Stronski04

«Die soziale Schere wirkt sich auf die Gesundheit aus»

Beim Thema Ernährung kann man nicht früh genug einen gesunden Lebensstil fördern. Dieser Meinung ist auch Susanne Stronski, Co-Leiterin der Berner Gesundheitsdienste.

Frau Stronski, bitte erzählen Sie kurz über sich.
Ich bin ursprünglich Kinderärztin, habe mich aber zusätzlich auf Ado-leszentenmedizin und auf das Fachgebiet Public Health spezialisiert. Ich bin seit rund zwei Jahren als Co-Leiterin der Berner Gesundheitsdienste tätig. Vorher hatte ich 14 Jahre die Leitung des schulärztlichen Dienstes der Stadt Zürich inne. Neben meiner Arbeit für den Gesundheitsdienst Bern bin ich noch klinisch tätig.

Was ist der Gesundheitsdienst der Stadt Bern und was sind seine Aufgaben?
Wir sind auf Kinder- und Jugendgesundheit spezialisiert und haben auch einen Blick auf die öffentliche Gesundheitspflege der Bevölkerung, hier im Besonderen auf die Kinder- und Jugendgesundheit sowie die Präventionsarbeit im Rahmen der Frühförderung und Schulsozialarbeit. Ein grosser Bereich bei uns sind die schulische Gesundheitsförderung und der schulärztliche Dienst. Die Gesundheitsförderung und Prävention sind für die Förderung und Stärkung der Gesundheitskompetenzen der Kinder und Jugendlichen zuständig. Unsere Mitarbeitenden gehen das Thema Essen und Trinken in den Schulen sehr praxisorientiert an, indem sie beispielsweise gemein-sam mit den Kindern und Eltern ein feines Znüni zubereiten.

Wie ist denn der Gesundheitszustand der Berner Kinder, sagen wir mal in Bezug aufs Übergewicht?
Dadurch, dass wir in Bern alle Schulkinder flächendeckend anschauen, haben wir natürlich auch entsprechende Zahlen. Wir können sagen, dass rund 15 Prozent der Kinder an Übergewicht oder Fettleibigkeit leiden. Das ist ein recht hohes Niveau, fast jedes sechste Schulkind ist übergewichtig. Das ist allerdings keine grosse Überraschung. Wir ver-zeichneten jahrelang einen Anstieg an Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern, seit mehreren Jahren allerdings hat die Zunahme stabil stagniert. Übrigens: Wir arbeiten sehr eng mit den Städten Basel und Zürich zusammen und vergleichen jährlich diese Zahlen. In Basel sind rund 18 Prozent der Kinder überge-wichtig und in Zürich etwa 17 – dies konstant über Jahre. Es zeigt sich, dass die Berner Kinder etwas besser dastehen. Woran das aber konkret liegt, können wir nicht sagen. Wichtig bleibt, eine Frühprävention in den Schulen zu machen.

Aber alles in allem geht es Berns Kindern gut, oder?
Ja, das kann man schon so sagen, allerdings müssen da auch Einschränkungen gemacht werden. Gutgehen ist nicht gleich gutgehen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es eine Diskrepanz zwischen den sozialen Schichten gibt. Kinder aus bessergestellten Familien sind meist ge-sünder als jene aus ärmeren Fami-lien. Das lässt sich besonders beim Übergewicht feststellen und lässt sich auch geographisch zuordnen. Kinder aus Bern West sind meist eher vom Übergewicht betroffen als Kinder aus den anderen Stadtteilen. Die soziale Schere wirkt sich auf die Gesundheit aus.

Woran liegt das?
Zum einen liegt das an der Bildung. Manchmal fehlt den Eltern einfach das Wissen, was eine ausgewogene Ernährung ist und wie sich Süss-getränke auf das alltägliche Leben beziehungsweise auf den Körper und das Wohlergehen auswirken. Zum anderen liegt es nicht selten an feh-lenden Ressourcen. Oft fehlt schlicht einfach das Geld, um immer frisches Gemüse und so weiter einzukaufen. Weiter kommt zum Beispiel hinzu, dass manche Eltern lange arbeiten müssen und es an der Zeit mangelt, noch ausgewogen und möglichst frisch zu kochen. Die Kinder bedie-nen sich dann schon vorher an den Fertigprodukten im Kühlschrank.

Was kann man dagegen tun?
Nicht alles kann im Gesundheitsbe-reich angegangen werden, auch die Gesellschaft und vor allem der Sozialbereich sind gefragt. Ansonsten heissen aber auch hier die Zauberworte Prävention und Früherkennung. Wir sind da vom Gesundheitsdienst praktisch ausgerichtet, gehen in die Schulen und zeigen den Kin-dern, was beispielsweise ein gutes und gesundes Znüni ist. Dabei bezie-hen wir die Eltern mit ein. Das macht am Ende allen Spass.

