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«Dann müssen wir wohl den ‹Giftschrank› öffnen»

Geld von der FIFA, Zustüpfe fürs Stadtpersonal – Berns Budget steht immer wieder in der Kritik. Zu Recht? Der oberste Finanzchef nimmt Stellung.

Wie setzen sich die Einnahmen der Stadt Bern zusammen? Woher bekommt die Stadt ihr Geld?
Der grösste Teil sind Steuereinnahmen, über 500 Millionen Franken. In dem Zusammenhang ist mir wichtig zu sagen, dass die Stadt Bern die Cash-cow des Kantons Bern ist. In der Stadt werden pro Jahr über zwei Milliarden Franken Steuern generiert, der Grossteil, rund eine Milliarde, geht an den Kanton. Das geht manchmal etwas vergessen.

Ein anderer Teil sind ja Darlehen. Auf welchen Grundlagen werden diese aufgenommen?
Die Steuereinnahmen fallen mit den drei jährlichen Steuerraten unregelmässig an. Zum Überbrücken muss die Stadt kurzfristige Gelder aufnehmen. Zudem: Momentan investiert die Stadt jährlich rund 130 Millionen Franken in die Infrastruktur. Diese Investitionen können nicht vollständig selbst finanziert werden. Deshalb müssen wir neben kurz- auch langfristige Kredite aufnehmen. So steigt die Verschuldung, die wir künftig wieder reduzieren müssen.

Sprechen wir von Jahren oder Jahrzehnten, bis die Schulden wieder abnehmen?
Wir müssen viele unserer Eis- und Wasseranlagen sanieren und Schulraum bauen, weil unsere Schülerinnen- und Schülerzahlen stark wachsen. Deshalb werden die Schulden auf absehbare Zeit nicht abnehmen. Manche wünschenswerte Projekte wie beispielsweise die Velobrücke haben wir auf unbestimmte Zeit verschoben, damit die Schulden nicht zu stark steigen.

Gibt es einen konkreten Zeitplan?
Die Investitionsplanung berücksichtigt acht Jahre. Es gibt bei der Umsetzung von Infrastrukturprojekten aber Verzögerungen, und es kommen laufend neue Projekte hinzu. Es handelt sich somit um eine rollende Planung.

Wie funktioniert die Kapitalbeschaffung im Detail?
Die Stadt Bern braucht kurzfristige Darlehen, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken, und langfristige Darlehen zur Finanzierung der Investitionen. Die Kapitalbeschaffung ist bei beiden Arten die gleiche. Banken, Pensionskassen und andere Institutionen bieten Gelder an. Parallel dazu gibt es Portale, auf denen Darlehensanfragen ausgeschrieben werden und Investoren ein Angebot einreichen können. Aktuell gilt, dass die Kapitalgebenden Sitz in der Schweiz haben und das Angebot in Schweizer Franken erfolgt. Bisher wurde das günstigste Angebot angenommen.

Wie äussern Sie sich zu der aktuellen Ethik-Diskussion bei der Aufnahme von Krediten durch die FIFA?
Dass die Stadt Bern bei der FIFA Geld aufnimmt, ist bekannt und im Jahresbericht nachzulesen. Die zuständige Kommission des Stadtrats haben wir vor Jahren darüber informiert. Aufgrund der Diskussionen um die Weltmeisterschaft in Katar hat das Thema in der Öffentlichkeit Brisanz erhalten.

Wollen Sie das zum Anlass nehmen, Kapitalgebende in Zukunft auf ethische Grundsätze zu prüfen?
Das Anliegen ist berechtigt! Es stellen sich rechtliche, ethische und ökologische Fragen. Wir werden prüfen, wie wir die Aufnahme von Darlehen in Zukunft handhaben wollen und nach welchen Kriterien Fremdkapital aufgenommen werden soll. Das müssen wir sauber abklären.

Was macht Bern, um selbstständig mehr Geld einzunehmen?
Wir werden weiter an der hohen Attraktivität der Stadt arbeiten. Stichwort: Lebensqualität. Und wir schaffen neuen Wohnraum. So können wir neue Steuerzahlende gewinnen.

