Bern hat mit dem Stellwerk eine neue Disco. Endlich, denken wohl viele. Jacqueline Brügger und Christoph Ris von der Bar- und Clubkommission erklären, wieso Berns Ausgangsszene träge ist und weshalb das Nachtleben trotzdem viel zu bieten hat.
Wie geht es der Berner Clubszene generell?
Jacqueline Brügger: Grundsätzlich gut, so ist mein Eindruck. Man hat sich vom Corona-Schock erholt.
Christoph Ris: Ich sehe das ähnlich. Die Etablierten, die nach der Pandemie ihr Programm aufrechterhalten konnten, müssen sich kaum Sorgen machen. Insgesamt hat sich die Zahl der Locations in den letzten Jahren aber eindeutig dezimiert.
Brügger: Vor allem findet in Bern kein Clubsterben wie beispielsweise in Zürich statt – dort «räblets» gerade ziemlich.
Die Frage zielte auch darauf ab, dass in Bern, so heisst es oft, nichts laufe.
Ris: Verglichen mit früher stimmt das schon ein bisschen. Teilweise sind ganze Strassen und Quartiere ausgangstechnisch weggebrochen.
Brügger: Ich sehe es positiver. Dafür, dass wir eine eher kleine Stadt sind, gibt es trotzdem eine relativ grosse Auswahl, verglichen zum Beispiel mit deutschen Städten ähnlicher Grösse. Ich denke, andere wären neidisch auf uns.
Ris: Es ist konzentrierter geworden. In der Matte steht kaum noch etwas Clubmässiges.
Woran liegt das? Pilgern Jüngere am Sonntagmorgen lieber ins Fitnesscenter als nachts durchzufeiern?
Ris: Diese Generation ist schon wieder durch. Die noch Jüngeren neigen wieder viel eher zu exzessivem Ausgangsverhalten.
Brügger: Ich glaube eher, dass es am Business an sich liegt. Im Sinne von: Wer will sich das denn antun? Die Gastronomie ist ein Knochenjob.
Ris: Vergessen wir das Thema Anwohnerkonflikte nicht. Die Matte ist genau deswegen zu, die Altstadt ebenso. Das Sous Sol wurde wegen einer Lärmklage geschlossen, die Rathausgasse hat hart zu kämpfen.
Ist die Rathausgasse nach wie vor ein Brennpunkt?
Ris: Wir haben es dort mit einem klassischen Nutzungskonflikt zu tun. Wie überall. Es wurde und wird viel gebaut, neuere Wohnungen entstanden, die eine andere, gehobenere Klientel anlockten.
Brügger: Hinzu kommt die Sache mit den Bewilligungen: Manche Beizen haben jahrelang rausgestuhlt, was meist geduldet wurde, rechtlich aber eine Grauzone bedeutete. Nun geht man hier konsequenter zu Werke. Eigentlich nie zum Vorteil der Beizen. Es ist schliesslich ein ziemlicher Aufwand, sämtliche bürokratischen Auflagen zu erfüllen. Früher wurde einfach gemacht.
Ris: Das Märchen, einen Club zu eröffnen, der dann sogar noch Geld abwirft – diese Ära ist definitiv vorbei.
2022 sagten Sie in einem «BZ»-Interview, die Aarbergergasse sei «eigentlich tot».
Ris: Das Konzept des Berner Nachtlebens gründet quasi auf der Ausgehmeile Aarbergergasse. Und heute? Der Propeller ist weg, das Bonsoir ebenso, das Kino ist Geschichte …
Brügger: Als ich jünger war, stolperten wir in der Aarbergergasse von einer Location in die nächste. Immerhin existiert der Kebab-Laden noch (lacht).
Der letzte grosse Nachtclub-Wurf war das Kapitel im Bollwerk 2011 – das ist zwölf Jahre her. Nicht gerade eine dynamische Entwicklung.
Brügger: Es stehen schlicht keine Räumlichkeiten für neue Locations zur Verfügung. Wenn, müsste das irgendwo in der Agglo passieren. Gleichzeitig schätze ich Berner:innen weniger so ein, dass sie für eine Party in die Aussenquartiere fahren wollen.
Ris: In Bern fehlen eindeutig Industriebrachen, wo solche Events über die Bühne gehen könnten. Bleibt die Innenstadt, und dort herrschen die angesprochenen Nutzungskonflikte.
Brügger: Mir käme auf Anhieb kein Ort in den Sinn, von dem ich sagen würde: Hier müsste sofort ein Club rein!
Namen von Lokalitäten, die in den letzten Jahren geschlossen wurden, gibt es etliche. Mad Wallstreet, Rondel, Liquid, Le Club, Wankdorf Club, Guayas, Prestige, um nur einige zu nennen.
