Statistiken sind beliebt – egal um was es geht, Umfragen und Erhebungen erklären alles oder stellen eine Situation in Verhältnissen, Proportionen und Quotienten dar. Und wenn es um Zahlen zur Bundesstadt geht, ist «Statistik Stadt Bern» eine unerschöpfliche Quelle.
Zahlen verschaffen Planungssicherheit. Und die ist für die Stadtentwicklung – und damit auch Wohnbauförderung – für die Politik, Forschung, Wirtschaft und für Investoren von zentraler Bedeutung. Erhebungen zeigen die Bevölkerungsentwicklung, wo die Nachfrage oder das Angebot am grössten ist, welche Bevölkerungsgruppen welche Flächenbedürfnisse haben, sie stellen Pendlerströme dar, was Familien und was Alleinstehende wünschen, wo Potenziale bestehen und so weiter.
Statistik Stadt Bern liefert dazu eine enorme Menge an Daten. Selbstverständlich bestätigen diese Statistiken viele allgemeine Annahmen und Vermutungen, aber sie zeigen auch interessante Details. Eine davon ist, dass sich individuelle Wohnbedürfnisse laufend verändern. Aus einer Studentin in einer WG wird eine gut verdienende Angestellte mit Wunsch nach einer geräumigen 2-Zimmerwohnung, sie heiratet und das Paar bekommt Kinder, benötigt eventuell ein Auto, gesucht wird dann eine 3- bis 5-Zimmer-Wohnung mit Garage oder sicherem Parkplatz.
Plötzlich ist das Paar um die 50, die Kids beginnen auszuziehen, die Wohnung wird zu gross, ein Ehepartner stirbt. Ein ewiger Kreislauf. Die Gemeinden, und insbesondere Städte, müssen die längerfristigen Tendenzen erkennen. Solche macht Thomas Holzer sichtbar.
Herr Holzer, was fasziniert Sie an der statistischen Arbeit?
Ich habe an der Uni Bern Ökonomie und Politikwissenschaften studiert. Bereits während des Studiums und auch bei meinem Engagement im Bundesamt für Statistik fand ich es spannend, wie man mit statistischen Daten und Methoden gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen beschreiben kann. Bei meiner Arbeit hier bei Statistik Stadt Bern kommt aber auch der «Faktor Bern» hinzu: Ich bin im Raum Bern aufgewachsen und Bern immer treu geblieben.
Wie aktuell sind die Statistiken der Stadt Bern?
Wir versuchen so aktuell wie möglich zu sein. Viele Daten erheben wir monatlich, andere jährlich, manchmal sind wir gar tagesaktuell.
Welches sind die geografischen Grundlagen, beziehungsweise wie genau schauen Sie hin?
Unsere Daten umfassen natürlich das gesamte Gemeindegebiet, von der Tiefenau im Norden bis zum – allerdings unbewohnten – Könizbergwald im Süden, vom Melchenbühl im Osten bis hin zum flächenmässig grössten Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen im Westen. Die Gemeinde umfasst sechs Stadtteile Innenstadt, Länggasse-Felsenau, Mattenhof-Weissenbühl, Kirchenfeld-Schosshalde, Breitenrain-Lorraine und, Bümpliz-Oberbottigen. Das Gemeindegebiet wird weiter in 32 Bezirke sowie in 114 Quartiere unterteilt. Mit dieser Gliederung erreichen wir ein sehr präzises und auch visuell aufschlussreiches Gesamtbild der Bevölkerungszahlen und Wohnsituationen. Also die Anzahl der Haushalte oder der Bevölkerungsdichte.
Wie viele Haushalte gibt es in der Gemeinde Bern?
Es sind etwa 70000, wobei 46 Prozent Einpersonen- und 30 Prozent Zweipersonenhaushalte sind. Die restlichen 24 Prozent sind Haushalte mit drei oder mehr Personen. Nach Haushaltsformen betrachtet leben 46 Prozent in Single- und 21 Prozent in Familienhaushalten (Haushalte mit Kindern). 13 Prozent sind verheiratete Paare ohne Kinder und die übrigen 20 Prozent Mehrpersonenhaushalte, Konkubinate, WGs und so weiter.
Diese Zahlen unterscheiden sich leicht von den gesamtschweizerischen – landesweit bilden gemäss BFS Einpersonen- und Zweipersonenhaushalte 69 Prozent der insgesamt 3,9 Millionen Schweizer Haushalte. Typisch für eine Stadt ist der hohe Anteil an 1- und 2-Personenhaushalten.
Wo leben die meisten Singles?
Die meisten Singles finden wir in den Quartieren Mattenhof und Sulgenbach, Breitenrain, Spitalacker und Breitfeld. Es sind in diesen Gebieten jeweils über 1000. Anteilsmässig an der Geesamtbevölkerung gibt es am meisten Single-Haushalte in der Matte, der Unteren Altstadt und in Ausserholligen. In diesen Quartieren gibt es über 50 Prozent 1- und 2-Zimmerwohnungen.
Wie sieht es mit den grossen, also 4-, 5- und mehr Zimmer-Wohnungen aus und wo leben am meisten Familien mit Kindern?
