Als 15-Jähriger begleitete Bernhard Muster 1968 seinen Vater erstmals auf den Märit nach Bern. 55 Jahre später ist Schluss und der inzwischen 70-Jährige verwöhnte seine treuen Kunden am 1. April letztmals mit der legendären Burehamme.
Nicht wenige Berner Märitbesucherinnen und -besucher werden den kleinen Stand auf dem Bundesplatz, gegenüber dem Restaurant Fédéral, vermissen. Die Zungenwurst, der Presskopf, die Waadtländer Saucisson, die gekochte Zunge, die saftige Burehamme werden ihnen fehlen. Am meisten fehlen wird ihnen aber zweifellos der Betreiber des Standes: Der nie um einen träfen Spruch verlegene Metzger Bernhard Muster aus Utzigen, noch mit 70 Jahren mit dunkler Haarpracht. Kein einziges Haar sei gefärbt, betont er mit Nachdruck.
55 Jahre lang baute er in Bern seinen Stand auf, bis 2013 gleich an zwei Standorten, in der Münstergasse und auf dem Bundesplatz. Vor zehn Jahren schloss er den Laden in Utzigen, der Umsatz ging zurück, zu sehr machten ihm die Grossverteiler zu schaffen. Von da an beschränkte er sich auf den Märitbetrieb auf dem Bundesplatz. Mit dem eigenen Laden in Utzigen schlachtete er noch selber. Danach bezog er das Fleisch von der Einkaufsgenossenschaft Metzger Center an der Stauffacherstrasse in Bern.
Bundesräte und Madame de Meuron
Auch Bundesräte machten gerne Halt am Muster-Stand, weiss Bernhard Muster nicht ohne Stolz zu berichten. So erwähnt er die Besuche des Aargauer FDP-Bundesrats Hans Schaffner, der von 1961 bis 1969 in der Landesregierung sass und dem Volkswirtschaftsdepartement vorstand. Dessen Sekretärin sei nach seinem Rücktritt noch mehrere Jahre Kundin gewesen, erzählt der erfahrene Berufsmann. Das war zu Beginn von Musters Märit-Zeit Ende der 60er-Jahre. Viele Jahre später: «Als Ueli Maurer 2008 zum Bundesrat gewählt wurde, gratulierte ich ihm mit einer Rohesswurst», freut sich Bernhard Muster noch heute. Als Bauernsohn verschmähte der SVP-Finanzminister die währschafte Delikatesse keineswegs.
Ein Stadt-Original, das älteren Bernerinnen und Bernern noch in Erinnerung sein dürfte, stattete dem Fleischstand von Bernhard Muster auch hie und da einen Besuch ab: die Patrizierin Elisabeth de Meuron-von Tscharner, besser bekannt als «Madame de Meuron», die stets schwarz gewandet und mit Hörrohr ausgerüstet in den Berner Gassen unterwegs war.
Chüngel für das Mocambo
Um Anekdoten ist Bernhard Muster nie verlegen. So erinnert er sich an einen Metzgerkollegen in der Münstergasse, der vor allem «Chüngel» verkaufte. «Eines Morgens früh um sieben Uhr tauchte der ‹Tätschmeister› des Dancings Mocambo auf und bot meinem Kollegen an, den ganzen Stand zu kaufen. Dieser wehrte sich anfänglich, willigte dann aber ein und für etwa siebenhundert Franken wechselten alle Chüngel den Besitzer. Mein Kollege fuhr dann zufrieden nach Hause. Ich weiss heute noch nicht, wofür der Mocambo-Mensch so viele Chüngel benötigte!»
Und gleich fügt Bernhard Muster eine weitere Schmunzelgeschichte hinzu: Der Wirt des Restaurants Frohsinn in der Münstergasse bereitete den Betreibern der Metzgerstände mit Produkten, die sie ihm zur Verfügung stellten, stets ein schmackhaftes Mittagessen zu. «Einer unserer Kollegen scheute den Griff zum Portemonnaie und steuerte nie etwas bei, ass aber immer kräftig mit. In einem unbemerkten Augenblick ‹stibitzten› wir ihm einmal einen ganzen Chüngel vom Stand und brachten diesen dem Frohsinn-Wirt zur Zubereitung. Die Einladung zum Mittagessen nahm unser Geizkragen natürlich ohne zu zögern, aber ahnungslos, an. Nach dem Essen bedankten wir uns bei ihm und klärten ihn auf. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen!»
Was hat sich in den 55 Jahren alles verändert? «Meine Kunden sind alles Fleischliebhaber, sonst kämen sie ja nicht zu mir!», sagt Bernhard Muster. In den letzten Jahren sei der Trend zu weniger Fleischkonsum und zu veganen Nahrungsmitteln aber schon spürbar geworden. Vor allem die Kinder einiger seiner Kunden hätten dem Fleisch abgeschworen. Bernhard Muster ärgert sich über die «Verteufelung» des Fleischkonsums in den Medien und empfindet die Beiträge als ungerecht und wenig differenziert. Aber den «typischen» Märit-Kunden gebe es nach wie vor: Er nehme sich Zeit zum bewussten Einkauf, zeige sich interessiert und liebe den Schwatz am Stand.
Kein Nachfolger
Weitere Anekdoten werden nun nicht mehr dazukommen. Den Schritt aufzuhören hat er sich lange überlegt. Er sei nicht mehr so gut zu Fuss und nun 70-jährig, die Zeit sei reif, sagt Bernahrd Muster bestimmt. Freut er sich auf die Nach-Märit-Zeit? «Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge», antwortet er. Welches Auge grösser ist, verrät er nicht.
Die schier unzähligen Kontakte mit Kundinnen und Kunden – aus manchen Begegnungen entstanden Freundschaften – werde er vermissen, sinniert er. Auch der Austausch mit den anderen Marktfahrern werde ihm fehlen, was offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruht. Beim Abschieds-Aperitif, den Bernhard Muster seinen «Gspänli» und Stammkunden nach Märit-Ende auf dem Bundesplatz kredenzte, geizten die vielen Gäste jedenfalls nicht mit lobenden Worten und der Präsident des Vereins Bärner Märit, Walter Stettler, hielt eine kurze, aber berührende Laudatio auf den langjährigen Stand-Nachbarn.
Die Lücke auf dem Bundesplatz wird zwar wieder mit einem anderen Stand gefüllt, aber nicht mit einem Metzger. «In meinen Anfängen hatte es an der Münstergasse noch über 60 Metzgerstände, heute sind es nur noch drei oder vier», erinnert sich Bernhard Muster. Seit dem 1. April ist es wieder einer weniger.
Die Frage, womit sich der Pensionär künftig beschäftige, beantwortet Bernhard Muster eher zurückhaltend. Seit dem Verkauf seines Elternhauses in Utzigen lebt er in einer Wohnung in Worb, wo er viele Leute kennt, wie er sagt. Auch werde er als begeisterter – früher aktiver – Fussballer wieder vermehrt in den Stadien anzutreffen sein. «Auf dem Bundesplatz wird man mich während der Märitzeit auch sehen – aber als Besucher!»
Peter Widmer
Bernhard Muster, geboren am 18. Januar 1953, wuchs in Utzigen auf. Im elterlichen Betrieb absolvierte er die Lehre als Metzger. 1982 übernahm er die Metzgerei von seinem Vater. 2013 schloss er den Laden in Utzigen. Von 1968 bis zum 1. April 2023 war er jeweils dienstags und samstags mit einem Stand auf dem Bärner Märit. Bernhard Muster ist geschieden, hat drei Kinder und wohnt in Worb.