Ris: Lustigerweise gingen einige Wechsel, die Sie nun aufgezählt haben, innerhalb der gleichen Lokalität vonstatten. Sprich: Die Clubszene weitete sich nicht aus.
Brügger: Es dürfte ziemlich schwierig sein, dort eine Disco aufzuziehen, wo vorher eine dichtmachen musste. Im ehemaligen Wasserwerk zum Beispiel sind jetzt Wohnungen drin. Dort noch einmal ein Nachtlokal zu eröffnen …?
Ris: Nein, unmöglich! Wäre da, wo sich jetzt das Stellwerk befindet, anstelle eines Clubs eine Zeitlang ein Fitnesscenter drin gewesen, würden dort nun sicher keine Beats wummern.
Unweit von hier, wo wir gerade unser Interview führen, befanden sich bis 2010 die Räblus und die Pery Bar, die nach einem Brand geschlossen und nie adäquat ersetzt wurden. Ein Ort, der Jüngere, vor allem aber ein reiferes Publikum anlockte. Wo können Menschen über 40 heute noch feiern?
Brügger: Im ISC organisieren wir gewisse Partys, bei denen man als Ü40er nicht die älteste Person im Raum ist. Auch das Hübeli lädt explizit zu Events für Leute über 30.
Ris: Im Graffiti finden übrigens ebenfalls solche Anlässe statt. Ausgerechnet in einem Jugendkulturzentrum also (lacht).
Was in Bern auch fehlt: Mehr Lokalitäten wie die Turnhalle, wo jeder hin kann – für ein Bier, oder später auch um zu feiern. Und das oftmals erst noch, ohne dafür Eintritt zu bezahlen.
Ris: Das Ende der Turnhalle (per Anfang 2024, Anm. d. Red.) wird eine böse Lücke hinterlassen, auf jeden Fall.
Brügger: Der Eintritt bedeutet für Clubbetreibende halt fast immer die finanzielle Existenzsicherung. Ich meine, die Zahlen sind teilweise horrend: Mieten im tiefen vierstelligen Bereich mitten im Zentrum sind schlicht eine Illusion.
Erschweren die Öffnungszeiten das Leben zusätzlich? Die meisten Discos in Bern schliessen um 3.30 Uhr morgens. Zürich oder Basel feiern durch. Von Frankreich oder Deutschland ganz zu schweigen.
Brügger: Das hat mit dem Perimeter zu tun. In Wohnzonen müssen Clubs früher schliessen.
Ris: Bis auf jene, die über eine generelle Überzeitbewilligung verfügen, wie etwa die Cuba Bar oder das Kapitel. Dieses ist übrigens der einzige Club, der auf Ihre obige Beschreibung im engeren Sinne zutrifft. After Hour inklusive.
Brügger: Das ISC hat am Wochenende ebenfalls bis um 5 oder 6 Uhr offen. Generell hängen die Öffnungszeiten mit der Nachfrage zusammen. Ich habe selten den Eindruck, morgens um 3.30 Uhr ständig Leute im grossen Stil nach draussen begleiten zu müssen. Eine Verlängerung bis morgens um 7 Uhr würde sich, so denke ich, kaum lohnen.
Ris: Bei den Jungen ist das Nachhause-Gehen zudem eng mit dem Moonliner-Fahrplan verbunden.
Zum Schluss eine These: Bars sind die neuen Clubs. «Ausgang» bedeutet heute oft, irgendwo etwas zu trinken. Und das wars. Die florierenden Pop-up-Bars sind das eindeutigste Zeichen dafür.
Ris: Sie sind eine Art Marktlücke, die sich etabliert hat, das stimmt. Lustigerweise haben mir genau solche Einrichtungen gefehlt, als ich noch jung und häufig unterwegs war.
Brügger: Mir auch. Orte, wo man draussen etwas trinken konnte, ohne zu essen oder ohne Eintritt – damals der Propeller, das Souli oder die Junkere.
Ris: Ich finde die These spannend. Und doch brummen Clubs nach wie vor: Das sehe ich, wenn wir Partyreihen im «Bermudadreieck», also Dachstock, ISC und Kapitel, organisieren.
Yves Schott
PERSÖNLICH
Christoph Ris, geboren 1986, wuchs in Schüpfen auf. Er arbeitete als Informatiker und veranstaltete unter anderem Konzerte im Dachstock. Ris ist in der Geschäftsleitung von Taktvoll Sicherheitskultur und ist mitverantwortlich für die Zwischennutzung auf der Schützenmatte.
Jacqueline Brügger, Jahrgang 1988, wuchs im Simmental auf. Sie studierte Grafik in Basel und begann zur gleichen Zeit, beim ISC zu arbeiten. Brügger ist heute User-Experience-Designerin bei Liip und seit sieben Jahren Präsidentin des ISC.