Die Zeiten sind schwieriger geworden für Polizistinnen und Polizisten. Sie sehen sich mit zunehmender Gewalt konfrontiert, trotzdem behalten sie ruhig Blut. Verbandspräsident Adrian Wüthrich engagiert sich mit Herzblut für seine Mitglieder.
Sie sind seit acht Jahren Präsident des Polizeiverbandes Bern-Kanton. Mit diesem Berufsstand hatten Sie vorher kaum zu tun. Was verbindet Sie mit dem Polizeiberuf?
Adrian Wüthrich: Den Auslöser brachte meine Tätigkeit von 2009 bis 2016 als Gemeinderat von Huttwil, wo ich für das Ressort öffentliche Sicherheit verantwortlich war. In dieser Funktion arbeitete ich eng mit der Kantonspolizei Bern zusammen. Weiter war ich im Vorstand und später Präsident der Bernischen Ortspolizeivereinigung. Somit beschäftigte ich mich intensiv mit Fragen der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, welche für die Sicherheit auf ihrem Territorium zuständig sind, und der Kantonspolizei.
Auf der Website des Polizeiverbandes werben Sie für den Nachwuchs. Leidet auch die Polizei unter Fachkräftemangel?
Wie in anderen Branchen, hat auch die Polizei zurzeit Mühe, geeignete Mitarbeitende zu finden. Kommt dazu, dass der Grosse Rat beschlossen hat, das Korps aufzustocken, was in der aktuellen Situation eine zusätzliche Herausforderung ist.
Worauf führen Sie den Mangel zurück?
Beim Polizeiberuf handelt es sich um eine Zusatzausbildung. Jeder Polizist, jede Polizistin kann also wieder in den angestammten Beruf zurückkehren, wo meist auch Fachkräftemangel herrscht. Der Polizeiberuf ist anspruchsvoll, die Anforderungen steigen laufend, werden komplexer und die Löhne halten nicht Gleichschritt. Die unregelmässigen Arbeitszeiten erschweren ein geregeltes Familienleben. Kommt dazu, dass wir zurzeit eine sehr tiefe Arbeitslosenquote in der Schweiz haben.
Ebenfalls auf Ihrer Website findet sich das Plakat mit der Aufschrift «Stopp der Gewalt gegen Polizist:innen». Ist dieses Thema tatsächlich virulent?
Aus zahlreichen Gesprächen mit Polizist:innen weiss ich, dass dieses Thema beschäftigt. Sie werden bedroht, an ihrer Arbeit behindert, manchmal sogar bespuckt, sie müssen vermehrt mit Anklagen rechnen. Die Situation in unserer 24-Stunden-Gesellschaft ist schwieriger geworden. Statistiken belegen, dass die Gewalt gegen Beamte generell zugenommen hat. Unsere Mitglieder im Einsatz sind davon besonders betroffen.
Das physische und psychische Gewaltpotenzial ist also gestiegen?
Ja, das kann man gut so zusammenfassen. Wenn man die letzten Umfragen betrachtet, geniesst die Polizei zwar in der Bevölkerung ein sehr hohes Vertrauen und ist gut verankert. Es gibt aber einfach mehr besondereSituationen, vor allem nachts, die zu mehr Gewalt führen, wenn zum Beispiel Alkohol im Spiel ist und die Hemmschwelle sinkt.
Was tut Ihr Verband dagegen?
Wir setzen uns zusammen mit dem Polizeikommando dafür ein, dass unsere Polizist:innen genügend Angebote haben, um sich beraten zu lassen, dass eine gute Feedback-Kultur besteht. Grossen Wert legen wir auf gute Arbeitsbedingungen mit planbaren Dienstzeiten, die sich auch mit dem Familienleben verbinden lassen. Weiter haben wir festgestellt, dass der Artikel 285 des Strafgesetzbuches, welcher unter anderem die Gewalt gegen die Polizei regelt, nach unserem Dafürhalten bei der Umsetzung in den Gerichten zu milde Strafen zeitigte. Wir haben dann eine Standesinitiative im Grossen Rat eingereicht. Damit ist die entsprechende Anpassung auch auf Bundesebene eingeflossen. National- und Ständerat haben diesen Artikel nun leicht verschärft. Gewalt gegen Staatsangestellte wird nicht toleriert.
