Wie Corona Berns Tourismus nachhaltig verändert. Als es in Gstaad einmal richtig sch … lief – und was das alles mit Quoten zu tun hat. Pascale Berclaz und Franziska Glutz von Made in Bern im Doppelinterview.
Wie geht es dem Berner Tourismus?
Pascale Berclaz: Er hat wegen Corona natürlich stark gelitten, gerade im Bereich des Geschäftstourismus. Zum Glück ist unser Kanton sehr vielfältig deswegen gibt es durchaus Destinationen, die von der Pandemie profitiert haben. Häuser in Adelboden-Lenk beispielsweise vermeldeten neue Rekordzahlen Gebiete also, die schon zuvor auf Schweizer Gäste gesetzt hatten. Interlaken oder Grindelwald mit ihrer internationalen Ausrichtung spürten die Krise deutlicher.
Können Sie den negativen Impact finanziell beziffern?
Berclaz: 2020 ging die Zahl der Logiernächte im Kanton Bern im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent zurück. Dieses Jahr konnten wir rund 10 bis 12 Prozent aufholen, sind jedoch noch weit entfernt vom Rekordjahr 2019.
Franziska Glutz: Ende 2020 fehlten uns zwei Millionen Übernachtungen.
Berclaz: Was ich in diesem Zusammenhang gerne erwähnen möchte: Bei der Anzahl Logiernächte ist der Kanton Bern die Nummer zwei der Schweiz. Die touristische Bedeutung in unserem Kanton ist also gross.
Hinter Graubünden?
Berclaz: Vor Corona hinter Zürich, jetzt hinter Graubünden, ja.
Wie sieht es bei den Stadtberner Hotels aus, die vor allem von Businessbuchungen leben?
Berclaz: Die Situation hat sich etwas entspannt – Messen, Kongresse und Events dürfen wieder stattfinden. Derzeit blicken wir allerdings schon mit einer gewissen Anspannung auf die Fallzahlen.
In Österreich galt zunächst die 2G-Regel, nun geht das Land sogar in einen kompletten Lockdown. Experten sprechen von einem schwierigen Winter, der uns bevorsteht – was bedeutet das für Sie?
Glutz: Ob 2G oder 3G – solche Entscheidungen muss das BAG treffen. Nichtsdestotrotz bin ich zuversichtlicher als letztes Jahr, weil insgesamt mehr möglich ist. Im vergangenen Jahr musste die Gastronomie schliessen und es waren noch keine Impfungen vorhanden.
In den beiden Lockdowns zeigten sich etliche Gastrobetriebe kreativ und stellten auf Take-away und Heimlieferung um. Wie reagierten die Hotels, die ja stets offenbleiben durften?
Glutz: Jene Betriebe, die sich auf internationale Kundschaft spezialisiert hatten, stellten um und richteten ihr Augenmerk auf Schweizer Touristinnen und Touristen. Diese wählen, um ein kleines Beispiel zu nennen, im Gegensatz zu ausländischen Kunden ihr Menü lieber selbst aus. Allerdings haben solche Buchungen die fehlenden Übernachtungen kaum kompensiert.
Hat Corona den Tourismus langfristig verändert?
Glutz: Eine Prognose zu wagen, ist ziemlich schwierig… (überlegt) Gäste aus den Staaten, die aktuell in die Schweiz kommen dürfen, die kommen auch. Das ist positiv. Weil Sie nach Veränderung fragen: Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema, mit dem sich der Schweizer Tourismus stark auseinandersetzt.
Was meinen Sie damit?
Glutz: Der Fokus wird in Zukunft noch stärker auf die Qualität gelegt werden. Bei einem Hotelprojekt etwa wird die Umweltverträglichkeit eine zentrale Rolle spielen.
Kann Bern als Langzeit-Destination eigentlich mit anderen Berner Reisezielen wie Gstaad oder Interlaken mithalten?
Berclaz: Bern als Stadt setzt bewusst eher auf Individualtouristen statt auf grosse Cars, die Menschen sollen wenn möglich mit dem ÖV anreisen. Diese Strategie passt gut hierher. Bern ist bei Touristinnen und Touristen enorm beliebt, sollte aber nicht mit Luzern verglichen werden.
Bräuchte Bern nicht trotzdem eine bessere Fluganbindung ans restliche Europa?
Berclaz: Selbstverständlich, allerdings in einem verträglichen Mass. Abgesehen davon sind wir ja direkt mit Lübeck und Stuttgart verbunden.
Operativ sind im Tourismusbereich zahlreiche Frauen tätig auf Stufe CEO sind Sie von allen 13 Schweizer Tourismusregionen hingegen die einzige Direktorin.
Berclaz: Da besteht Luft nach oben, definitiv.
Was tun Sie dafür, damit sich das ändert?
Berclaz: Indem ich probiere, Frauen zu fördern: Welche Mitarbeiterinnen haben Potenzial, um einen Karrieresprung zu machen? Wie motiviere ich sie, sich für diesen Posten zu bewerben? Bei Quoten frage ich mich wiederum: Haben wir das nötig?
Wie lautet Ihre Antwort?
Berclaz: Mein Sohn wird bald 26, die Tochter ist 20. Ich war stets berufstätig – als ich Mutter wurde, existierten praktisch keine Kitas oder Tagesschulen. Man war gezwungen, auf Grossmütter und Au-Pairs zurückzugreifen. In diesem Bereich hat sich also einiges getan. Der Trend zeigt nach oben und das ist gut so. Es ist einfacher geworden, Job und Familie unter einen Hut zu bringen.
Glutz: Grundsätzlich müssen Stellen mit Leuten besetzt werden, die passen. Man sollte den Hebel weniger bei Quoten, sondern ganz grundsätzlich ansetzen etwa Voraussetzungen schaffen, die Teilzeitarbeit für beide Elternteile attraktiv machen.
Welche ist eigentlich Ihre Lieblingsdestination im Kanton Bern?
Berclaz: Mir gefällt das Gasterntal sehr gut. Die Jungfrauregion ist ausserdem fast zu einer Art zweiter Heimat geworden. Ich mag die Ruhe.
Glutz: Da ich das Licht der Welt in Bern erblickt habe, besteht seit jeher eine tiefe Bindung zu dieser Stadt. Ich mag die Berge ebenfalls, das Lauterbrunnental zum Beispiel. Da ich in Gstaad gearbeitet habe, verbindet mich viel mit dem Saanenland.
Und ausserhalb der Schweiz?
Berclaz: Das südliche Afrika: Namibia, Botswana, Südafrika.
Glutz: Südamerika, dort unterstütze ich ein Projekt.
Was ist die skurrilste Geschichte, die Ihnen in Ihrem Tourismusjob je passiert ist?
Glutz: Über diese Geschichten liessen sich Bücher schreiben (lacht). Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Einmal erhielten wir in Gstaad von einem Mann die Anfrage, dass er einen Helikopter mieten wolle. Wir dachten, er interessiere sich möglicherweise für einen Alpenflug. Auf Nachfrage erklärte er dann, er müsse seine Eltern am Flughafen in Genf abholen.
Hat der Mann den Helikopter tatsächlich gemietet?
Glutz: Ich glaube schon, ja!
Und das zweite Beispiel?
Glutz: Ein Kuhfladen sorgte für eine extrem hässige Reklamation.
Ein Kuhfladen auf einer Wiese?
Glutz: Auf einem Fussgängerstreifen.
Yves Schott