Dem deutschen Botschafter Norbert Riedel gefällt es in Bern. So sehr, dass er jeden Samstag auf den Märit geht und der Nati die Daumen drückt.
Sie sind seit rund zwei Jahren der deutsche Botschafter in Bern. Wie gefällt Ihnen dieser Job?
Hervorragend. Es ist für mich ein Privileg, Deutschland in der Schweiz vertreten zu dürfen. Die Schweiz ist für uns ein wichtiges Nachbarland. Zudem verstehe ich die Sprachen und finde offene Türen vor.
Wurden Ihre Vorurteile, sofern Sie denn welche hatten, bestätigt?
Als ich hierherkam, versuchte ich, Klischees jedwelcher Art gar nicht erst aufkommen zu lassen. Nach zwei Jahren habe ich sie, falls es solche gab, hoffentlich definitiv über Bord geworfen. Andererseits pflegen die Schweizer ja selbst gerne manche Eigenheiten. Das verfolge ich dann mit grossem Interesse.
Nehmen wir den Klassiker unter den Klischees: Berner sind langsam.
Bern hat seinen eigenen Rhythmus. In Genf oder Zürich fühle ich ein anderes Pulsieren. «Langsam» bedeutet aber nichts Negatives: Bern ist eine wunderbare Stadt mit ihren individuellen, auch historischen Befindlichkeiten. Das fällt sicherlich allen auf.
Als Botschafter haben Sie Ihren Wohnsitz hier in der Botschaft, sind andererseits auch viel unterwegs. Fühlen Sie sich in Bern trotzdem zuhause?
Ja. Gerade in letzter Zeit war es für mich und meine Frau schon fast eine Art Tradition, am Samstagmorgen den Markt in der Innenstadt zu besuchen und danach einen guten Kaffee trinken zu gehen. Wenn ich dann bei schönem Wetter über die Kirchenfeldbrücke laufe, hat das für mich wirklich etwas Begeisterndes.
Lassen sich Stuttgart, wo Sie herkommen, und Bern in irgendeiner Form vergleichen?
Ich denke nicht. Beide Städte haben ihre eigenen Befindlichkeiten. Stuttgart kämpft seit einiger Zeit zum Beispiel mit dem Smog, den kannte ich als Kind so nicht. Ich finde: Die Berner sind zu beneiden und ich hoffe, sie wissen es.
Inwiefern?
Bern ist mit seiner Altstadt, dem vielen Grün und seiner landschaftlichen Umgebung eine tolle Bundesstadt.
Verspüren Sie kein Heimweh?
Für jemanden, der nicht diesen Beruf ausübt, ist das vielleicht schwer nachzuvollziehen. Wir Diplomaten sind jedoch alle etwas wurzellos, weil wir ständig umziehen und uns auf eine neue Situation einstellen müssen. Für mich bedeutet Berlin, wo ich lange tätig war, eine Art Heimat. Dort möchte ich zusammen mit meiner Frau wohl später meinen Ruhestand verbringen. Und natürlich fühle ich mich meiner Herkunft in der Nähe von Stuttgart verbunden, wo ich aufgewachsen bin.
Macht Ihre Frau die ständigen Wechsel immer mit?
Gottseidank, ja! Das ist natürlich eine grosse Herausforderung für die ganze Familie. Aber bislang haben alle die Wechsel gut überstanden. Und gemeinsam haben wir durch diesen Beruf auch viel sehen und erleben dürfen.
Sie haben zwei Söhne. Wie oft sehen Sie sie?
Sie haben uns über die Feiertage hier besucht. Ihnen machen die Schweiz und die schöne Residenz riesigen Spass. Zum Glück ist die räumliche Distanz zwischen uns nicht allzu gross.
Hier unten, wo wir uns unterhalten, befindet sich der offizielle Teil der Botschaft. Sie selbst wohnen im ersten Stock.
Genau.
Wurde Ihnen die Einrichtung zur Verfügung gestellt?
Nur für den offiziellen Teil. Die Wohnung, in der wir wohnen, müssen wir mit unseren eigenen Möbeln einrichten. Das gibt einem die Möglichkeit, sich zuhause zu fühlen. Und natürlich bezahlen wir für unsere private Wohnung in der Residenz ganz normal und ordentlich Miete.
