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«Einen Friedhof aufzulösen, halte ich für pietätlos»

Bern muss sparen. Doch wie? Katharina Altas und Janosch Weyermann diskutieren vor der Spardebatte im Stadtrat über die wichtigsten Streitpunkte.

Katharina Altas, sind Sie eigentlich hässig auf Ihren Gemeinderat Michael Aebersold? Gespart werden muss ja bloss, weil er sich gründlich verrechnet hat.
Katharina Altas: Budgetieren ist bekanntermassen keine exakte Wissenschaft, das haben wir gerade jetzt bei den Kantonsfnanzen gesehen. Dass die Einnahmen bei den juristischen Personen derart einbrechen würden, war so schlicht nicht vorauszusehen. Nein, ich bin nicht hässig – ich bin ihm für seine schnelle Reaktion dankbar.

Einverstanden, Herr Weyermann?
Janosch Weyermann: Meiner Meinung nach ist Bern glimpfich davongekommen. Hier sind vor allem Staatsbetriebe ansässig, die keine Steuern bezahlen. Andere Städte hatten da deutlich heftigere Einbussen zu verzeichnen. In dem Sinne ist einzig und allein die Stadt Bern für das Minus verantwortlich.

Wenn Sie beide aus freien Stücken drei Bereiche auswählen könnten, wo gespart werden müsste: Welche wären es?
Weyermann: Sicherlich beim Personal, der mit Abstand grösste Ausgabeposten. Dann soll sich die Stadt auf ihre Kernaufgaben konzentrieren – sie braucht kein Rebgut in La Neuveville zu unterhalten, das ein jährliches Defzit von rund 200 000 Franken nach sich zieht. Drittens: auf Luxusprojekte wie eine Velobrücke oder die Museumsinsel verzichten. Altas: Man könnte beim Strassenunterhalt, bei Gebäudesanierungen oder bei Neubauten Abstriche machen, ohne dass die Qualität darunter leidet. Dort also, wo es den Bürgerinnen und Bürgern nicht so wehtut.

Die Erhöhung der Anwohnerparkkarte wird einigen wehtun: Die jährlichen Kosten sollen laut Gemeinderat von 264 auf 384 Franken steigen. Das ist eine Anhebung von satten 45 Prozent.
Altas: Eine Gebühr von rund einem Franken pro Tag, um sein Auto im Quartier abzustellen, scheint mir kein Riesenbetrag zu sein. Die Erhöhung ist gerechtfertigt, weil die bisherigen Tarife schon seit rund 15 Jahren gelten. In Zürich bezahlen Sie für eine solche Parkkarte über 700 Franken.

Alles halb so wild also, Herr Weyermann.
Weyermann: Es werden eben nicht nur die Preise der Parkkarten erhöht, sondern auch jene der öffentlichen Parkplätze. Dort war der geplante Aufschlag so exorbitant, dass sogar der Preisüberwacher eingreifen musste. Parkplatzgebühren sollen eigene Kosten decken und keine Finanzlöcher stopfen. Ausserdem verschwinden erneut etliche Parkplätze, sprich: Der Service nimmt ab, die Gebühren zu. Das stört mich.

Herr Weyermann, Sie haben die Einsparungen beim städtischen Personal bereits angesprochen. Es ist die Rede von 238 Stellen, die abgebaut werden. Tönt nach Kahlschlag.
Weyermann: Es wird niemand einfach vor die Türe gestellt, das wäre für eine Stadt wie Bern ein Armutszeugnis. Das meiste wird über die natürliche Fluktuation geregelt. Hinzu kommen die städtischen Anstellungsbedingungen: Pensionsalter mit 63, keine 42-Stunden-Woche. Davon kann die Privatwirtschaft nur träumen. Altas: Nun, Kanton und Bund haben weit bessere Arbeitsbedingungen als die Stadt.

Noch bessere?
Altas: Rentenalter 63 ist wahrscheinlich genau einer der Gründe, wieso sich Menschen dafür entscheiden, für die Stadt zu arbeiten – und wir möchten dort ja hochqualifziertes Personal einstellen. Deswegen stellen wir uns vehement gegen die Erhöhung. Was ich mir vorstellen kann, ist eine Flexibilisierung des Rentenalters.
Weyermann: Absolut. Insbesondere, weil die Stadt vom Gärtner bis zu Kaderstellen eine Art Gemischtwarenladen bildet. Wer jeden Tag den Friedhof reinigt, soll früher in Pension gehen dürfen als jene, die im Büro sitzen.

Insgesamt sind die Personalkosten in den letzten Jahren stark gestiegen.
Weyermann: Obwohl die Bevölkerung tendenziell eher abgenommen hat. Altas: Moment, das stimmt so nicht: Die Bevölkerung ist stetig gewachsen und erst seit kurzem rückläufg. Weyermann: Richtig. Die Personalkosten sind im Vergleich dazu aber überproportional gestiegen. Wieso deutlich mehr städtisches Personal beschäftigen, wenn die Einwohnerzahl nur leicht zunimmt?

