruppe sei beim Überqueren eines Flusses in Grenznähe ertrunken. Zeit für eine Bergung blieb nicht. Der Rest der Gruppe wurde kurz darauf von einer Grenzwache aufgegriffen, zurückgetrieben und bereitet jetzt hier den nächsten Versuch vor. Nicht nur ein Leben in Sicherheit, in beheizten Behausungen, mit Essen und medizinischer Versorgung, die über das Allernötigste hinausgeht, bleibt den meisten Flüchtenden an Europas Aussengrenzen verwehrt. Auch Zeit und Energie fürs Abschiednehmen von denen, die spurlos verschwunden oder wie in Hassans Gruppe gestorben sind, bleibt nicht. Der Vergleich mit einer so unmenschlichen Realität kann unsere ganz gewöhnlichen Abschiede am Grab mit Trauerfeier, Lebenslauf und anschliessendem Imbiss nicht leichter machen. Aber vielleicht schärft er unser Bewusstsein dafür, wie privilegiert wir auch im Abschiednehmen sind. Wir haben die Ressourcen dafür, der Trauer und unseren Gefühlen Raum zu geben. Weshalb dann möchten so wenige von uns eine Trauerfeier und so viele einen möglichst kurzen Abschied am Grab? Weshalb nicht umgekehrt: ausgiebig feiern, trauern, Zeit lassen – und dabei auch an die vielen Menschen denken, für deren Abschied niemand Zeit oder Kraft hatte?