Den grosszügigen Umschwung mit Garten können Sie also durchaus mal in privater Atmosphäre geniessen.
Natürlich. Insbesondere den direkten Zugang zur Aare, um danach an einem heissen Tag in den Fluss zu springen.
Sie haben in einem Interview mit der «Zeit» einmal gesagt, dass Schweizer und Deutsche sich nah sind und trotzdem unterschiedlich ticken.
Als Schwabe fühle ich mich seit je her besonders mit der Schweiz verbunden. Doch natürlich denken und handeln Deutsche und Schweizer unterschiedlich. Ich warne Besucher aus Deutschland immer davor zu glauben, die Schweizer seien wie wir Deutschen und sie redeten halt ein wenig anders. Selbstverständlich ist die Schweiz eine eigene Nation mit einer eigenen und für sie typischen Art. Deshalb: Die Deutschen und die Schweizer sind sich nah, aber sie sind nicht dieselben.
Können diese Unterschiede in Ihrem Beruf auch mal zu Missverständnissen führen?
Das Verhältnis der Schweiz zur EU gibt immer wieder zu reden, natürlich. Und Begriffe wie Souveränität und Selbstbestimmung würden wir in Deutschland ganz anders verstehen, was aber sicher auch historische Gründe hat.
Und sonst?
Wir beneiden die Schweiz, weil sie ein sehr erfolgreiches, wohlhabendes Land ist. Deswegen ist der Respekt von deutscher Seite her für die Schweiz sicherlich sehr gross.
Das Attribut erfolgreich mag in vielen Bereichen stimmen. Im Fussball wohl eher weniger, von der letzten WM mal abgesehen.
Als die Deutschen in Russland 2018 ausschieden, konnte ich sofort umpolen und der Nati die Daumen drücken.
Tatsächlich?
Ich bin ein grosser Fussballfan und freue mich, wenn die Fussballnation Schweiz gute Ergebnisse zeigt. Wenn wir auf der Strecke bleiben und dafür die Schweiz weiterkommt, ist das doch umso besser. (schmunzelt)
Die Young Boys sind zweimal in Folge Meister geworden. Ihr Verein, der VfB Stuttgart, hat schon bessere Zeiten erlebt (Stuttgart stieg letzte Saison in die 2. Liga ab, d. Red.).
Momentan sieht es immerhin danach aus, als könnte der direkte Wiederaufstieg gelingen. Ich fand es übrigens toll, dass Bern im Fussball und im Eishockey gleich zwei Titel feiern durfte.
Wie lange möchten Sie noch in Bern bleiben?
Das entscheidet die Bundesregierung. Die Spielregel ist die jederzeitige, weltweite Versetzungsbereitschaft, wie es im Fachjargon heisst. Die durchschnittliche Standzeit beträgt drei bis vier Jahre, was seine Gründe hat. Denn in meinem Beruf existieren viele Posten, die weniger leicht zu besetzen sind, beispielsweise jener in Kabul. Unser System funktioniert daher nur, indem eine permanente Rotation erfolgt. Ausserdem glauben wir, dass drei bis vier Jahre die ideale Zeit darstellen, um neutral zu bleiben. Man soll ja die Interessen seines Heimatlandes vertreten und nicht plötzlich jene des Empfangsstaates. (schmunzelt)
Welche Berner Ausdrücke kennen Sie?
Einer, der mich an meine eigene Heimat erinnert: «Jetzt pressierts langsam.» Die Kombination von langsam und schnell gefällt mir, weil wir Schwaben das ebenfalls so ausdrücken.
Wie gut verstehen Sie Schweizerdeutsch?
Das kommt auf den Kanton an. (lacht) Basel ist einfacher als Bern. Wenn ich weiss, worum es in einem Gespräch geht, kann ich folgen. Andernfalls muss ich schon kämpfen.
Zwiebelrostbraten mit Spätzle oder lieber Berner Platte?
Alles zu seiner Zeit! Ich bin ein Fan der Belper Knolle! Wir geniessen alles, was es an Besonderheiten gibt.
Was möchten Sie zum Schluss noch sagen?
Ich hoffe, dass eine Schweizer Mannschaft in der Champions League endlich mal auf ein deutsches Team trifft. Dann wird es spannend.
Yves Schott