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Demonstrationen und Events, Traditionen und Charakterköpfe

Ist er der Gemeinderat der Stunde? Jedenfalls liefern in diesen Wochen Reto Nauses Stellungnahmen und Direktion die häufigsten Schlagzeilen aus der Berner Stadtregierung. Und es steht in naher Zukunft noch einiges an.

Reto Nause, wie würden Sie Ihre Stimmung derzeit beschreiben?
Persönlich sehr gut. Beruflich ist sie stark eingetrübt.

Sie sprechen die Donnerstags Demonstrationen von Corona Massnahmenkritikern an.
Die Aufrufe werden kaum verebben und dürften sich bis zum 28. November hinziehen.

An diesem Sonntag stimmt die Schweiz über das Covid-Gesetz ab.
Richtig. Meiner Meinung nach sollten wir mal wieder einen Diskurs darüber führen, wie weit die Freiheit eines Einzelnen gehen darf.

Nämlich?
Sie hört dort auf, wo sie die Freiheit der anderen tangiert. Denn derzeit nehmen sich donnerstags Tausende die Freiheit heraus, 300000 Bernerinnen und Bernern sowie AggloBewohnenden das Shoppingerlebnis im Abendverkauf zu vermiesen und den ÖV zu kappen. Ich finde das anmassend.

Soziologieprofessorin Katja Rost erklärte kürzlich im Bärnerbär, dass Demonstrationen unbedingt zu erlauben seien, da sie zu den demokratischen Grundrechte gehörten.
In Bern fanden allein im September rund zehn Kundgebungen statt, die unter dem Titel Corona-Skepsis einzuordnen sind. Sie wurden teilweise auch bewilligt. Ich sass zudem mit den Verantwortlichen am Tisch und war bereit, einen weiteren Protestmarsch rund einen Monat vor der Abstimmung zu bewilligen. Im Gegenzug habe ich verlangt, dass nicht jeden Donnerstag demonstriert wird. Darauf hatten wir uns geeinigt – bloss wurde die Abmachung von der anderen Seite schon nach kürzester Zeit wieder für nichtig erklärt. Ausserdem ist aus dieser Bewegung niemand mehr dazu bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Wieso?
Weil ein Diskurs geschürt wurde – und ich habe mir etliche solcher Reden angehört –, der von grosser Aggressivität geprägt war, von Respektlosigkeit gegenüber politischen Entscheidungsträgern. In meiner Inbox stapeln sich zig Mails mit nicht druckreifen Botschaften. Ich habe den Eindruck, den Urhebern entgleitet die Kontrolle. Man muss bloss mal an einem Donnerstag rausgehen und sehen, was da passiert. Das macht mir Sorgen.

Werden Sie bedroht?
Manche Bürgerinnen und Bürger fordern, mit dem eisernen Besen durch die Innenstadt zu wischen. Handkehrum vergreifen sich gewisse Skeptiker in ihren Nachrichten an mich massiv in der Wortwahl. Trotzdem schreiben wir ihnen samt und sonders zurück.

Stehen Sie einem Dialog mit Letzteren nach wie vor offen gegenüber?
Klar. Ich möchte als Gegenleistung jedoch Verbindlichkeit und Verantwortung spüren. Es kann nicht sein, dass zu den unbewilligten Kundgebungen auch noch bewilligte dazukommen. Sonst gibt es schliesslich am Donnerstag plus am Samstag Einschränkungen. Nur eben: Wenn ich mit diesen Leuten über vier Stunden an einem Tisch sitze, einen Deal einfädle, innerhalb von vierzig Minuten die Zustimmung des Gesamtgemeinderates hole und dann von den Kritikern eine Stunde später eine Absage kassiere, finde ich das schwierig.

Ihr Tweet, in dem Sie vom «Sturm aufs Bundeshaus» sprachen, wurde intensiv diskutiert und kritisiert. Halten Sie die Wortwahl nach wie vor für richtig?
Ja, weil er beweist, was im Netz seit Wochen zirkuliert: Bilder des Kapitols in Washington verbunden mit der indirekten Aufforderung, solches hier ebenfalls zu tun. Im Nachhinein haben wir dann ja tatsächlich festgestellt, dass der Zaun vor dem Bundeshaus mit Werkzeug manipuliert worden war. Wenn 50 Personen gleichzeitig an so einer Vorrichtung rütteln, gerät sie ins Schwingen. Szenen, die man sonst aus dem Fussball kennt. Sperren sind zu beachten – sonst greift die Polizei ein.

Auf Portalen wie klagemauer.tv war die Rede davon, für die Manipulationen sei die Antifa verantwortlich.
Die Antifa hat gezielt zu Gegenkundgebungen aufgerufen, das ist kein Geheimnis. Bestimmte Antifa-Kreise hielten sich zudem an den bekannten Donnerstagen jeweils in der Stadt auf – deshalb kam es ja mitunter zu diesen Ausschreitungen. Am Zaun selbst hat allerdings nicht die Antifa gerüttelt.