Warum gibt die Stadt Bern immer mehr Geld aus, obwohl der Schuldenberg wächst? Luxusspielplatz, Teuerungsausgleich für Mitarbeitende?
Das sind zwei verschiedene Sachen. Die Stadt wächst, es braucht neuen Schulraum und zusätzliche Infrastruktur. Der Boden ist knapp und die Stadt Bern muss trotzdem öffentlichen Raum zur Verfügung stellen. Im Quartier fehlt es an solchem Raum und wir müssen den Spielplatz zum Preis von Bauland kaufen. Es bleibt aber eine langfristige Landreserve für städtischen Wohnungsbau. Zum Personal: Wichtig ist zu wissen, dass das Personal der Stadt Bern bei allen Sparmassnahmen betroffen war und wir Stellen abbauen. Zudem stehen wir im Wettbewerb um gutes Personal – Stichwort «Fachkräftemangel». Wenn wir keine konkurrenzfähigen Anstellungsbedingungen bieten – auch beim Lohn –, werden uns bald einmal Fachkräfte fehlen.

Gibt es aus Ihrer Sicht Ausgaben, die klar überflüssig sind, man sich aber noch nicht getraut hat, sie abzuschaffen?
Wir haben eine hohe Lebensqualität; das wird von der Bevölkerung gewünscht und geschätzt. Bei jeder Ausgabe geht es darum, ob man sie sich leisten kann. Im Rahmen von drei Sparpaketen haben wir eingehend geprüft, wo gespart werden kann. Die Stadt wächst und die nötige Infrastruktur muss gebaut werden. Und der Klimawandel erfordert neue Ausgaben. Sollte ein weiteres Haushaltsentlastungspakt nötig sein, müssten wir erneut alle Leistungen prüfen und wohl auch den «Giftschrank» öffnen.

Kurze Antwort bitte: Sie schreiben auf Ihrer Website: «Sicherung nachhaltiger Stadtfinanzen durch eine umsichtige Finanz- und Investitionsplanung.» Können Sie das noch guten Gewissens vertreten?
Ja!

Was könnte man Ihrer Meinung nach im Berner Finanzhaushalt verbessern?
Was wir mit drei Entlastungspaketen erreicht haben, hat ausserhalb von Bern Anerkennung gefunden. Wir haben eine Herkulesaufgabe gemeistert. Wir haben vorerst unsere Hausaufgaben gemacht. Meine Hauptaufgabe wird sein, das Parlament zu überzeugen, den Kurs zu halten. Wir dürfen jetzt nicht die Handbremse lösen.

Wer sind die grössten Steuerzahler in Bern?
Das ist Steuergeheimnis. Da darf ich keine Auskunft geben. Aber von natürlichen Personen nimmt die Stadt rund 370 Millionen Franken an Steuergeldern ein und von juristischen mit jeweils stärkeren Schwankungen rund 90. In Bern haben wir bei den juristischen Personen zum Glück kein Klumpenrisiko, indem wir beispielsweise nur zwei oder drei ganz grosse Steuerzahlende haben.

Gibt es Superreiche in Bern?
Also wir sind hier nicht in Gstaad (lacht). Aber auch diese Information unterliegt dem Steuergeheimnis.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass die Stadt Bern für Reiche nicht attraktiv sei?
Die Lebensqualität der Stadt Bern ist sehr hoch. Hier hat es alles, was es braucht. Auch aus steuerlicher Sicht sind wir attraktiv. Der Steuersatz der Gemeinde liegt unter dem kantonalen Benchmark. Die Kantonssteuern, welche zwei Drittel ausmachen, scheren im schweizweiten Vergleich nach oben aus.

Dennis Rhiel

Michael Aebersold (61) ist in Bern geboren. Der SP-Politiker ist promovierter Chemiker. Seit 2017 ist er Teil der Berner Stadtregierung und Vorsteher der Direktion für Finanzen, Personal und Informatik. Er schwimmt ganzjährig in der Aare, kocht gern und fährt Rennvelo.

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