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Angedacht war eigentlich etwas ganz anderes

Die Berner Tropfsteinhöhle ist ein faszinierendes Schauspiel. Wegen Corona bleibt sie der Bevölkerung aber weiterhin unzugänglich. Teil 3 unserer Bärnerbär-Sommerserie.
Zwei Metalltüren sowie kühle, nach Keller riechende Luft, die sich durch Lüftungsschlitze ihren Weg nach draussen bahnt. Von aussen sieht das alles ja eher aus wie ein Luftschutzbunker. Genau für diesen Zweck war die heutige Tropfsteinhöhle am Klösterlistutz ursprünglich auch angedacht. Rückblick: Es ist der 2. März 1944. In Europa tobt der Zweite Weltkrieg. Der Gemeinderat der Stadt Bern bewilligt 23000 Franken (!) für den Aushub eines 72,7 Meter langen Sondierstollens. So soll festgestellt werden, ob am Hang des Aargauerstaldens ein Luftschutzbunker – zu dieser Zeit ein gefragtes Gut – möglich wäre.

Woher kommen die Kügelchen?
Schon rund drei Wochen später beginnen die Bauarbeiten. Sie erweisen sich als schwierig: Immer wieder dringen Schlamm und Wasser in den Stollen ein, teilweise türmt sich der Sumpf einen Meter hoch auf. Die Bauarbeiter stossen zudem auf Reste eines ehemaligen Sandsteinbruchs. Mit rund 48000 Franken kostet das Projekt am Ende mehr als doppelt so viel wie eigentlich budgetiert. Sämtlichen Widrigkeiten zum Trotz sind die Fachleute davon überzeugt, dass ein Bunker realisierbar ist – inklusive Betonboden, Klimaanlage sowie Elektro- und Wasserleitungen. Als «absolut bombensicher» wird der Schutzraum eingestuft. Man rechnet sogar damit, zwei weitere solche Räume in den Hang bauen zu können. Kostenpunkt: 157000 Franken. Für damalige Verhältnisse ein hoher Betrag. Doch die geologischen Gegebenheiten machen den Experten einen Strich durch die Rechnung: zu viel Feuchtigkeit, zu viel Wasser. Nicht einmal als Lagerraum eignet sich das Ganze. Die Feuchtigkeit durchdringt alles. Dem Gemeinderat ist der Aufwand, einen solchen Schutzraum zu betreiben, nun doch zu gross. Am 28. Juni 1945 schreibt er: «Der Stollen ist durch Zumauerung des Eingangs zu schliessen.» In den 80er-Jahren wächst die Berner Bevölkerung stark an. Im Kirchenfeldquartier kommt es wegen zunehmender Versiegelung des Bodens zu Überschwemmungen. Die Stadt lanciert den MurifeldAare-Kanal und denkt über einen zusätzlichen Entlastungskanal vom Wyssloch via Freudenbergplatz zum Sonnenhofspital hin nach. Startpunkt: der Hang unterhalb des Aargauerstaldens. Der zugemauerte Stollen wird erneut geöffnet. Als ihn die Bauarbeiter betreten, bietet sich ihnen ein fantastisches Bild: In all den Jahren haben Wasser, Kalk und Sandstein eine faszinierende Landschaft mit stalagmitartigen Formationen geschaffen. Um den Tunnel der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird rasch altes Baumaterial entfernt, ein Becken angelegt und Scheinwerfer installiert. Die Berner Tropfsteinhöhle ist geboren. Seit den frühen 90ern bietet das Tiefbauamt der Stadt Bern Führungen an, bei der Museumsnacht gehört sie zu den absoluten Publikumsmagneten.

Feuchtigkeit, überall
Zurück in die Gegenwart. Alain Fallegger, Leiter Unterhalt Netz beim Stadtberner Tiefbauamt – der Mann, der uns bereits in die Kanalisation mitnahm (s. Bärnerbär-Ausgabe vom 27. Juli) –, öffnet mit einem Passepartout die Eisentüre. Ganz hinten plätschert es, es ist angenehm frisch. Ein perfekter Ort, um sich abzukühlen – in heissen Sommern, wohlverstanden. Wir laufen raschen Schrittes dorthin, wo sich der kleine See befindet. Linkerhand begegnen wir einer orangen Ausstellungspuppe, hinter Glas in den Stein gezimmert. Ein Bauarbeiter, wie er einst hier gearbeitet hat. Die Turnschuhe sind schnell durchnässt. Ja, es ist feucht. Von überall her tropft es: von oben, von der Seite. Und am Boden Hunderte grauer Kügelchen. Kies? «Nein, Höhlenperlen», präzisiert Fallegger. Wie jetzt? «Die kalkhaltigen Tropfen fallen von der Decke herunter und vermischen sich mit den Sandanteilen im Boden. Es entsteht eine Art Rotation, wodurch diese Kügelchen mit der Zeit stetig grösser werden. Ein weltweit sehr seltenes Phänomen.»

Die Tropfsteinhöhle bleibt zu
Die Tropfsteinhöhle mit ihren manchmal bizarren, oft malerischen Ausprägungen wächst also noch immer. Bloss hat sie die Öffentlichkeit wegen Corona schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Weiterhin bietet das Tiefbauamt pandemiebedingt keine geführten Rundgänge an. Auch an der Museumsnacht am 17. September bleiben die Tore geschlossen. Auf dass sich die Situation normalisieren mag, damit die Menschen die Tropfsteinhöhle bald wieder in ihrer ganzen Schönheit bewundern dürfen.

Yves Schott

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