Wie also sieht Ihre Strategie aus?
Erstens gebe ich diese nicht preis. Zweitens hängt sie ab von den jeweiligen Geschehnissen an einem bestimmten Donnerstag. Passiert zum Beispiel an einem Donnerstag etwas Gröberes, fällt die Beurteilung für den Donnerstag danach anders aus, als wenn nur 25 Personen erscheinen würden. Die Leidtragenden in der ganzen Geschichte sind übrigens die Einsatzkräfte: Familienmütter und -väter, die an der Front stehen und die riskieren, verletzt zu werden und ihre Freitage verschieben müssen.

Finden Sie, die Schweiz hat in der Pandemie bis jetzt einen guten Job gemacht?
Ich glaube schon. Das wird uns ja in verschiedenen Ratings attestiert. Kürzlich waren meine Cousinen aus Deutschland zu Besuch – auch bei uns wurden Parks gesperrt, aber mit Augenmass. Ausgangssperren waren hier hingegen kein Thema. Als ich ihnen Fotos von geöffneten Skipisten schickte, hatten sie Tränen in den Augen.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Es stehen zahlreiche Events wie das Rendez-vous Bundesplatz oder der Zibelemärit an. Bei letzterem hat die Stadt ein Alkoholverbot ausgesprochen.
Im öffentlichen Raum, richtig. Bern verfügt jedoch über innovative Beizen mit Schutzkonzepten, wo man sich gerne fantastischen Glühwein gönnen kann – und damit jene unterstützt, die finanziell spürbar unter Corona gelitten haben.

War 3G für den Zibelemärit nie ein Thema?
Wenn 3G, dann hätte er massiv reduziert werden müssen. Denn normalerweise befinden sich am Zibelemärit rund 600 Stände – und Bern verfügt über keinen Platz, der eine solche Anzahl stemmen könnte und gleichzeitig eine Zugangskontrolle möglich wäre. Wollen wir den Zibelemärit in seiner ursprünglichen Grösse beibehalten, benötigt es die Gassen. Die Innenstadt zu einer 3G-Zone zu erklären, das funktioniert nicht: wegen den Anwohnern und Geschäften. Ordnungsgemässe Zutrittskontrollen wären schlicht unmöglich.

Und deswegen kein Alkohol.
Wir haben tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, den Zibelemärit auf die Stände zu reduzieren; irgendwo im Perimeter Bundesplatz, Bärenund Waisenhausplatz – inklusive Einund Ausgangskontrolle. Doch das ist nicht der Charakter des Zibelemärits: Es braucht neben den Zibeleständen Stände mit Waren und Essen. Die verwinkelten Gassen Berns gehören zum Zibelemärit-Erlebnis dazu.

Wie sieht es mit den Weihnachtsmärkten aus?
Sie sind geografisch klar begrenzt. Dort wird aktuell diskutiert, wie man sie organisieren könnte. Am Ende müssen auch die Betreiberinnen und Betreiber mit den Bedingungen einverstanden sein, sie haben die ökonomischen Risiken zu tragen. Das wird oft vergessen.

Die Anlässe sind also fix?
Der Zibelemärit ist beschlossene Sache. Für das Rendez-vous Bundesplatz wurden die Einladungen zur Premiere soweit ich weiss verschickt. Wir haben entgegen dem letztjährigen Beschluss des Stadtrates diesem Event finanzielle Unterstützung zugesprochen, da wir der festen Überzeugung sind, dass solche Veranstaltungen die Belebung der Innenstadt fördern und damit der Hauptkatalysator sind, um wieder Normalität herzustellen. Wir versuchen zu ermöglichen, was möglich ist – mit der gebotenen Verantwortung.

In Ihre Zuständigkeit fällt bekanntermassen der Wechsel in der Tierparkdirektion: Bernd Schildger geht, Friederike von Houwald kommt. Wie würden Sie sie beschreiben?
Ebenfalls ein Charakterkopf, jedoch ein anderer. Bernd Schildger fallen ohne Wenn und Aber riesige Verdienste, etwa bei der Entwicklung des Tierparks, beim Bärenpark und bei der Tierhaltung, zu. Friederike von Houwald wird neue Akzente im Bereich der Biodiversität und Artenschutz setzen. Philosophisch gesehen die richtige Fortführung des Mottos «Mehr Platz für weniger Tiere».

Lustigerweise stellen Sie immer Deutsche an!
Es trafen Bewerbungen aus ganz Europa ein. Zoodirektoren sind hierzulande ziemlich rar gesät (lacht). Rekrutierungen fielen direkt in die Coronazeit, erste Gespräche wurden via Zoom geführt. Gewisse hätten sich, wären sie hierhergefahren, bei ihrer Rückkehr in Quarantäne begeben müssen.

Zum Schluss: Freuen Sie sich auf die kommenden Monate?
Als Person Reto Nause definitiv. Als Sicherheitsdirektor … (überlegt kurz) Falten auf der Stirn.

Yves Schott

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