Cap Fambaugenossenschaft 12

«Den Ausdruck ‹Wohnungsnot› halte ich für unangebracht»

Was ist so schlimm an sozialem Wohnungsbau? Und wieso will niemand in Jegenstorf leben? Adrian Haas und Walter Straub vertreten zwar verschiedene Verbände – trotzdem sind sie häufig einer Meinung.

Adrian Haas ist Präsident des Hauseigentümerverbands Bern und Umgebung HEV, Walter Straub Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft Fambau, die grösste ihrer Art im Kanton Bern.

Walter Straub, in der Schweiz stehen fast 80 000 Wohnungen leer, wie das Bundesamt für Statistik Anfang letzter Woche bekanntgab. Von Wohnungsnot kann keine Rede sein.
Jein. In der Stadt liegt die Leerwohnziffer bei rund 0,5 Prozent, grosse Leerstandslisten existieren kaum. Wie gross der Bedarf an Wohnraum ist, zeigt folgendes Beispiel: Die Wohnungen des Leuchtturmprojekts Papillon in Ried bei Köniz wurden erst im Mai fertiggestellt, im Oktober ziehen nun bereits die letzten Mieterinnen und Mieter ein.
Adrian Haas: Ich halte den Ausdruck «Wohnungsnot» für unangebracht. Das würde ja bedeuten, dass keine zumutbaren Wohnungen vorhanden sein würden. Es stimmt: In der Stadt ist der Spielraum in dieser Hinsicht begrenzt. Nicht weit vom Zentrum entfernt steigt der Leerwohnbestand aber schon deutlich an. Zollikofen etwa weist eine Quote von 3,8 auf, Jegenstorf sogar eine über 4. Von dort aus ist man mit dem RBS in 14 Minuten am Bahnhof, alle 15 Minuten fährt ein Zug. In der Stadt Bern liegt der Durchschnittspreis für eine Vierzimmerwohnung übrigens bei 1534 Franken und ist daher kein Preis-Hotspot.

Sofern man denn eine findet. Doch manche Leute möchten aus der Stadt halt gar nie wegziehen.
Haas: Einverstanden, dann sollte aber nicht von einer Notlage die Rede sein. Es wird bloss ein gewisser Wunsch nicht erfüllt. Ich habe auf Immoscout nachgeschaut: Im Umkreis von fünf Kilometern vom Stadtzentrum weg finden sich insgesamt neun Vierzimmerwohnungen mit einem Mietzins von maximal 1500 Franken. Nein, die Region Bern hat weder ein Mietzins- noch ein Angebotsproblem. In der Stadt selbst sieht es anders aus, natürlich, praktisch jeder möchte urban leben. Was allerdings zur Folge hat, dass es sich ausserhalb leert, weil immer weniger dort wohnen.

Eine Viertelstunde mit dem Zug zur Arbeit – das scheint doch mehr als zumutbar.
Straub: Ein Teil der Bevölkerung möchte aus ökologischen Gründen kein Auto mehr fahren, für sie ist es einfacher, urban zu wohnen und dort zu leben, wo man arbeitet. Was wir feststellen: Je weiter weg von Bern, desto schwieriger wird es, eine Liegenschaft an den Mann oder an die Frau zu bringen.

Also sind die Menschen für die Engpässe selbst verantwortlich?
Haas: Unis und Fachhochschulen ziehen mehrere Tausend Studierende an, häufig von ausserhalb. Wo möchten Sie wohl am liebsten wohnen, wenn Sie in der Länggasse studieren würden? Genau: als Wochenaufenthalter möglichst in der Nähe des Bahnhofs. Sie beziehen diese Wohnung zusammen mit ein bis zwei anderen Personen – und besetzt ist das Objekt. In Freiburg zeigt sich eine ganz ähnliche Situation.
Straub: Bilder wie in Zürich, wo Menschen «kilometerlange» Schlangen für eine einzige Wohnungsbesichtigung bilden, kennen wir hier kaum. Aber klar: Studierende möchten oft am liebsten in den Finken in den Hörsaal.

Wir korrigieren: Nicht Menschen generell, sondern spezifisch Studierende sind verantwortlich für die Misere?
Straub: Sie spielen sicherlich eine Rolle. Abgesehen davon, dass sich WGs für Vermieter besser rechnen als Familienwohnungen. Was ich ebenfalls feststelle: Die Länggasse wurde von gewissen politischen Exponenten verkehrsberuhigt und in den letzten Jahren ein wenig kaputtgemacht. Sie war früher ein Arbeiterquartier mit billigen Wohnungen und viel Verkehr. Heute lebt dort eine Klientel, die Ruhe sucht. Entsprechend sind die Preise gestiegen, aus einer provozierten Situation heraus.

