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«CO2-Abgaben haben für mich etwas Sektiererisches»

Er erhielt Morddrohungen und traut sich nur noch selten in die Stadt. Von einer Klimasteuer hält er wenig. Andreas Thiel hat dem Bärnerbär eines seiner mittlerweile rar gewordenen Interviews gegeben.

Seit Ihrem letzten Bühnenprogramm, das im Oktober 2018 auslief, ist es still geworden um Sie.
Stimmt.

Was tun Sie seither?
Seit rund zwei Jahren arbeite ich an meinem ersten Kinofilm. Und ich schreibe nach wie vor Kolumnen und Essays für die «NZZ», den «Nebelspalter» und die «Weltwoche». Für jene Medien also, in denen ich noch publizieren darf.

Sie haben sich zurückgezogen, um sich und vor allem Ihre Familie, Ihr Umfeld zu schützen. Auf der Bühne wurde teilweise mit Eiern nach Ihnen geworfen.
Ach, das war noch das Harmloseste. Ich erhielt Morddrohungen, war Diffamierungen ausgesetzt, nicht zuletzt via soziale Medien. Es handelt sich um zwei Fronten: muslimische sowie linke Fundamentalisten. Beide Seiten wurden für mich zu einer Bedrohung, ich war ihr Feindbild. Karl Marx und Mohammed haben nicht zufällig beide denselben Ansatz: die Aufteilung der Gesellschaft in Freund und Feind. Das Gegenteil von meiner liberalen Einstellung also, nämlich, dass man mit allen Menschen freundschaftlich verkehrt, unabhängig davon, ob man deren Werte teilt oder nicht.

Nun steht die grosse Mehrheit der Bevölkerung politisch irgendwo dazwischen.
Gerade diese Mehrheit kann gefährlich werden. Denn die meisten glauben, was publiziert wird. Es braucht bloss einer zu behaupten, du seist Rassist, und schon wirst du auf offener Strasse von ganz «normalen» Leuten beschimpft.

Wie extrem sind denn Sie selbst? Irgendwas muss an den ständigen Gerüchten ja dran sein.
Erstens bin ich niemand, der andere beschimpft, geschweige denn tätlich angreift. Weder privat noch auf der Bühne. Wenn alle Menschen eine andere Meinung haben, ist das für mich ein Idealzustand. Denn sobald alle die gleiche Meinung haben, leben wir in einem totalitären System. Je mehr Meinungen also, desto besser. Die Kunst des Liberalismus besteht darin, trotzdem friedlich miteinander zusammenzuleben. Das geht nur, indem man andere Meinungen toleriert. Meine linken Freunde hingegen träumen von einer Gesellschaft, in der alle die gleiche Meinung haben. Meine Idealvorstellung ist deren Horrorvision.

Dass sämtliche Linke keine anderen Haltungen zulassen, ist aber doch etwas gar überzeichnet.
Natürlich gibt es liberale Linke. Die breite Masse allerdings ist weit davon entfernt, so offen zu sein, wie sie es selbst gerne predigt.

Die Unterscheidung zwischen Links und Rechts wird schon seit Jahrhunderten gemacht. Haben sich die Fronten Ihrer Meinung nach in letzter Zeit verhärtet?
Noch befinden wir uns ja nicht in bürgerkriegsartigen Zuständen. Ich persönlich sehe die Entwicklung jedoch pessimistisch und befürchte einen Rückfall in alte Zeiten, in denen Andersdenkende eingesperrt wurden. Vielleicht schwingt das Pendel aber auch genau in die andere Richtung und wir bewegen uns auf extrem freiheitliche Zeiten zu.

Die Behauptung, Sie würden der SVP nahestehen, kommt nicht von ungefähr: Sie treten oft an deren Parteiveranstaltungen auf.
Ich bin bis dato am häufigsten für die SP auf der Bühne gestanden. Zudem für die Grünen, für die CVP, für die FDP und selbstverständlich auch für die SVP. Nun hat sich der Zeitgeist gewandelt. Mittlerweile fürchtet sogar die FDP den Zorn der Linken, wenn sie mich engagiert. Daher ist die SVP die einzige Partei, die noch genügend liberal ist, um einen wie mich auftreten zu lassen.

Sie waren immer wieder bei «Giacobbo/Müller» zu sehen, bei «Deville» noch nie.
«Deville» kam erst, als ich schon aufgehört hatte. Aber der Mangel an liberalen Künstlern hat damit zu tun, dass der Kulturbetrieb insgesamt sehr links tickt, was ich übrigens gar nicht kritisiere. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand links ist. Nimmt er das jedoch zum Anlass, Andersdenkende auszugrenzen, wird es totalitär. Deswegen halte ich von den meisten linken Ideen nur wenig, weil sie selten liberal sind.

