Der Berner Immunologe Martin Bachmann ist überzeugt, bis im Oktober einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt zu haben. Er verrät, was ihn so optimistisch stimmt.
Wer im Internet nach Ihnen sucht, merkt schnell: Sie sind derzeit der virologische Superstar.
Ich erhalte mehr Aufmerksamkeit als sonst, ja. (lacht)
Fühlen Sie sich wohl in dieser Rolle?
Aufmerksamkeit ist eine tolle Sache. Sie kann einem jedoch auch schnell zu viel werden. Ich bin grosser Eminem-Fan, er litt stets unter diesem Phänomen. (lacht)
Sie haben in verschiedenen Medien mit folgendem Satz für Aufsehen gesorgt: «Unser Impfstoff soll im Oktober bereit sein.» Was macht Sie da so sicher?
Wir haben in etwa berechnet, wie lange es dauern könnte, bis ein solcher Impfstoff entwickelt ist. Den Plan indessen habe nicht ich erstellt, den haben Profis gemacht. Ein ambitionierter Plan, klar. Doch bis jetzt sind wir auf Kurs.
Welche Faktoren müssen stimmen, damit Ihr ambitiöses Projekt funktioniert?
Der Impfstoff muss selbstverständlich wirken, sauber und gesetzeskonform sein. Allerdings nicht in einem Ausmass, wie das normalerweise der Fall wäre. Dafür gibt es aber das Pandemiegesetz, das solche Ausnahmen zulässt.
Welche Rolle spielt das Geld?
Eine wichtige. Wir hier am Inselspital brauchen indes keine 100 Millionen Franken – die sind vor allem für die Herstellung des Impfstoffes nötig. Ein weiterer Teil wird für klinische Studien benötigt.
Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Medizinischen Fakultät der Uni Bonn, sagte am Donnerstag in der ZDF-Talkshow «Maybrit Illner» wörtlich: «Jede Vorhersage zu einem Impfstoff ist unseriös.»
Was soll ich dazu sagen…? Jede Firma, jeder Forscher bastelt sich seine eigene Timeline. Ich kann ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen, wieso Herr Streeck so etwas sagt.
Vielleicht, weil allgemein zu lesen ist, es dauere mindestens bis Frühling 2021, bis ein Impfstoff zugelassen werden kann.
Ich kann Ihnen mehrere Gründe nennen, wieso ich optimistischer bin: Schweizer Behörden sind wahrscheinlich deutlich flexibler als viele andere. Zudem verfügen wir über eine sehr gute Wissenschaft und eine leistungsfähige Produktion. Zentral ist für uns, dass der Impfstoff dann auch tatsächlich protektiv ist, sprich: die Antikörper das Virus zerstören. Wobei: Wir spritzen schlicht Proteine, da kann kaum etwas schiefgehen. Das Worst-case-Szenario wäre höchstens, dass die Impfung nicht wirkt.
Angenommen, der Impfstoff wäre tatsächlich im Oktober marktreif: Wie lange würde es dauern, bis die Schweizer Bevölkerung immunisiert wäre?
Wir rechnen mit zwei bis drei Monaten. Die Frage ist, ob genügend Dosen vorhanden sind. Die Menge an Impfstoff dürfte kaum das Problem sein, sondern deren Abfüllung.
Alle reden von der Impfung – was ist mit einem Medikament, das gegen das Coronavirus hilft?
Mit einem Medikament schaffen Sie es nicht, das Virus zu eliminieren.
Was halten Sie vom Ebola-Medikament Remdesivir, das im Kampf gegen Covid-19 schon oft erfolgreich eingesetzt worden sein soll?
Mag sein, dass es funktioniert. Um dessen Wirksamkeit zu beweisen, bräuchte es allerdings Placebo-kontrollierte Studien. Wenn Sie einen Spray gegen Heuschnupfen benutzen und der Schnupfen verschwindet, müssen Sie ja wissen, ob es tatsächlich der Spray war, der dafür verantwortlich ist.
In der Öffentlichkeit streiten sich Wissenschaftler darüber, ob das Virus bloss eingedämmt oder aber komplett ausgerottet werden soll. Was meinen Sie?
Klar wäre es am besten, wenn Covid-19 verschwinden würde. Wobei Kinderlähmung ebenfalls nicht ausgerottet, hingegen sehr gut unter Kontrolle ist. Ausgerottet haben wir bisher nur die Pocken. Das Coronavirus scheint mir allerdings schon ein Kandidat zu sein, den man ausrotten könnte, da er offensichtlich nicht gross mutiert.
Die deutsche Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim ist überzeugt davon, dass es zu einer zweiten Welle kommt.
Wenn kein Wunder geschieht, kehrt das Coronavirus zurück. Selbst wenn die Zahlen aus China falsch sind und sich dort 100 Mal mehr Menschen infiziert haben als bisher bekannt, sind immer noch 99 Prozent der Leute nicht immun. Mein vorgeschlagener Weg ist folgender: Das Contact-Tracing wird äusserst wichtig werden, um Infektionsketten nachverfolgen und die entsprechenden Leute isolieren zu können. Wir werden mehr testen müssen, um so das gesamte System laufen zu lassen, bis eine Impfung verfügbar ist. Zwar halt ohne Grossevents wie Fussballspiele, aber so müssen zumindest nicht alle zuhause bleiben.
Nun werden erste Lockerungen vorgenommen. Wie werden diese sich Ihrer Meinung nach auf die Fallzahlen auswirken?
Mit ein wenig Glück können wir die Pandemie unter Kontrolle halten. Man wird hingegen ständig überprüfen müssen, wie sich die Situation entwickelt.
Eine gänzlich andere Strategie als Italien oder Spanien verfolgt Schweden: Restaurants, Fitnesscenter und Schulen sind nach wie vor offen.
Schweden hat von allen skandinavischen Ländern am meisten Infizierte. Bloss wurden die Fälle nicht durch die Anzahl Einwohner geteilt. Natürlich hat Schweden mehr Kranke und Tote als Dänemark. Generell finde ich Schwedens Weg jedoch ziemlich gewagt.
Wie verändert Sie das Virus persönlich?
An meinem rechten Auge hat sich vor lauter Stress ein Ekzem gebildet. (lacht)
Wann haben wir unser normales Leben zurück?
Wenn alle immunisiert sind. Frühestens im Herbst.
Können wir an Weihnachten unsere Grosseltern wieder ohne schlechtes Gewissen umarmen?
Das denke ich schon. Jedenfalls in der Schweiz.
Darf ich meine Mutter auf ein Zmittag draussen auf der Terrasse einladen?
Von mir aus gesehen ja. Sie müssen einfach aufpassen und den Abstand einhalten. Besser als ein Essen mit kontaminiertem Geschirr wäre ein Glas Wein.
Yves Schott