Apropos: Beim Friedhof Bümpliz liesse sich eine Menge Geld einsparen. Da ist die SVP aber dagegen, weil sie in diesem Quartier zahlreiche Wähler hat. Das ist ziemlich inkonsequent.
Weyermann: Überhaupt nicht. Bümpliz stellt mit Abstand den grössten Stadtteil dar und die gewonnenen Einsparungen wären verhältnismässig gering. Dazu leben dort viele ältere Menschen. Ich möchte einer 80-jährigen Frau nicht zumuten, in Zukunft zum Bremgartenfriedhof zu fahren. Einen Friedhof aufzulösen, halte ich für pietätlos. Altas: In dem Punkt sind wir uns einig. Der Friedhof Bümpliz ist genauso wie die Stadtgalerie oder das Lorrainebad eines der Themen, das die Emotionen bei der Bevölkerung hochgehen lässt. Wir schlagen beim Friedhof Bümpliz deswegen vor, Synergien mit anderen Friedhöfen zu nutzen, ohne diesen Standort aufzugeben.

Sie erwähnen das Lorrainebad, Frau Altas. Sie wehren sich dezidiert dagegen, es an Private zu verpachten. Warum? Es würde ja auch in Zukunft kein Eintritt verlangt werden.
Altas: Die Pläne sehen vor, das Innenbecken zu schliessen, um so eine Badeaufsicht einzusparen. Mit der Begründung, dass dort sowieso nie jemand bade. Ich selbst bin häufg dort und sehe regelmässig Leute schwimmen und Kinder planschen.

Der Stadtpräsident beurteilt die Situation anders: Er sagte im Bärnerbär, er sehe oft Fische und kaum Menschen.
Weyermann: Ich gebe zu, noch nie im Lorrainebad gewesen zu sein. Dennoch liesse sich diese Anlage doch privat betreiben. Bei einem Friedhof sieht es anders aus – dessen Bewirtschaftung ist eindeutig Aufgabe der Stadt. Vielleicht braucht es hier den Kompromiss: Man lässt den Leuten ihre Lorrainebadi, gleichzeitig aber auch den Friedhof Bümpliz.

Wir wechseln zur Stadtgalerie und zitieren nochmals den Stapi: Es werde einzig an den Mietkosten gespart, sagt er, die Förderbeiträge blieben erhalten. Deswegen versteht er die enorme Opposition gegen diese Massnahmen kaum.
Altas: Die Stadtgalerie ist so alt wie ich – sie existiert seit 1967. Ein etablierter Ort für die bildende Kunst, an dem junge Künstlerinnen und Künstler zum ersten Mal ausstellen oder kuratieren können. Deswegen fnde ich es vom Stadtpräsidenten inkonsequent zu sagen, es ginge nur um die Mietkosten: Jemand erhält einen Kredit, verfügt jedoch nicht mehr über die nötigen Räume – wie soll dann ein Austausch stattfnden? Weyermann: Wenn der Rückhalt für diese Institution so riesig ist, wie Katharina Altas behauptet, frage ich mich, wieso nicht früher ein Verein oder eine Trägerschaft gegründet wurde, um die Stadtgalerie privat zu führen? «Freunde der Stadtgalerie» zum Beispiel. Ich bin zugegebenermassen weniger kunstafn, hatte allerdings bis dato noch nie von der
Stadtgalerie gehört.

Die FDP spricht bei den geplanten Sparmassnahmen von 32 Millionen Franken von einem taktischen Spielchen: Der Gemeinderat schlage Kürzungen vor, die dann eh nicht eingehalten würden, weil er weiss, dass Rot-Grün-Mitte einen Grossteil davon ablehnt und mit dieser Strategie durchkommt.
Altas: Das halte ich für eine sehr polemische Aussage. Wir haben in unserer Medienmitteilung klar gesagt, dass wir die Vorschläge insgesamt unterstützen, jedoch nicht in allen Punkten einverstanden sind. Weyermann: Der Gemeinderat hat Vorschläge erarbeitet, die am Ende von den eigenen Parteien natürlich abgemetzget werden und hebt dafür die Gebühren an, statt in einem grösseren Stil zu sparen. Somit hat die FDP nicht ganz unrecht. Altas: Das ist eine Unterstellung. Es wurden 380 Massnahmen defniert und es wird ein Riesenaufwand sein, sie alle umzusetzen. Der Gemeinderat hat sich das gut überlegt und uns im März informiert. Das ist kein taktisches Spielchen, sondern Gewaltenteilung! Als Parlament haben wir das Recht, korrigierend einzugreifen.

Lassen Sie uns eine Prognose wagen: Wie viel von den angekündigten 32 Millionen Franken werden am Ende tatsächlich eingespart?
Altas: 30.
Weyermann: 20.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie der Monsterdebatte vom Donnerstag entgegen? Die SP verfügt im Stadtrat zusammen mit den grünen Parteien über eine satte Mehrheit. Um den Friedhof Bümpliz, die Stadtgalerie oder das Lorrainebad müssen Sie sich jedenfalls kaum Sorgen machen.
Altas: Trotz allem mit gemischten Gefühlen. Es ist immer unangenehm, sparen zu müssen. Weyermann: Mich nerven die geplanten Erhöhungen, die, wie Sie richtig sagen, wahrscheinlich problemlos durchgewunken werden.

Zum Schluss: Wofür geben Sie jeweils zu viel Geld aus?
Weyermann: Autos. Und Kleider.
Altas: Schuhe.

Yves Schott

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