Konkret: Der Sozialismus ist Ihnen ein Dorn im Auge.
Er besagt, dass nicht der einzelne Mensch im Mittelpunkt steht, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Etwas völlig Abstraktes also. Ich selbst respektiere jeden, der sagt: «Ich bin der Meinung, dass…und deshalb verhalte ich mich so.» Aber die Idee, «im Interesse der Gesellschaft» dem einzelnen Menschen etwas zu verbieten oder ihn zu etwas zu zwingen, ist totalitär. Denn verändern kann nur jeder sich selbst. Wenn du die Welt verbessern willst, verbessere dich selbst. Mehr Macht dürfen wir nicht ausüben. Jede Form von staatlichem Zwang lehne ich ab.

Sie bezeichnen sich als Humanist. Was ist denn nun so falsch daran, das Klima zu schützen? Das Treibhausgas FCKW zu verbieten, war wahrlich keine falsche Entscheidung.
Wo wird die Umwelt denn am meisten geschützt? In der freien Welt! Sicher nicht dort, wo der Staat am meisten Macht ausübt. Freiheit generiert Wohlstand, und nur deshalb kann es sich der Mensch leisten, sich über gewisse Themen Gedanken zu machen. Wenn jemand aus ökologischen Überlegungen weniger fliegen möchte, kann er das in der freien Welt tun. Wenn er es anderen verbieten will, ist es totalitär. Und es geht ja noch viel weiter.

Ja bitte?
Angenommen, Sie irren sich, egal, welche Meinung Sie vertreten. Wenn Sie sich nun so verhalten, wie Sie es für richtig halten, richten Sie relativ wenig Schaden an, falls Sie falsch liegen. Zwingen Sie jedoch alle anderen dazu, sich genauso zu verhalten, richten Sie, sollten Sie Unrecht haben, einen gigantischen Schaden an. Und in Sachen Klima gibt es schon einige Punkte, die ich diesbezüglich für verdächtig halte.

Erzählen Sie.
Seit Geburt macht der Mensch nichts anderes, als Sauerstoff in CO2 umzuwandeln. Die ganze Industrialisierung, alles, was der Mensch tut, ist: Sauerstoff in CO2 umzuwandeln. Das als Sünde zu erklären, erinnert mich stark ans Monopol der katholischen Kirche, die früher erklärte, man sei als Sünder geboren. Deswegen haben CO2 -Abgaben für mich etwas Sektiererisches; es handelt sich um eine Ablasszahlung. Das sage ich übrigens als Veganer, der nicht geimpft ist und sechs Velos besitzt. Mein ökologischer Fussabdruck dürfte somit relativ klein sein. (lacht)

Sie zeigen nicht mit dem Finger auf jemanden, der Fleisch isst?
Nein, wieso sollte ich? Vielleicht liege ich mit meiner Einstellung ja falsch.

Wie oft fliegen Sie?
Ich bin früher viel geflogen, vor allem nach Island und Indien. Momentan viel seltener, wobei ich kein Technologiefeind bin. Mit zwei kleinen Kindern fliegt es sich bloss nicht so bequem. (lacht)

Haben Sie eigentlich mittlerweile Angst, vor die Haustür zu treten?
Ich versuche, Städte zu meiden. In Bern ist es am schlimmsten. Und wenn, dann achte ich darauf, dass ich nach etwa 17 Uhr wieder weg bin. Nachts auf den Strassen werde ich angerempelt. Ich will nicht zu jenen gehören, die mit Fusstritten am Boden liegend gefunden werden. Davor fürchte ich mich.

Yves Schott

ANDREAS THIELS GRÖSSTE AUFREGER

2003 zensierte das Schweizer Fernsehen Andreas Thiel wegen seiner Kritik am damaligen israelischen Premierminister Ariel Sharon. Ende November 2014 bezeichnete Thiel den Koran in der «Weltwoche» als «Bibel der Gewalt» und nannte den islamischen Propheten Mohammed einen «Kinderschänder». Einige Tage später artete die SRF-Talksendung «Schawinski» beinahe aus: Roger Schawinski griff Thiel mehrmals unter der Gürtellinie an, Thiel konterte, indem er den Moderator etwa fragte, ob er «Papierlijude» sei.

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