Schweigen
Ich kenne den Mann in diesem Patientenzimmer nicht, öffne die Tür und bin erleichtert. Der Patient liegt in einem Doppelzimmer, allein im Raum – wir können uns ungestört unterhalten. Ich hole mir einen Stuhl ans Bett. Der Patient schaut mich längere Zeit an und sagt kein Wort. Als würden wir uns gegenseitig mustern. Nach kurzer Zeit stelle ich Fragen, er reagiert mit Gegenfragen – bis er Vertrauen findet und zu erzählen beginnt.
Seit Wochen liege er auf dem Rücken im Bett, starre die Zimmerdecke an und analysiere die Deckenmuster. Seine Lähmungserscheinungen nähmen eher zu. Ohne Hilfe der Physiotherapeutin könne er nicht mehr aufstehen, geschweige denn gehen. Er als Bewegungsmensch und Berggänger …
Ich höre zu und bin betroffen. Was kann ich sagen, um seinen Schmerz zu lindern oder Zuversicht zu spenden? Ich will nicht einfach Worthülsen erwidern, deshalb schweige ich. Ich schweige und höre zu.
Nach mehr als einer Stunde wird der Patient vom Erzählen müde. Im Spitalkorridor klingen seine Worte in mir noch lange nach. Hilflos frage ich mich, was ich als Seelsorger diesem Menschen in Not hätte bieten können.
Einige Tage später richtet mir eine Pflegende herzliche Grüsse aus. Der Patient sei verlegt worden. Er habe gebeten, mir auszurichten, wie gut das Gespräch getan habe und wie dankbar er dafür sei! Einmal mehr wird mir bewusst, dass da zu sein und zuzuhören manchmal mehr wert sein kann.
Patrick Schafer, kath. Spitalseelsorger