Knapp 7 Millionen Franken mehr für das Stadtpersonal? SP und Grüne wollen damit die Wirtschaft ankurbeln – die Bürgerlichen werfen den Linken hingegen Verlogenheit vor. Vorhang auf für ein Duell
mit viel Zunder.
Bernadette Häfliger, die SP hat im Stadtrat einen Teuerungsausgleich von drei Prozent für die städtischen Angestellten verlangt – und durchgebracht. Das bedeutet Mehrkosten von 6,6 Millionen Franken. Ist das angesichts der klammen Finanzsituation gerechtfertigt?
Bernadette Häfliger: Das stimmt so nicht. Das aktuelle Personalreglement sieht einen Teuerungsausgleich vor. Wie hoch der sein wird, wird bei schlechter finanzieller Lage verhandelt. Damit der Gemeinderat überhaupt verhandeln kann, muss ein Betrag – die von Ihnen erwähnten 6,6 Millionen Franken – im Budget eingestellt werden.
Alles halb so wild also, Tom Berger.
Tom Berger: Der Teuerungsausgleich wurde bis jetzt in der Regel ausgeglichen, das heisst: Es gab einen Verhandlungsspielraum. Künftig wird er nicht in der Regel ausgeglichen, sondern muss ausgeglichen werden. Sprich: Man führt einen neuen Automatismus ein. Der Teuerungsausgleich wird nur aufgeschoben, wenn die Gewerkschaften einsehen, dass sich die Stadt in einer ausserordentlich schwierigen finanziellen Lage befindet. Geben sie ihr Einverständnis nicht, ist der Teuerungsausgleich automatisch geschuldet.
Häfliger: Das sehe ich ganz anders. Mit der Finanzstrategie haben wir ein Instrument, um festzustellen, wann die Situation ausserordentlich schwierig ist. Was künftig zwischen den Sozialpartnern zu verhandeln ist, ist, wie hoch die Kürzung sein wird. Wenn sie sich nicht einigen, sieht die Bundesverfassung ein Schlichtungsverfahren vor.
Berger: Bernadette Häfliger widerspricht damit ihrem eigenen Gemeinderat. Selbst wenn wir uns darauf einigen können, die Teuerung nicht vollständig auszugleichen, muss sie gemäss neuem Reglement zwingend in den folgenden Jahren ausgeglichen werden.
Häfliger: Der Teuerungsausgleich 2022 wird jetzt, im Herbst, verhandelt. Das passiert nach dem aktuell gültigen Personalreglement. Die Teuerung 2022 hat nichts mit dem neuen Personalreglement zu tun.
Berger: Wir fragten den Gemeinderat ja, wie das Ganze überhaupt zu finanzieren sei. Seine Antwort war: Er kann es uns erst nach der Abstimmung sagen. Das ist extrem stossend. Wenn der Teuerungsausgleich von drei Prozent, total 9,9 Millionen Franken, auf dem alten Reglement beruhen würde, dann wirds mit dem neuen noch teurer. Denn in Zukunft müssten sogar Preissteigerungen ausserhalb des relevanten Landesindexes der Konsumentepreise zusätzlich ausgeglichen werden.
Zurück zum Personalreglement: Höherer Mindestlohn, sechs Wochen Elternzeit, maximal 40 Stunden Arbeitszeit pro Woche, drei Wochen vorgeburtlicher Urlaub. Schöne Aussichten für eine sonst schon privilegierte Arbeiterklasse.
Häfliger: Die 40-Stunden-Woche und das Rentenalter 63 gelten schon seit 32 Jahren. Für die 40-Stunden-Woche übrigens verzichtet das Personal auf Lohn, was der Stadt sechs Millionen Franken jährlich einbringt. Das hat absolut nichts mit der Revision zu tun. Das neue Personalreglement erhöht den Mindestlohn in der Stadt auf 4000 Franken. Es bringt vor allem Verbesserungen im Bereich der Vereinbarkeit. Das wird für die Stadt ein Vorteil sein, um jüngere Angestellte zu gewinnen. Also keine Luxuslösung.
Wir finden: doch.
Häfliger: In der Stadt arbeiten nicht nur gut verdienende Chefbeamte. 50 Prozent der Angestellten haben beispielsweise keinen Computer, über 30 Prozent arbeiten im Handwerk, in der Strassenreinigung, Entsorgung, Stadtgrün etc. Die städtischen Löhne sind teilweise deutlich tiefer als beim Kanton oder Bund.
