Die Familie meines Vaters lebte am Bodensee. Das Geld war in den 1930er-Jahren knapp. Fleisch kam selten auf den Teller, allenfalls mal ein falsches Kaninchen. Grossvater miaute während des Essens und alle wussten Bescheid. Oder der Braten stammte von einem Hund, der wie die Katzen in der Waschküche geschlachtet wurde, vermittelt vom Tierarzt, weil der Hund eingeschläfert werden musste. Für das aus dem Fell gekratzte Hundefett bezahlte der Apotheker noch ein paar Batzen – er produzierte eine Salbe daraus. So lernten in der Zwischenkriegszeit viele Arbeiterfamilien Armut oder gar Hunger kennen. Vielleicht haben solch tiefsitzende familiäre Erinnerungen meine Einstellung zu Haustieren geprägt. Ich fand es in der Kindheit zwar amüsant, auch mal mit unserer ersten Katze Sylvie im Garten zu spielen. Aber bis weit ins Erwachsenenalter hinein fand ich es übertrieben, wie Haustiere vermenschlicht wurden. Diese Haltung hat sich bei mir in den letzten Jahren allmählich verändert. Denn da war Heidi, eine kleine, recht kratzbürstige Kätzin. Sie blieb am liebsten daheim, suhlte sich auf dem Kiesplatz in der Sonne und packte meine Hand, wenn sie gestreichelt werden wollte. Sie schlich nachts ins Bett, um an einen Hals zu kuscheln. Heidi war Teil des Alltags. Vor zwei Jahren ist sie gestorben. Doch bis heute weiche ich ihr plötzlich aus, oder sehe sie vor dem Fenster um Einlass bitten. Nach schwerer Krankheit mussten wir sie damals einschläfern. Noch immer spüre ich ihr Köpfchen in meiner Hand, als sie allmählich ihren letzten Kampf verlor. So weiss ich heute: Nicht nur Mitmenschen stehen in unseren Erinnerungen immer wieder auf. Auch andere Lebewesen sind Gottes Geschöpfe, die für weiter mit uns verbunden bleiben.
