Die Corona-Auflagen fürs Gastgewerbe sind streng. Zu Recht, findet GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Denn eine zweite Pandemiewelle wäre für die Wirtschaft verheerend.
Seit dem 11. Mai sind Bars und Restaurants wieder geöffnet. Kommt der Restart zu früh?
Man muss differenzieren, und wir werden es erst im Nachhinein wissen. Aus Sicht des Gastgewerbes erfolgt die Lockerung eher spät, die Situation in dieser Branche ist alles andere als einfach. Ob die Gäste dann auch tatsächlich kommen, muss sich allerdings erst noch zeigen. Das Wetter dürfte hier eine entscheidende Rolle spielen und die Tatsache, ob die Betriebe die Räumlichkeiten haben, um die Schutz- und Abstandskonzepte einzuhalten.
Und wie lautet Ihre persönliche Meinung als GLP-Nationalrätin?
Wir Politikerinnen und Politiker wollen vor allem das Risiko einer zweiten Infektionswelle auf ein Minimum reduzieren. Deshalb sind die Schutzkonzepte im Gastronomiebereich so wichtig. Ob die Öffnung zum richtigen Moment kommt, masse ich mir nicht an zu beurteilen, da halte ich mich an die Weisungen des Bundesrats, welcher sich wissenschaftlich abstützt. Ich hoffe, die Lockerung klappt so gut wie beispielsweise in Österreich.
Sie sprechen die Schutzkonzepte an: Sie wirken streng, vielleicht sogar etwas übertrieben.
Wie gesagt: Die Infektionszahlen dürfen auf keinen Fall wieder steigen. Die langfristigen Folgen für die Wirtschaft wären verheerend.
Wieso?
Weil Lockerungen nach einem erneuten Lockdown nicht so schnell erfolgen würden wie jetzt – denn das würde ja bedeuten, dass die jetzige Strategie gescheitert wäre. Die Bevölkerung würde das Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger verlieren, es gäbe soziale Spannungen und einen Vertrauensverlust. Ausserdem ist es aus meiner Sicht kaum verantwortbar, die Kinder noch länger nicht in die Schule zu schicken; das Bildungsgefälle würde sich weiter vergrössern.
Die SVP hatte es mit dem Restart extrem eilig, SP und Grüne hingegen erwiesen sich in den letzten Wochen als besonders obrigkeitsgläubig und bremsten, wo es nur ging.
Wir Grünliberale haben uns immer auf die Wissenschaft berufen. Wir sind der Meinung, man soll dort öffnen, wo es möglich und umsetzbar ist, weil die Abstandsregeln eingehalten werden können. Der Zeitpunkt spielte bei uns eine eher untergeordnete Rolle. Was wir nicht möchten, ist Wettbewerbsungleichheit.
Sie reden von den viel diskutierten, ungleichen Spiessen zwischen Grossverteilern und kleinen Betrieben.
Ja, das erschien uns unlogisch. Zu Ihrer vorherigen Bemerkung: Wenn eine Seite zuerst fordert, sofort alles dichtzumachen und die Grenzen zu schliessen, um danach am besten gleich wieder zu öffnen, finde ich das populistisch. Klar soll man, wo möglich, den Betrieb aufnehmen, aber nur dort, wo es gesundheitspolitisch vertretbar ist. Den anderen, die am liebsten abwarten würden, bis die Fallzahlen bei Null stagniert hätten, entgegne ich, dass wir leider lernen müssen, mit den neuen Bedingungen und dem Virus zu leben, bis eine flächendeckende Impfung zur Verfügung steht.
Verspüren Sie persönlich denn momentan überhaupt Lust, auswärts essen zu gehen?
Oh ja. (lächelt) Ich freue mich auf den ersten Brunch im Au Capitaine und auf das erste Bier im Barbière. Die Leute trinken dann halt an einem Tischchen draussen, ich finde es jedoch wichtig, jene zu unterstützen, die mir in meinem Quartier etwas bedeuten.
Was bestellen Sie im Restaurant am liebsten?
Mit einem guten Teller Spaghetti bin ich schon sehr zufrieden. (lacht)
Sind Sie Vegetarierin?
Nein. Aber ich esse aus ökologischen Gründen nur selten Fleisch.
Wie haben Sie die Corona-Krise erlebt?
Ich habe viel gearbeitet und Projekte verfolgt, die zum Glück weiterlaufen. Und ich habe viel Zeit mit meiner Tochter verbracht. Persönlich hat mich besorgt, wie viele Unternehmen, die gar nicht betroffen waren, auf einmal mit dem Gedanken gespielt haben, aus der Lage Profit zu ziehen. Dabei braucht es selbstverständlich so viel Hilfe wie nötig, aber eben auch nur so wenig wie möglich, vor allem dort, wo die Einkommen tief sind und in Branchen, die von Schliessungen betroffen sind. Aber ich finde es schwierig, wenn jedes Unternehmen gleich Kurzarbeit anmeldet, nur weil das die Wettbewerber auch tun. Ich denke, die Krise hat unser Staatsverständnis stark beeinflusst. Zahlreiche Firmen, die sich zuvor einen freien Markt gewünscht hatten, haben jetzt erlebt, dass dieser in Krisen keinen Rettungsanker darstellt. Es ist ein enormer Vorteil, sich auf einen starken Staat verlassen zu können.
Was hat Sie in den letzten Wochen am meisten genervt?
Dass, sobald sich ein Land im Krisenmodus befindet, ein Rückschritt in längst vergangen geglaubte Zeiten erfolgt. Man besann sich auf Altbewährtes. Hier ein Zeitungsinterview mit einem Alt-Bundesrat, dort ein Wirtschaftsfachmann. Wissenschaftlerinnen, weibliche Expertinnen generell kamen in der medialen Berichterstattung auf einmal grad nicht mehr vor. Männer haben uns die Welt erklärt, obwohl es doch viele Frauen waren, die in den Spitälern, in den Supermärkten oder in der Kinderbetreuung das Land durch die Krise gesteuert haben.
Wo verbringen Sie Ihre Sommerferien?
Geplant war eine Zugreise ins Ausland. Einen Plan B habe ich nicht. Nun fahre ich wahrscheinlich in die Berge oder an einen See.
Verraten Sie uns doch zum Schluss, worauf wir uns in den kommenden Monaten einstellen müssen.
Wir sollten mit Vorsicht an alles herangehen, um die zurückgewonnene Freiheit zu geniessen. Die Situation ist noch nicht gelöst.
Yves Schott