Konzert, Aufbauarbeiten, Bauarbeiten, Aufbau,

«… dann dürfen nur noch 9000 Besucher ans Festival»

Bestuhlte Konzerte ja, Open-Airs vielleicht: Eventprof André Béchir analysiert die Entscheide des Bundesrats. Und er erklärt, wie wir in Zukunft Feste feiern.

Der Bundesrat will ab Juni Events mit 3000, ab September mit 10 000 Menschen zulassen. Ein vernünftiger Entscheid?

Es ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, er geht für uns von der IG Perspektive aber zu wenig weit. Vor allem ist die Ankündigung zu wenig detailliert. Wir hätten uns, ähnlich wie in England, eine Roadmap mit konkreten Öffnungsdaten gewünscht.

Was meinen Sie konkret?

Die Gesundheit steht an erster Stelle, keine Frage. Doch Planungssicherheit braucht Daten. Es ist wohl mehr als klar, dass, sollte sich die epidemiologische Lage verschlechtern, die Roadmap entsprechend nach hinten angepasst werden muss. Mit einer Maximalkapazität von 3000 Personen mit Zweidrittel-Auslastung kann kein grösseres Festival über die Bühne gehen. Sind in dieser Zahl Mitarbeitende, Akteure und Cateringpersonal mitberechnet, sind es schlussendlich nur noch nur 2500 Zuschauerinnen und Zuschauer.

Der Schutzschirm soll ja eine Ausfallentschädigung sein für Anlässe, die zwar eine Bewilligung haben, dann aber doch wieder abgesagt werden müssen?

Ja, das stimmt. Allerdings muss zuerst geklärt werden, wer die Bewilligungen ausstellt, danach benötigen die Kantone dazu die rechtliche Handhabe. Ausserdem gilt der Schutzschirm nur bis im April 2022. Doch die Planung vieler Veranstaltungen geht weit über den nächsten Sommer hinaus.

Wie ordnen Sie die Arbeit des Bundes und der Covid-Taskforce bis jetzt ein?

Ich kann nicht über Richtig und Falsch richten. Was ich nachvollziehen kann: Alle wurden mit einer Situation konfrontiert, die wir uns nicht einmal im Traum vorstellen konnten. Dies stellte auch den Bund und die Taskforce vor eine herausfordernde Aufgabe. Jede Organisation und jeder Verband haben ihre eigenen Interessen und Anliegen in Bern eingereicht. Deshalb haben wir die IG Perspektive gegründet – damit Sport, Kultur und Events in dieser Angelegenheit mit einer Stimme vorsprechen. Die Voraussetzungen sind für die einzelnen Veranstalter sehr unterschiedlich. Doch gemeinsam können wir mehr erreichen. Momentan sind wir zufrieden. Wir haben uns Gehör verschafft und werden vonseiten BAG, Seco und Kantonsregierungen zu Gesprächen eingeladen.

Das Open-Air Gampel hat am Mittwoch kommuniziert, den Grossanlass im September mit 10 000 Leuten durchführen zu wollen. Ein realistisches Szenario?

Jeder Veranstalter muss das selbst entscheiden. Wenn ich die vorliegende Vernehmlassung lese und richtig verstanden habe, sind sämtliche Mitarbeitenden sowie Akteure in dieser Zahl miteingeschlossen. Somit dürfen nur noch rund 9000 Besucherinnen und Besucher auf das Festivalgelände. Offen ist der Punkt der Abstandregel, wenn alle Personen auf «GGG» – geimpft, genesen und getestet – sind.

Und was ist mit den Tests?

Da sind offene Fragen. Benötigt es einen Schnelltest vor Ort oder wird ein personifzierter PCR-Test verlangt? Bis das Resultat eines PCRTests vorliegt, dauert es Stunden – zudem kostet jeder Test rund 180 Franken. Sie sehen: Zunächst lesen sich die Ankündigungen sehr gut, geht man aber etwas in die Tiefe, stellt sich sehr schnell die Frage nach der konkreten Umsetzung. Wir brauchen ein internationales Kontrollsystem, auf dem die Gesundheitsdaten abrufbar sind und so Zutritt zu Restaurants, Konzerten oder Sportevents speditiv ermöglicht wird.

Ende März wurde das Gurtenfestival abgesagt. Hätte man aus heutiger Sicht besser noch zuwarten sollen?

