Eine intensive Arbeitswoche liegt hinter mir. Ich bin bereits am «Runterfahren» und freue mich auf das freie Wochenende. Das Telefon klingelt – eine Patientin, die ich schon länger begleite und seit einiger Zeit hospitalisiert ist, hat erneut eine Diagnose erhalten. Sie ist aufgelöst und verzweifelt. Ich mache mich auf den Weg. Später sitze ich mit den Angehörigen am Bett der Patientin. Sie berichten vom Arztgespräch. Ein «Hammer», ein «Chlapf a Grind», sagt die Patientin. Die Prognose ist wenig hoffnungsvoll. Schweigen, Weinen, tröstende Worte der umstehenden Menschen. Gern möchte ich ebenfalls etwas Aufmunterndes, Hoffnungsvolles sagen. Das scheint mir im Moment jedoch als zynisch, und ich unterlasse es. Mit dieser Diagnose gibt es kein Entkommen. Die Fakten sind klar. Das Ende kommt unausweichlich. Dieser Frau läuft die Zeit davon. Keine Zeit mehr für Reisen, keine Zeit mehr fürs nächste Weihnachtsfest. Es bleibt nicht mal mehr Zeit, um nochmals nach Hause zu fahren, für einen letzten Abschied von der gewohnten Umgebung. Mir kommt eine Postkarte in den Sinn, welche mir eine frisch pensionierte Kollegin zugeschickt hat: «Langsam vergeht der Monat. Jeder Tag einzeln.» Ein krasser Gegensatz, wie Zeit im eigenen Alltag erlebt wird, denke ich, und schweige. Im Patientinnenzimmer wird darüber gesprochen, wie die verbleibende Zeit noch genutzt werden könnte. Niemand weiss, wie viel Zeit der Frau tatsächlich noch bleiben wird. Auf dem Nachhauseweg ins arbeitsfreie Wochenende kreisen meine Gedanken um das Erlebte. Jeder Tag einzeln – ist es das, was zählt? Ich denke an eigene Wünsche, Pläne, aber auch Versäumnisse. Ich kenne keine abschliessenden Antworten. Die Patientin verstirbt am folgenden Sonntag. Ich erfahre das an meinem nächsten Arbeitstag, an dem die Sonne scheint, wie sie an meinem freien Sonntag geschienen hat.