Das Problem liesse sich eigentlich relativ simpel mit sozialem Wohnungsbau lösen. Doch dagegen sträubt sich die FDP meist.
Haas: Wir sind absolut dafür, in Zentrumsgebieten mehr Wohnungen zu erstellen. Ich möchte aber eines festhalten: Engpässe gibt es nicht in einem bestimmten Segment. Angebote für Familien sind genau so rar wie Wohneigentum. Nicht der Preis ist das Problem, sondern die vorhandene Menge an Objekten. Wer Mietobjekte baut, ob Genossenschaften oder private Unternehmungen, spielt folglich weniger eine Rolle.

Der Markt spielt also?
Straub: Davon bin ich überzeugt. Schwarze Schafe bei ungerechtfertigten Preissteigerungen finden sich immer, doch am Ende des Tages ist es halt so: Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, ziehen die Preise an, das ist ein marktwirtschaftliches Gesetz.

Ihre Schlussfolgerung lautet: Dramatisch ist die Lage nicht!
Straub: Hier in Bern nutzt die breite Masse die Situation nicht aus. In Genf zum Beispiel ist die Marktsituation viel dramatischer.

Was ist mit verdichtetem Bauen? Dieses Zauberwort geistert schon länger rum.
Haas: Es ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, wobei sich das Stadtplanungsamt mit der Mehrausnutzung von manchen Terrains schwertut. Der sogenannte Bauklassenplan besagt, wo wie hoch gebaut werden darf – in diesem Bereich wäre mehr möglich, die Regelungen sind hier ziemlich restriktiv.

Woran hapert es sonst noch?
Straub: Ich persönlich bekunde Mühe mit der Haltung des Heimatschutzes. Ich verstehe nicht, wieso 60 Jahre alte Siedlungen durch alle Instanzen hindurch geschützt werden sollen – von der Altstadt vielleicht einmal abgesehen. Um neuen Wohnraum zu schaffen, müssen keine Grünflächen überbaut, sondern bestehende Flächen effizienter genutzt werden. Haas: Absolut korrekt. Gerade Ersatzneubauten weisen ein hohes Bauvolumen mit modernem Komfort auf – ein gutes Beispiel ist die Überbauung Stöckacker Süd: Dort existieren nun mehr Wohnungen als zuvor. Deshalb ist es so wichtig, Altbauten mal ersetzen zu dürfen.

Wenn Sie einem Familienmitglied einen Tipp geben sollten, um an eine möglichst attraktive Wohnung zu gelangen – wie würde er lauten?
Haas: Webportale liefern unzählige Suchresultate. Ausserdem sollte man sich von seinen starren Wünschen lösen – wer flexibel ist und einige Minuten Tramfahrt in Kauf nimmt, wird sicher fündig. Bezüglich Arbeitsweg sind wir in Bern ja sehr verwöhnt. Und ich rede nicht von jenen, die eine Stunde nach Zürich pendeln.
Straub: Ich stimme dem zu. Es braucht die Bereitschaft, nicht zwingend im Zentrum leben zu wollen. Ein Auto ist auch in der Agglomeration nur selten nötig. Flexibilität und eine einsprechende Lebenseinstellung wären eine gute Basis.

Welche heissen Eisen müssen noch angesprochen werden?
Haas: Mieterinnen und Mieter von sogenannt «günstigem Wohnraum mit Vermietungskriterien» (GüWR) in Liegenschaften der Stadt Bern zahlen bis zu einem bestimmten Einkommen einen definierten Zins. Fallen sie aus dieser Limite raus, etwa wegen einer Erbschaft, wird eine höhere Miete fällig, ohne dabei die Wohnung verlassen zu müssen. Bloss muss nun jedes Mal, wenn das passiert, aufgrund politisch vorgeschriebener Kriterien eine neue GüWR-Wohnung gefunden werden. Viel besser wäre, jenen Menschen, die das Geld nötig haben, einfach einen Mietzinszuschuss zu gewähren.

Zum Schluss die Bärnerbär-Frage: Wie wohnen Sie persönlich?
Straub: Ich lebe in einem Doppel-Einfamilienhaus.
Haas: Ich besitze eine 4,5-Zimmer-Wohnung im Brunnadernquartier mit Stockwerkeigentum in einem denkmalgeschützten Mehr+- familienhaus. Der Bus lärmt zwar etwas, weil er praktisch vor dem Haus abfährt, doch darüber bin ich eigentlich ganz froh (lacht).

Yves Schott

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