Kolumne Flury André Opt

KOLUMNE: «Mir ist die Welt zusammengebrochen»

Die Begegnung mit dem gut 60-jährigen Mann ist mir unvergesslich. Ich besuchte ihn als Seelsorger und fragte, wie es ihm gehe. Er sagte: «Mir ist die Welt zusammengebrochen.» – Schon mehrfach hatte er diese Erfahrung in seinem Leben gemacht: Erstmals, als er und seine Frau ihr einziges Kind mit neun Jahren verloren. Eine Zeit der totalen Verzweifung und Sinnlosigkeit. Nur nach und nach konnten sie sich einen Weg zurück ins Leben bahnen: Sie beteten oft, taten anderen Menschen viel Gutes und sie hatten Freunde, die ihnen treu zur Seite standen.
Und dann starb seine Frau noch nicht 50-jährig. Und wieder brach seine Welt zusammen. Unerträglich die Einsamkeit und Leere. Als er die Hoffnung, einmal wieder – wenigstens ein bisschen – glücklich zu werden, längst aufgegeben hatte, durfte er eine neue Lebensgefährtin kennenlernen. Die Spaziergänge im Herbstwald und das stille gegenseitige Verstehen liessen in ihm die Hoffnung aufkeimen, in den letzten Lebensjahren wieder ein wenig Freude zu erfahren. Und nun, nach einem Jahr Partnerschaft, war er selber schwer erkrankt und wusste nicht, ob er mit seiner Partnerin noch einen Spaziergang erleben würde.
Als ich ihn nach dem langen Gespräch fragte, ob er etwas hätte, das ihm Kraft und Halt gebe, antwortete er ohne zu zögern: «Ja, das von den guten Mächten.» Und so beteten wir mit den Worten von Dietrich Bonhoeffer, dieses lutherischen Pfarrers, der wegen seines Widerstands gegen die Nazis im Gefängnis war. Dort schrieb er kurz vor seiner Ermordung das Gebet:
«Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.»
Daraufhin sagte der Mann: «Ist es nicht unglaublich, dass ich jetzt, in meiner ganzen Ausweglosigkeit, Gottes tröstende Gegenwart und neue Kraft spüre?»

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