Ich denke, der Entscheid war richtig. Ein Gurtenfestival mit 3000 Personen im Juli ist undenkbar. Zurück zur Roadmap: Sie wäre gerade deswegen so wichtig, weil sie eine rechtliche Grundlage schaffen würde. Die sind zwingend, um einem Künstler oder generell einen Anlass abzusagen. Wir planen weiterhin zwei verschobene Konzerte aus dem Jahr 2020 mit Elton John im Oktober in Zürich. Allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen.

Ein bestuhltes Konzert im Hallenstadion mit rund 9500 Zuschauern scheint möglich.

Mit ziemlicher Sicherheit müssen sämtliche Tickets mit den Namen der Besuchernden registriert sein, so dass bei einer Ansteckung der Herd evaluiert werden kann.

Wie steht es um die Schweizer Eventbranche insgesamt? Das Gurtenfestival fällt nun schon zum zweiten Mal aus.

Die Kulturbranche hat im Rahmen der Pandemie ziemlich schnell und unbürokratisch Hilfe erhalten. Deswegen muss man den Finanzdirektoren von Bund und Kantonen ein Kränzchen widmen. Ausfallversicherungen und Kurzarbeit – das funktioniert insgesamt relativ gut, andere Länder kennen solche Massnahmen nicht. Den Veranstaltern geht es dadurch zwar nicht besser, die Lage ist aber auch nicht so dramatisch. Ich vergleiche die Lage mit einem Seiltänzer, unter dem sich immerhin ein Auffangnetz befndet. Hingegen steht einigen Zulieferern wie Technikfrmen, Stagehands, Fachpersonal, Sicherheitspersonal und Lokalitäten das Wasser bis zum Hals.

Neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Ansteckungsgefahr bei Anlässen im Freien gegen Null tendiert.

Es wurde noch deutlich mehr bewiesen: Im vergangenen Oktober haben kurzzeitig Eishockeyspiele im Innenraum sowie Fussballspiele und einige Konzerte stattgefunden, in Bern spielte der Zirkus Knie. Von diesen Anlässen ist kein einziger Coronafall bekannt, die Schutzkonzepte haben zu hundert Prozent funktioniert. Schliesslich preschte Pierre Alain Schnegg als erster Gesundheitsdirektor vor, verhängte Verbote – und die anderen Kantone zogen nach. Fairerweise muss man sagen, dass er jetzt einer der ersten war, der einer koordinierten Öffnung positiv gegenübersteht.

Was wünschen Sie sich von den Behörden?

Für uns als Veranstalter ist die Gesundheit zentral. Es geht um eine Planungssicherheit, es geht um das Überleben und die Zukunft diverser Sportklubs, vieler Events mit grosser internationaler Ausstrahlung, soziale Kontakte und die Jugend, die wieder frei sein möchte. Wir brauchen wieder eine Perspektive, eine Roadmap kann diese vorgeben. Alle haben sollte sich die epidemiologische Situation verschlechtern, was ich nicht hoffe Verständnis, dass diese Roadmap zeitlich gegen hinten angepasst werden muss.

Feiern wir nächstes Jahr wieder Eishockeyfeste und Konzerte mit 20 000 Menschen?

Ja! Das Verlangen, Events, ob grosse oder kleine, zu besuchen, ist riesig, das merke ich bei mir selber. 2022 kommt eine Fülle von Veranstaltungen auf uns zu vieles, das abgesagt und verschoben werden musste, wird nachgeholt. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass durch Kurzarbeit weniger Geld vorhanden ist: Es darf zwar wieder gereist werden, die Restaurants sind wieder offen, Familienfeste dürfen wieder stattfinden. Jeder wird seine eigene Priorität haben. Für uns Veranstalter ist es wichtig und zentral, mit einheitlichen Schutzkonzepten das Vertrauen der Besucher zurückgewinnen zu können. Und diese Konzepte auch konsequent umsetzen.

Sind Sie sind also optimistisch?

Definitiv. Wir alle sehnen uns nach Normalität. Es wird nicht mehr ganz so sein wie vor der Pandemie, «GGG» wird uns begleiten … und es sind Geduld und Toleranz gefragt: Wir müssen uns wieder an die neue Normalität herantasten. Doch dann geht es wieder los. Und wir sind mitverantwortlich, dass es so bleibt.

Yves Schott

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