Musikerin zu sein, ist in diesen Zeiten besonders schwer. Steff la Cheffe hat der Lockdown vor allem müde gemacht. Mit Unsicherheiten, sagt die Berner Rapperin, sei sie stets gut zurechtgekommen.
Steff, wie erging es dir während des Lockdowns?
Eigentlich sehr gut, danke! Ich bin kurz zuvor gezügelt, hatte also noch recht viel zu tun mit ausmisten und einrichten. Zudem war das Wetter im April freundlich, ich konnte mich deshalb im Garten auspowern. Beruflich gesehen kam mir diese Zeit gar nicht so einschneidend vor: Ich befand mich in der Promo-Phase für mein neues Album und habe die Interviews halt via Video geführt oder nahm Sprachnotizen auf. Ich empfand das als einigermassen gemütlich, denn sonst fährst du in dieser Phase einmal quer durch die halbe Schweiz (lacht).
Auftritte absagen musstest du nicht?
Die Plattentaufe war sowieso erst für später angedacht. Eines meiner Kunstprojekte fiel aus.
Gärtnern, so konnte man lesen, habe für dich eine therapeutische Wirkung.
Stimmt! Weisst du, das Spannende am Garten ist, dass er eine Art Metapher fürs Leben darstellt. Mit genug Wasser trägst du zu einem schönen Garten bei, gegen das Wetter lässt sich aber kaum etwas ausrichten. Übrigens ist längst nicht alles, das ich angepflanzt hatte, auch wirklich wunschgemäss so gewachsen.
Beruhigend zu wissen. Müslüm meinte im Bärnerbär im Juni, manche Leute hätten nun erfahren, wie es Künstlerinnen und Künstlern häufig ergeht: Dass man nämlich nie weiss, was als Nächstes passiert.
Ich denke, alle Selbstständigerwerbenden kennen das Gefühl, über kein regelmässiges Gehalt zu verfügen. Wie es ist, wenn man auf sich selbst zurückgeworfen wird.
Die Corona-Krise hat dich folglich selten zum Nachdenken gebracht?
Sie hat mich vor allem müde gemacht (muss schmunzeln). Ich schlief häufig und fragte mich, was nur mit mir los ist. Dann habe ich es gecheckt: Was gerade auf der Welt passierte, sickerte bei mir auf körperlicher Ebene durch. Ich habe den Moment dazu genutzt, selbst alles ein wenig lockerer zu nehmen, um die Ruhe und Entspannung zu geniessen.
Viele in deiner Branche verspüren ganz generell einen Erfolgsdruck. Nun, da niemand weiss, wie lange der Ausnahmezustand bleibt, dürften die Sorgen kaum kleiner geworden sein.
Ich habe mir in meiner Laufbahn schon ein paarmal überlegt, wie lange das alles noch dauert. Ich spielte schon mit dem Gedanken, etwas anderes zu machen und arbeitete ja tatsächlich eine Weile lang auf dem Märit an einem Käsestand. Mein Ego hat das damals wahnsinnig begrüsst, nicht immer auf der Bühne zu stehen und diese Figur darstellen zu müssen.
Existenzängste plagten dich nie?
Wie es halt für jemanden ist, der kein regelmässiges Einkommen und keinen «normalen» Job hat. Aber nein, ich kam mit dieser Unsicherheit eigentlich immer gut zurecht. Ich meine, klar verspürst du einen gewissen Druck: Ich lebe von der Musik und man hat schliesslich Ansprüche an sich selbst. Doch am Anfang stehst du immer zuerst vor einem komplett weissen Blatt.
Wer Interviews mit dir sieht und liest, der denkt: Wow, heftig, das Leben von Steff la Cheffe ist ein ständiges Auf und Ab.
Nicht nur das Leben, das ganze Universum funktioniert so. Tag und Nacht, Ebbe und Flut. Musik zu machen, das hat für mich in erster Linie mit Emotionen zu tun. Sie sind es, die mich inspirieren. An Konzerten werfe ich sie dem Publikum entgegen – und die Reaktion kommt sofort zurück. Als Teenager war ich in dieser Beziehung extremer, ich habe mich den Emotionen häufig ergeben. Mittlerweile bin ich deutlich gelassener und stabiler, gemitteter vielleicht. Ich lasse mich fast nie mehr einfach so mitreissen.
In der heutigen Gesellschaft ist für negative Emotionen oft gar kein Platz mehr. Es wird erwartet, dass es einem prima läuft. Das habe ich ebenfalls schon beobachtet, ja. Die Frage ist allerdings, mit wem man solche Gefühle dann verarbeitet. Wieso nicht einfach mal die anderen aussen vorlassen und schauen, wie es um die eigenen Emotionen steht. Sich zu fragen: Ist es schlimm? Finde ich einen Weg da raus? Wer seine Ängste und Sorgen unterdrückt, wird möglicherweise krank und depressiv. Negative Gefühle tauchen auf, sie können aber auch wieder verschwinden. Wer Gelassenheit praktizieren möchte, darf sich nie von der Euphorie mitreissen lassen.
Eine interessante Philosophie.
In solchen Situationen beobachte ich mich selbst und frage mich: Bin das ich oder geht das einfach gerade mit mir durch? Eine Quelle, die ich anzapfe, ist die buddhistische Philosophie. Ein Ziel von vielen liegt darin, in der goldenen Mitte zu ruhen
Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?
Die Sendung «Sing meinen Song» war extrem anspruchsvoll. Alle, die da teilgenommen haben, waren gegen Ende der Produktion sehr dünnhäutig.
Das war offensichtlich. Du hast das eine oder andere Tränchen vergossen.
Ich weiss nicht, ob ich so etwas vor fünf Jahren geschafft hätte. Ich meine, eine ganze Sendung war einzig und allein meinen Songs gewidmet. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer haben ja bloss einen kleinen Teil des Ganzen gesehen. Wir drehten pro Abend zwei Sendung und schliefen entsprechend wenig…
Du hast dich verschiedentlich über deine schwierige Kindheit geäussert. Auch auf deiner neuen Platte «PS:» sind Wut und Enttäuschungen das grosse Thema. Musste das einfach mal raus?
Offenbar. Das hat sich irgendwie so ergeben. Wenn ich malen würde, hätte ich jetzt ein Atelier voller Bilder (lächelt).
Und, fühlst du dich besser?
Definitiv. Doch ich stelle mir die Huhn-oder-Ei-Frage: Habe ich zuerst meinen Frust rausgelassen oder waren da zuerst die Lieder? Ich habe noch etwas gemerkt: das mit diesem Trauerzyklus – Zorn, dann Akzeptanz und so…
Ja?
Das ist gar nicht so linear, dafür existiert keine Bedienungsanleitung. Ich habe den Zyklus jedenfalls gleich ein paarmal durchgemacht.
Im letzten Bärnerbär-Interview 2018 hast du erwähnt, du würdest dir überlegen, wo du herkommst und wo du hinwillst. Wie lautet deine Antwort jetzt?
Ehrlich gesagt: Ich befinde mich noch immer mitten in diesem Prozess. Das hat mit meinem Wesen zu tun, mit meiner Weiterentwicklung und dass ich mir diese Sinnfrage stelle. Derzeit wissen wir nicht einmal, ob wir in diesem Herbst und Winter überhaupt auf Tour gehen können, ob dann irgendwann mal wieder Open Airs stattfinden. Ich habe einen Plan für die Zukunft, klar – er ist allerdings bloss ein Werkzeug, mehr nicht. Er soll helfen, Entscheidungen zu treffen. Und ich muss ihn gelegentlich anpassen.
Yves Schott