Die Schweiz macht zum zweiten Mal dicht. Dass keine Bücher verkauft werden dürfen, Blumenaber schon, findet Christoph Erb, Direktor des kantonalen Gewerbeverbandes, absurd.
Seit Montag befindet sich die Schweiz erneut im Lockdown. Ein guter Entscheid des Bundesrats?
Das Ansteckungsrisiko ist in Läden und an Arbeitsplätzen nicht hoch, weil dort wirksame Schutzkonzepte gelten und grösstenteils auch eingehalten werden. Die Betriebe werden kontrolliert, vor allem durch ihre kritischen Mitarbeitenden sowie Kundinnen und Kunden. Gewiss, der Lockdown wird die Kontakte vermindern und damit auch den wegen der Virusvariante drohenden Anstieg der Fallzahlen bremsen. Das liegt auch im Interesse der Wirtschaft. Dafür werden wir einen hohen Preis bezahlen. Ich bin überzeugt, dass die Beschränkungen privater Treffen auf maximal fünf Personen aus zwei Haushalten wesentlich mehr Wirkung entfalten wird, wenn sich die Leute daran halten.
In welchen konkreten Punkten hätten Sie anders entschieden?
Ich hätte die Läden nicht geschlos-sen, weil diese nicht das Problem sind. Anfang Januar haben Ausverkaufsaktionen vereinzelt zu grösseren Ansammlungen von Menschen geführt, das hätte sich im Verlauf des Monats von selbst gelegt. Mit einem Verzicht auf die Schliessung von Läden hätten wir uns die Auseinandersetzungen um die Absperrung ganzer Sortimente erspart.
Wie geht es den KMU in der Stadt und im Kanton Bern? Gerade noch so okay oder ist die Situation dramatisch?
Dem Gastgewerbe, den Reiseveranstaltern und der Eventbranche geht es katastrophal schlecht, dem Fachhandel spartenweise auch sehr schlecht. Vielen Betrieben, denken wir an die Bauwirtschaft, geht es besser, als man auf den ersten Blick erwarten könnte. Hier machen mir der Rückgang der Exporte und der Investitionsbereitschaft Sorgen. Die Experten des Bundes sagen für die Zeit nach der Pandemie ein rasches Wiedererstarken der Wirtschaft voraus. Hoffen wir, dass dies so sein wird.
Mit wie vielen Entlassungen und Konkursen rechnen Sie in der Stadt Bern?
Bund und Kanton Bern setzen enorm hohe Mittel ein, um Konkurse und Entlassungen zu vermeiden. Auch die Stadt Bern leistet einen Beitrag. Ich hoffe, dass das Konkurse vermeiden wird und das Vertrauen der Betriebe stärkt und so grössere Entlas-sungen vermieden werden können.
Läden dürfen Unterhosen und Slips verkaufen, aber keine T-Shirts. Das ist doch absurd.
Jeder staatliche Eingriff führt zu absurden Abgrenzungsproblemen. Weshalb gehören Schnittblumen und Topfpflanzen zum täglichen Bedarf, Bücher dagegen nicht? Die Abgrenzungen haben etwas Willkürliches, was sicher auch der Akzeptanz abträglich ist.
Letzte Woche übten zahlreiche Beizen einen Aufstand und öffneten trotz Verbot. Was halten Sie von solchen Aktionen?
Ich habe alles Verständnis für den Unmut, der sich aufgestaut hat, verurteile aber illegale Aktionen. Das Gewerbe hat kein Interesse daran, wenn sich die Leute nicht mehr an die Vorschriften halten und alle machen, was sie wollen. Mit den Rechtsverletzungen haben die Betriebe für ein oder zwei Tage hohe mediale Aufmerksamkeit ergattert, daneben hat ihnen die Aktion nichts als Ärger beschert. Dank dem Umstand, dass viele Betriebe und ihre Verbände mit anständigen Mitteln kämpften, war die Aktion zum Glück auch nicht kontraproduktiv.
Glauben Sie, dass dieser Zustand Ende Februar beendet wird?
Das kann ich leider nicht sagen. Wie viele andere setze ich darauf, den Grossteil der Bevölkerung so rasch als möglich zu impfen.
Einkaufen ist und bleibt ein wichtiges Thema. Am 7. März steht im Kanton Bern eine wichtige Entscheidung an: Die Stimmbevölkerung befindet darüber, ob pro Jahr in Zukunft vier statt bloss zwei Sonntagsverkäufe möglich sind. Was denken Sie, wie geht die Abstimmung aus?
Jetzt eine Prognose zu machen, ist schwierig. Vieles hängt davon ab, wie sich die Corona-Situation entwickelt und ob der Lockdown Ende Februar beendet wird. Muss Personal entlassen werden, schliessen ganze Betriebe? Solche Themen werden den Ausgang des Urnengangs mitbestimmen.
Die Gewerkschaften sträuben sich teilweise vehement gegen die Vorlage.
Und das verstehe ich nicht. Erstens ist es im Interesse der Mitarbeitenden, wenn ein Laden dann offen hat, wenn möglichst viel Umsatz zu erwarten ist. Darauf muss man achten, sonst weichen Kundinnen und Kunden ins grenznahe Ausland aus oder shoppen online. Zweitens gibt es schlicht Arbeitnehmende, die froh um eine gewisse Flexibilität sind, also gerne an einem Sonntag arbeiten und dafür unter der Woche einmal frei haben. Wer am Wochenende arbeitet, profitiert nicht zuletzt von Lohnzuschlägen.
Mit diesen Argumenten werden Sie eine zweifache Mutter wohl kaum überzeugen können.
Natürlich nutzen gewisse Arbeitgeber ihre Position aus, das will ich gar nicht bestreiten. Das ist aber nicht die Regel, die allermeisten suchen nach guten, einvernehmlichen Lösungen. Am Ende des Tages kann jede Person selbst darüber entscheiden, ob sie an einem Sonntag arbeiten möchte.
Vielleicht kommt die Vorlage etwas zu einer Unzeit. Man darf sich aber generell fragen, wie wichtig ein solches Thema momentan ist.
Sehen Sie: Zunächst ging es ja auch darum, an Samstagen länger öffnen zu dürfen. Jetzt reden wir bloss über zwei weitere Sonntage pro Jahr. Vier statt zwei, da kann doch nicht die Rede davon sein, man würde die Sonntagsruhe nicht respektieren. Wir möchten den Betrieben hingegen ermöglichen, zusätzlich zu den Sonntagsverkäufen im Dezember auch im Sommer, zum Beispiel vor den Ferien, die Türen zu öffnen.
Sie sprechen ein wichtiges Thema an: Bahnhofsshops sind im Gegen-satz zu anderen Läden deutlich im Vorteil. Wer dort einen Standort hat, kann jeden Sonntag Kundschaft empfangen.
Deswegen bin ich der Meinung, das Gesetz anzugleichen. Als das Bundesgesetz für die Bahnhöfe verabschiedet wurde, nahm man an, das sei ein erster Schritt für eine generelle Liberalisierung der Öffnungszeiten. Dem war, wie wir heute wissen, nicht so. Gewisse Betriebe haben darauf mit einer Zweitfiliale reagiert. Doch das können sich nicht alle leisten.
Yves Schott