In der Schule mit allen macht das sicher Spass, aber die Familien sollen das ja auch daheim umsetzen.
Ernährung ist nur ein Faktor für ein gesundes Leben. Da spielen noch viele andere mit rein, unter anderen die Bewegung. An der Präventionsarbeit liegt es also nicht allein, ob eine Familie gesund lebt oder nicht. Viele Player versuchen mitzuhelfen, ein Bewusstsein für gesundes Leben zu schaffen. Die Grossverteiler mit ihren gesunden Produktpaletten oder der Kanton mit Aktionen zum Thema Gesundheit beispielsweise. Wie das dann umgesetzt wird, ist Sache der Familien.

Was sagen Sie dann zum Lockdown?
Der Lockdown ist für die Kindesgesundheit höchst schädlich, unter anderem, weil die soziale Schere wieder stark aufgeht. Eine bessergestellte Familie hat eher die Möglichkeiten, während eines Lockdowns die Kindesgesundheit zu fördern.

Das müssen Sie kurz ausführen.
Wenn eine Familie einen Garten be-sitzt und vielleicht ein Trampolin, können sich die Kinder dort bewegen und austoben. Das kann eine sechsköpfige Familie mit einer Dreizimmerwohnung nicht. Schülerin-nen und Schüler aus bessergestellten Familien überstehen den Lockdown besser als andere. Wenn man Kinder zuhause einsperrt, fehlt ein grosser Teil der weiteren Entwicklung. Daher sind wir dafür, dass die Schulen unbedingt offenbleiben müssen. Jugendliche zum Beispiel entwickeln im Lockdown vermehrt depressive Züge. Das führt oft zu einer Negativspirale, die am Ende auch wieder ungesunde Ernährung und dadurch Übergewicht fördern kann.

Wie hat sich das Gesundheitsbewusstsein der Berner in den letzten zehn bis zwanzig Jahren verändert?
Es gibt einen zunehmenden Trend zu einem gesunden Leben. Aber ich denke, dass dies nicht bei allen Familien zu den obersten Prioritäten gehört. Bessergestellte Familien haben eventuell die Zeit und die Ressourcen, einen gesunden Lebensstil umzusetzen. Dort hat ein gesundes Leben Platz im Denken. Schlechter gestellte Familien haben vielleicht keine Zeit und auch nicht die Mittel, ihren Lebensstil auf «Gesund» umzustellen. Sie haben vielleicht andere existenziellere Probleme, deren Lösungen Vorrang haben.

Welchen Einfluss hat die Spitzenmedizin auf Ihre Arbeit?
Wir machen Gesundheitsförderungund -prävention, beugen also etwa-igen Krankheiten vor. Die Spitäler sind dann am Zuge, wenn es bereits Krankheiten gibt, die behandelt werden müssen. Das ist wie eine Versorgungskette. Wir stehen am Anfang, während die Spitäler am Ende stehen.

Der Gesundheitsdienst ist auch für die Impfung der Kinder an Schulen zu-ständig. Wie stehen Sie zur Corona- Impfung bei Kindern?Für mich ist völlig klar, dass die Corona-Impfung eine gute Sache ist. Allerdings sind die bisherigen Impfstoffe erst ab einem Alter von 16 Jahren zugelassen. Von daher stellt sich die Frage derzeit gar nicht. Sollte es aber in Zukunft einen Impfstoff für Kinder geben, müsste man das sicherlich diskutieren.

Wie halten Sie sich persönlich gesund?
Eigentlich versuche ich das umzu-setzen, was ich den Menschen auch erzähle. Ich mache Sport und ernähre mich gesund. Während Corona fehlen mir mein Hallenbad und Fitnessklub. Zudem ist es im Winter recht schwierig, sportlich etwas zu machen, besonders nach der Ar-beit, wenn es schon dunkel ist. Daher bleibt mir nur oft das Wochenende. Einer meiner Hauptsprüche ist: «Masshalten mit Masshalten». Man soll das Ganze auch nicht zu ideologisch und verbissen angehen. Am Ende soll doch alles noch etwas Spass machen.

Und noch einmal in ganz kurzen Sät-zen: Was raten Sie Kindern und deren Eltern, um gesund zu bleiben?
Bewegt euch – möglichst im Freien. Macht viel zusammen als Familie. Unterstützt euch gegenseitig in der Familie. Esst zusammen und schaut, dass es Spass macht. Entwickelt ein gutes Gespür für euren Körper!

Dennis Rhiel

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge