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Aline Trede blickt auch kritisch auf den Wahlkampf der Grünen zurück. Foto: Daniel Zaugg

«Da sind wir Grünen zu wenig gut»

Was lief schief im Wahlkampf? Grünen-Fraktionschefin Aline Trede erklärt, wo sich ihre Partei verbessern muss, wie sie zu den Klimaklebern steht und wo sie am 22. Oktober spätabends noch tanzen ging.

Aline Trede, die Wahlen sind etwas mehr als zwei Wochen her. Haben Sie den herben Rückschlag verdauen können?
Es gab gar nicht so viel zu verdauen (lacht).

Tatsächlich?
Am Sonntagmorgen dachte ich mir: Wie überlebe ich diesen Tag, vor allem emotional? Uns wurde ja ein Verlust von rund zehn Sitzen prognostiziert. Und dann verbrachte ich einen Wahlsonntag, der so durchgetaktet war wie nie zuvor. Eine Person des Sekretariats der Grünen begleitete mich, weil ich alle paar Minuten irgendwo Auskunft geben musste: Liveschaltung ins Bundeshaus, Liveschaltung aus dem Café Volver – auf sämtlichen Kanälen. Ich geriet in eine Art Kampfmodus. Das half, zum Beispiel beim leicht gehässigen SRF-Interview mit Marcel Dettling von der SVP. Am Schluss, als klar war, dass es nicht ganz so schlimm herausgekommen ist, gegen Mitternacht, fand ich: Gut, und nun gehen wir noch tanzen.

Wo denn?
Wo kann man in Bern an einem Sonntagabend tanzen?

In der Cuba Bar?
Genau (schmunzelt). Ich meine: Wir gewannen vor vier Jahren 17 Sitze, nun haben wir «nur» fünf verloren. Deutlich weniger Sitze als Prozent also. Das löste bei uns das positive Gefühl aus: Hey, wir sind nach wie vor eine grosse Fraktion!

Apropos Kampfmodus: Sie antworteten in einem Kurzinterview bei SRF auf die Frage, was Sie als Partei falsch gemacht hätten, mit «nichts». Das wirkte ziemlich unkritisch und trotzig.
Sehen Sie: Wir führten die wohl beste und professionellste Kampagne ever und verfügten dank einer Millionenspende über so viel Geld wie noch nie. Klar, gewisse Elemente besitzen Luft nach oben, wie das eben so ist, aber einen wirklichen Fehler begingen wir, Stand jetzt, nicht.

Da sagen Sie es uns wenigstens jetzt: Was lief schlecht?
Wir schafften es nicht, bei unserem Kernthema, dem Klima, zu mobilisieren. Einen veritablen Tolggen finde ich allerdings keinen.

Bloss: War es auch auf kommunikativer Ebene clever, so zu antworten?
Was hätte ich denn sagen sollen? Wenn ich gewusst hätte, was schiefgelaufen wäre, hätte ich mich dazu geäussert, das wissen Sie.

Sie schoben die Schuld an jenem 22. Oktober sehr schnell der SVP zu, erklärten, diese habe mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt. Das mag sein. Allein: Die Volkspartei hat das «Volk» besser gespürt.
Vor vier Jahren erlebte die SVP eine heftige Demobilisierung. Wenn sie hingegen, so wie jetzt, mobilisieren kann, mobilisiert sie alles, was sie kann. Genau in jener Hinsicht sind wir Grünen zu wenig gut. In Befragungen erklären teilweise bis zu 40 Prozent, mit den Grünen zu sympathisieren. Doch gerade einmal zehn Prozent wählen dann auch tatsächlich grün. Da haben wir das Rezept noch nicht gefunden. Und ja, ich finde die SVP hat Ängste geschürt und eine Kampagne am Limit der Legalität gemacht mit stigmatisierenden Flyern und nicht menschenwürdigen Bildern.

Was Ihnen mit am meisten geschadet hat, sind eindeutig die Klimakleber.
Das hörte und höre ich immer wieder. Am nervigsten war diesbezüglich übrigens, dass ich während des Wahlkampfs mehr über Klimakleber als über das Klima selbst sprechen musste. Tatsache ist allerdings, dass wir viel Inhaltliches probierten, auf der Strasse präsent waren, auf Social Media, auf Plakaten. Wir organisierten Medien­konferenzen zum Thema Wasser­management oder Trockenheit – nur interessierte es niemanden. An eine der genannten Presseeinladungen erschienen vier Romands sowie jemand von der «Weltwoche» (lacht). Und noch etwas …

Ja?
2019 legten wir um über sechs Prozent zu, das schaffte bis dato keine Partei – möglicherweise liegt es halt ein bisschen an der Schweizer Mentalität, jemanden, der gerade einen Höhenflug erlebt hat, später wieder zurechtzustutzen.

