«Loslassen, immer wieder loslassen.» Dieser Spruch, gemalt auf ein Blechschild, wurde in den gemeinsamen Sitzungen von meiner Arbeitspartnerin und mir zum Gag. Was uns als geseufzter oder gelachter Spruch in Arbeit und Familienleben begleitete, wurde bald zu einer Art Lebensmotto. Schmerzhaftes, Trennung, unbenutzte Dinge, beschämende Momente, verpasste Chancen, belastende Verhaltensmuster, Kinder…loslassen, einfach loslassen? Einfach?
Was die japanische Aufräumberaterin Marie Kondo in ihren Bestsellern beschreibt, ist in: den Besitz sortieren, Raum schaffen für das Nötige. Sie fordert uns auf, bei jedem Gegenstand in uns hineinzuhören und zu fragen, ob er uns Freude bereitet. Wenn nicht – weg damit! Bei Dingen ist das einfacher als bei Lebensereignissen oder Menschen. Ich bin mir sehr bewusst, was passiert, wenn ich etwas in die Brocki oder in die Abfuhr bringe. Das Ding ist dann weg. Was geschieht mit belastendenden Erinnerungen, mit schwierigen zwischenmenschlichen Situationen oder Verhaltensmustern oder Überzeugungen über mich, die anderen und die Welt, die mein Licht unter den Scheffel stellen? Wie gehe ich damit um?
Ich kann versuchen, die Dinge los- und die Menschen ziehen zu lassen. Loslassen ist die Akzeptanz dessen, was ist: Dass die Kinder grösser, erwachsen und selbstständig werden, dass das Leben irgendwann zu Ende geht, dass eine Freundschaft nicht immer ein Leben lang präsent ist, dass «gut» ausreichend ist und nicht «perfekt» der Standard sein muss, dass ich Hilfe annehmen kann, dass es in Ordnung ist, wenn ich mich verändere, dass ein kleines Loslassen ein guter Anfang ist und ich üben darf.
Ich kann kleine Schritte gehen, alleine oder in Begleitung, im Hier und Jetzt das Schöne suchen und das nicht Wohltuende loslassen. Immer wieder.