Bern hat einen relativ kleinen Anteil an grossen Wohnungen. Familien mit Kindern finden wir am häufigsten in den Quartieren Weissenstein, Wylergut, in der Hohliebi oder im Schönberg-Ost. Nach den Quartieren Sonnenhof und Riedern hat übrigens Oberbottigen-Riedbach den grössten Anteil an grossen Wohnungen, Allerdings ist dieses Gebiet nicht sehr dicht besiedelt und die absoluten Zahlen dort entsprechend tief.
Was auffällt, ist der sehr hohe Anteil an 3-Zimmer-Wohnungen. Es sind weit über ein Drittel.
Dieser Anteil ist in Bern mit 37 Prozent in der Tat sehr hoch, auch im landesweiten Vergleich (gemäss BFS 27 % bzw. 1,25 von 4.64 Mio der Wohnungen in der Schweiz; Anm.d.R.). Diese mittelgrossen Wohnungen wurden in den 1960er und 1970er Jahren gebaut, diese Wohnungsgrösse galt als Standard.
Schauen wir uns den Leerwohnungsbestand an.
Von den 78000 Wohnungen der Gemeinde Bern waren, die letzte Zahl datiert vom Juni, lediglich 420 als leer stehend gemeldet. Das entspricht einer Leerwohnungsziffer von einem halben Prozent, was wenig ist. Grosse Wohnungen von fünf oder mehr Zimmern sind Mangelware. Von diesen standen im Juni 24 leer.
Wie erklärt sich die Differenz zwischen der Zahl der Haushalte und des Wohnungsbestandes?
Das hat mehrere Faktoren. Etwa die rund 1500 in Bern wohnenden Angehörigen der diplomatischen Vertretungen – sie werden in der Einwohnerstatistik nicht erfasst. Dann gibt es Wohnungen in anderer Nutzung, Business-Appartements, Zweitwohnungen und Wohnungen, welche wegen Sanierungen nicht bewohnt werden und so weiter.
Was macht die Attraktivität von Wohnungen aus?
Das kann man nicht generell sagen, auch nicht mit statistischen Daten. Attraktivität ist eine Sache der persönlichen Bedürfnisse. Alleinstehende haben andere Ansprüche als Familien, sei das was die Wohnungsgrösse oder die direkte Umgebung angeht – Freiräume, Ruhe, Schulen aber auch die Parkplatzsituation oder die Anbindung an den ÖV und so weiter.
Ein Dauerthema ist das Auto. Der Autobestand und die Situation mit den immer weniger Parkplätzen ist ein wesentliches Kriterium des Wohnens. Denn etwa jeder zweite Haushalt hat eins. Es stehen sich in der Stadt also quasi zwei Gruppen gegenüber: Die mit und diejenigen ohne. Die Haushalte mit Auto beurteilen die Wohnqualität auch anhand der Verfügbarkeit von Parkplätzen, jene ohne hätten vielfach am liebsten eine autofreie Stadt. Zur Zahl: Der Autobestand ist über die letzten Jahre stabil, es sind rund 51000, ein Drittel davon Geschäftsfahrzeuge.
Wo ist das Wohnen am teuersten?
Die höchsten Mieten bezahlt man in der Innenstadt und im Kirchenfeld, die tiefsten im Westen. Der durchschnittliche Mietpreis am Beispiel von den begehrten 3-Zimmer-Wohnungen reicht von etwa 1000 Franken im Westen bis zu 1639 in der inneren Stadt. Wobei, Vorsicht, das sind die effektiven Bestandesgrössen. Die Angebotsmieten – Wohnungen, die auf dem Markt sind – sind in der Praxis höher.
In letzter Zeit sprach man von Stadtflucht, wie «dramatisch» ist es?
Ich sehe keine Stadtflucht. Die Leerwohnungsquote hat im letzten Jahr sogar abgenommen. Jahrelang nahm die Bevölkerung stärker zu als der Wohnungsbestand, man rückte näher zusammen. Meine Hypothese ist, dass die Stadt dank ihrer Infrastruktur – Kitas, ÖV, nahe Wege, Unterhaltung – gegenüber der Agglo lange Vorteile aufwies. Während der Pandemie nahm das Raumbedürfnis wegen Homeoffice und Homeschooling zu. Zudem nimmt man etwas längere Arbeitswege in Kauf, wenn man teilweise von zu Hause aus arbeiten kann. Dies führte zu einer gewissen Abwanderung aus den Städten. In Bern hat die Bevölkerung in den letzten beiden Monaten wieder zugenommen.
Wenn wir uns die künftige Bevölkerungsentwicklung ansehen: Wie kann die Stadt wachsen?
Das ist in der Theorie ganz einfach: Bauen. Die Stadt will auch mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, aber grössere Wohnbauprojekte gehen nicht von heute auf morgen. Wachsen kann eine Stadt längerfristig nur, wenn gebaut wird. Oder wenn sie flächen- oder bevölkerungsmässig grössere Schritte macht. Die angedachte Fusion mit Ostermundigen wäre so ein realistisches Beispiel.
Lahor Jakrlin