Wenn Sie nur Verwaltungen miteinander vergleichen, mag das stimmen.
Häfliger: Ich kann Ihnen zig Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen nennen: Im Bauhauptgewerbe liegt das Pensionsalter bei 60, Novartis bietet einen Vaterschaftsurlaub von 90 Tagen an, der Mindestlohn im Maler- und Gipsergewerbe liegt bei 4200 Franken, Swisscom-Angestellte haben 30 Urlaubstage …
Es besteht also Handlungsbedarf.
Berger: Es ist richtig und wichtig, dass die Stadt gut zu ihrem Personal schaut und sie fähiges Personal rekrutiert. Das Stadtpersonal geniesst aber bereits jetzt diverse Privilegien. Ein weiterer Ausbau ist weder notwendig, noch kann ihn sich die Stadt leisten. Ein Unternehmen, welches in den roten Zahlen ist, könnte sich solche Sachen auch nicht erlauben. Die Stadt kann nicht immer alle Bedingungen auf das Maximum anpassen.
Häfliger: Das tun wir ja nicht!
Berger: Doch! Ihr reicht dauernd Vorstösse ein, die in diese Richtung zielen.
Häfliger: Was vonseiten der Sozialpartner diskutiert wird, ist ein flexibilisiertes Rentenalter von Personen, die körperlich sehr stark belastet sind.
Berger: Bernadette Häfliger hat selbst erwähnt, dass bei der Verwaltung der Ghüdermann gleich behandelt wird wie die Person im Büro. Das kommt daher, da die Gewerkschaften Politik mit der Giesskanne betreiben. Würde man das Rentenalter von 63/63 auf 65/65 anheben, könnte man körperlich stark belastete Menschen früher in Pension schicken.
Häfliger: Das städtische Personal zahlt, wie alle Angestellten in der Schweiz, 40 Jahre in die Pensionskasse ein. Sie fangen damit einfach zwei Jahre früher an. Damit spart Bern enorm viel Geld, da jüngere Menschen weniger verdienen.
Berger: Aber die Stadt übernimmt zwei Drittel der BVG-Beiträge, auch das eine Luxuslösung. Zudem wurde der angesprochene Kompromiss von 1990 längst ausgehebelt. Seither wurde das Reglement 19 Mal revidiert, und zwar fast ausschliesslich zugunsten des Personals.
Nochmals: Ist es Zeit, 6,6 zusätzliche Millionen Franken zu sprechen in einer Zeit, in der die Stadt schon ein Millionen-Defizit hat?
Häfliger: Unsere Wirtschaft wird aktuell vor allem gestützt durch den privaten Konsum. Wenn dieser zusammenbricht, wird das Wirtschaftswachstum gestoppt und die Steuereinnahmen brechen zusammen. Der Teuerungsausgleich – nicht nur in der Stadt – ist ein wichtiges Mittel, um den Konsum und damit die Wirtschaft zu stützen.Das von Ihnen hochgelobte Gewerbe würde also profitieren, Herr Berger. Wieso wehren Sie sich so dagegen?
Berger: Wenn dem wirklich so wäre, würden die Gewerbeverbände das Reglement befürworten. Es ist eine linke Utopie zu behaupten, dass, wenn der Staat seine eigenen Privilegien ausbaut, die Wirtschaft einfach so nachziehen könne. Ausser dem Stadtpersonal wird kaum jemand nächstes Jahr drei Prozent Teuerungsausgleich erhalten, auch ich nicht. Deswegen bricht die Welt nicht zusammen. Sowieso ist die Sorge der SP um das lokale Gewerbe enorm heuchlerisch, zumal sie keine Gelegenheit auslässt, das Gewerbe zu schikanieren.
Häfliger: Für Leute mit hohem Einkommen mag das stimmen. Für jene mit mittleren und kleinen Einkommen können die aktuellen Preissteigerungen durchaus existenziell werden.
Was passiert, wenn das Budget im November abgelehnt wird?
Häfliger: Davon gehe ich nicht aus.
Was passiert bei einem Ja?
Berger: Dann kommt nächstes Jahr eine Steuererhöhung.
Yves Schott