Wie ist es umgekehrt: Immer wieder hört man von übertriebener Polizeigewalt, vor allem gegen Ausländer.
Solche Vorwürfe gibt es gewiss, sie werden dann von den Medien auch entsprechend thematisiert. Aber ich glaube nicht, dass wir im Kanton Bern Gewaltübergriffe gegen Ausländer:innen haben. Klar, Polizeiarbeit ist nicht «schön» zum Zuschauen, die Polizei hat von unserem Staat das Gewaltmonopol und wenn die Situation eine Reaktion erfordert, müssen entsprechende Techniken eingesetzt werden, die von den Bürger:innen oft als «gewalttätig» wahrgenommen werden. Aber als Zuschauer wissen wir nie genau, welche Gründe die Polizei zu einem bestimmten Einschreiten veranlassen. Gewalteingriffe müssen immer verhältnismässig und notwendig sein. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, dem steht der Rechtsweg offen.
2028 zügelt die Berner Polizei ins neue Polizeizentrum nach Niederwangen. Was wird sich dadurch verändern?
Es wird neue Arbeitsplätze und neue, vereinfachte Arbeitsabläufe geben. Zahlreiche heute in der ganzen Stadt verteilte Dienststellen können in Niederwangen zentralisiert werden. Unser Verband kann sich in der eigens dafür eingesetzten Arbeitsgruppe einbringen. So haben wir uns beispielsweise für genügend Parkplätze für die Polizist:innen eingesetzt, weil ja rund um die Uhr gearbeitet wird und die öffentlichen Verkehrsmittel nicht immer benützt werden können.
In diesem Sommer wurde bekannt, dass die Kapo Bern mit der neuen Vorgangsbearbeitungs-Software grosse Probleme hat. Die Bearbeitung dauert nicht nur länger, das System ist auch fehlerhaft und führt zu grossem Unmut beim Personal. Was bedeutet das für die Einsatzkräfte im Alltag?
Ja, die Arbeit wurde zu Beginn anspruchsvoller statt erleichtert. Die Stimmung im Korps ist deswegen trotz kontinuierlichen Verbesserungen immer noch schlecht. Immer wieder gibt es Systemabstürze, die mehrere Stunden Arbeit zunichte machen. Der Wechsel zu einer neuen Software war nötig, das alte System hat ausgedient. Aber man unterschätzte das System, die Einführung und die Schulung. Die Kapo Bern ist eine Pionierin in diesem Bereich der Digitalisierung und muss nun teilweise «Lehrgeld» zahlen.
Waren Sie persönlich auch schon einmal bei einem Polizeieinsatz dabei?
Ja, ich war einmal eine Nacht lang mit einer Patrouille im Einsatz. So kamen wir an einen Verkehrsunfall und später wurden wir zu einer Schlägerei in Langenthal gerufen. Ich spürte die Anspannung, wenn man mit Blaulicht bei Regen durch den dichten Abendverkehr ausrückt. Meine Polizei-Kollegen sprachen allerdings von einer «ruhigen Nacht»!
Peter Widmer
Adrian Wüthrich wurde am 7. Mai 1980 geboren und wuchs in Walterswil auf. Der Träger eines Masters in Public Management und Politik arbeitet seit 2015 als Präsident und Geschäftsleiter von Travail.Suisse, dem Dachverband der Arbeitnehmenden. Seit 2014 ist er Präsident des Polizeiverbandes Bern-Kanton (PVBK). Von 2010 bis 2018 politisierte er für die SP im Grossen Rat des Kantons Bern und von 2018 bis 2019 im Nationalrat. Adrian Wüthrich ist verheiratet, hat zwei Söhne und wohnt in Huttwil.