An Ihrer Stelle würde ich mit den Klimaklebern trotzdem mal ein ernstes Wörtchen reden.
Wir haben es probiert. Bloss: Bei allen anderen Klimabewegungen kennen wir die Protagonisten, bei Renovate Switzerland fast niemanden. Am Montag nach dem Ja zum Klimaschutzgesetz klebten sich einige von ihnen in Zürich auf die Strasse – ich meine: Wie unstrategisch kann man denn sein?

Sind Sie nie hässig auf diese Leute?
Ihre Aktionen lösen bei mir eher Unverständnis aus. Renovate Switzerland verlangt unter anderem, eine Million Gebäude bis 2040 zu isolieren. Gopf, das kann ich doch auf parlamentarischem Weg versuchen zu erreichen! Für mich war es sowieso schwierig genug, in diesem Zusammenhang richtig zu reagieren: Distanzierte ich mich, fand das in den Medien kaum Widerhall. Versuchte ich, die Aktionen zu erklären, hiess es, ich hätte Sympathien für die Klimakleber. Sagte ich gar nichts mehr, wurde geschrieben, die Trede wolle keine Auskunft geben. Dabei betonte ich stets: Ich finde diesen Weg falsch!
Haben Sie sich selbst ebenfalls Vorwürfe gemacht? Sie sind zwar nicht Kampagnenleiterin, aber doch Fraktionschefin. Ich besuchte zig grüne Kantonalparteien, hielt Motivationsreden. Rund einen Monat vor den Wahlen fragte ich mich plötzlich: Habe ich vielleicht meinen eigenen Kanton zu fest vernachlässigt? Müsste ich dort näher dran sein? Ja, solche Fragen stellte ich mir durchaus.

Ein Rücktritt als Fraktionspräsidentin war hingegen nie ein Thema?
Nein. Wobei ich Anfang der nächsten Legislatur ja wiedergewählt werden muss – und wenn meine Kolleginnen und Kollegen mit mir unzufrieden sind, kann gerne jemand anders antreten (lacht).

Im BärnerBär kommentierten wir Ihre Bundesratsabsichten mit den Worten: «Renitente Grüne – blinder Eifer oder schon wieder mutig?» Was von beidem ist es?
So wie es herausgekommen ist: eindeutig Mut. Ich kenne niemanden von unserer Fraktion, der nur Nationalrat oder Nationalrätin ist, um irgendwann Bundesrat zu werden. Wir mussten entscheiden. Die Konsolidierung unserer Resultate und das gleichzeitige Erstarken der SVP löste bei uns einen Kampfeswillen aus, wieder mehr entgegenzuhalten und nicht zu warten, bis einer der beiden FDP-Magistraten den Hut nimmt. Deswegen entschieden wir uns klar, bei den Gesamterneuerungswahlen anzutreten.

Ihr Bundesratsentscheid mag mutig sein – aber ist er auch sinnvoll? Macht es eine Partei sympathisch, wenn man nach einer Wahlniederlage Forderungen stellt?
Fakt ist, dass rund ein Viertel der Wählenden nicht in der Regierung vertreten sind. Das stört viele. Abgesehen davon haben wir stets konsequent argumentiert: Wir sagten bereits vor dem 22. Oktober, bei den Gesamterneuerungswahlen antreten zu wollen, damit eben auch eine Erneuerung stattfinden kann. Mit Gerhard Andrey (Nationalrat FR, d. Red.) ist nun zudem ein sehr guter Kandidat im Rennen. Und die FDP ist in ihrem historischen Tief. Vergessen Sie das nicht. Darüber wird einfach nicht so gesprochen.

Warum wollen Sie selbst nicht kandidieren?
Ich bin Fraktionspräsidentin und möchte das vorderhand auch bleiben. Die Rolle in der Opposition mag ich grundsätzlich ganz gerne.

Die meisten Ihrer Fraktion scheinen aber kaum heiss auf den Job in der Landesregierung zu sein.
Gerhard Andreys Ankündigung, und er ist wirklich ein toller Kandidat, brachte sicherlich einige dazu, zu verzichten. Im Sinne von: Wir schliessen die Reihen und stehen voll hinter ihm.

Kandidieren Sie selbst dereinst mal für den Bundesrat?
(Überlegt und lacht dann) Wer weiss? Ich fühle mich im Parlament ziemlich wohl. Als Nicht-Regierungspartei waren wir aber zum Beispiel während der Corona-Pandemie oft vom Informationsfluss abgeschnitten. Weil gleichzeitig das Klima bei keiner anderen Partei im Bundesrat Priorität hat, könnte ich mir eventuell doch irgendwann mal vorstellen, zu kandidieren.

Yves Schott

PERSÖNLICH

Aline Trede, geboren am 26. August 1983 in Bern, ist Nationalrätin der Grünen. 2019 wurde sie direkt ins Parlament gewählt, nachdem sie zuvor bereits zweimal nachrückte. Seit 2020 ist sie ausserdem Fraktionschefin ihrer Partei. Trede hat zwei Kinder, lebt in Bern und ist häufig mit dem Velo unterwegs.

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