Jeansforjesus By Anja Wille 2 Jpeg Optz

«Es ist mir erstmals gelungen, wirklich zu singen»

Jeans-for-Jesus-Sänger Michael Egger über finanzielle Erfolge, den Frust über kryptische Texte und freikirchliche Irrungen.

Sie sind mit Ihrem dritten Album in der Schweizer Hitparade von 0 auf Platz 4 gestürmt. Haben Sie Ihre Stelle schon gekündigt?
Michael Egger (amüsiert): Nein, das kann ich leider nicht. Jeans for Jesus ist immer noch eines der defzitärsten Schweizer Unternehmen, die es gibt.

Und womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?
Ich bin Assistent an der Uni Bern und mache dort den Doktor in Geschichte.

Weshalb lebt ein Berner, der elektronischen Indie-Pop auf Berndeutsch macht, in Zürich?
Wegen der billigen Mieten! (lacht) Nein, darauf habe ich leider nur eine unspektakuläre Antwort: Das Archiv zum Thema meiner Arbeit befndet sich in Zürich und meine Freundin wohnt hier. Ausserdem hat mir der Wechsel gutgetan, gerade auch für das Schreiben. Zwar liebe ich Bern noch immer oder fast noch mehr, doch hatte ich dort jedes Sandkorn gefühlt schon drei Mal umgedreht. Da war es schön, mal an einen Ort zu kommen, wo nicht alles schon mit Erinnerungen verknüpft ist.

Für die Band ist das kein Problem?
Nein, Demi, mit dem ich die Texte schreibe, studiert in Zürich. Unsere Zusammenarbeit ist während des Album-Prozesses sehr eng. Wir treffen uns dafür zwei- bis dreimal pro Woche, sind mittlerweile wie ein altes Ehepaar und diskutieren zuerst über Serien und so. Nur online zu schreiben wäre schwierig gewesen. Die Musik ist einerseits zu grossen Teilen in der Dropbox entstanden, andererseits haben wir uns immer wieder für intensive Sessions zu viert getroffen. Pop sollte möglichst kollaborativ sein und das war bei diesem Album mehr denn je der Fall.

Bei Jeans for Jesus ist Pop auch sehr komplex, speziell die Texte. Vermutlich habe ich nur einen Teil der Lieder wirklich verstanden …
Das ist spannend. Eigentlich war unsere Absicht, diesmal genau das Gegenteil zu machen, nämlich direkte und einfache Songs. Gerade auf dem letzten Album «P R O» waren ja viele kryptische Sachen. Wir hatten selbst immer auch das Gefühl, die Leute würden zu viel in die Texte hineininterpretieren. Ist eigentlich aber auch etwas Schönes.

Schreiben Sie eher assoziativ oder konstruktiv?
Viele Texte sind Alltagslyrik, das ist ja auch eine grosse Tradition in der Berner Musik. Grundsätzlich versuchen wir, den Hörerinnen und Hörern viel Interpretationsspielraum zu lassen und ihre Fantasie anzuregen. Das ist vielleicht das Anstrengende an unseren Texten. Es freut mich umso mehr, wenn sich die Leute trotzdem auf sie einlassen. Wollen sie das nicht, können sie den Text ignorieren. Es war immer unser Ziel, dass die Musik für sich alleinstehen kann. Und ich bin immer wieder überrascht, wie gut das Marcel, Demi und Phil gelingt – von der losen Idee bis zum fertigen Lied.

Wie sind Sie auf den Album-Titel gekommen?
«19xx_2xxx_» ist vom Lied «2000&Irgendwo» inspiriert. Ausgesprochen wird er «Neunzehnhundertzweitausend». Die Schreibweise bezieht alle mit ein.

Und wovon handelt der Song?
«2000&Irgendwo» refektiert sehr stark die Nostalgie, die Erinnerung und die Behauptung, dass Dinge früher besser gewesen sein sollen. Viele Popsongs glorifzieren frühere Beziehungen, die Jugend, die vermeintlich guten Jahre. Wir haben versucht, Vergangenheit und Zukunft verschwimmen zu lassen und uns mit dem Erinnern befasst: Wie funktioniert das? Warum blendet man so oft alles Negative aus? Gleichzeitig wollten wir dieses Nostalgie-Gefühl in die Zukunft werfen, eine positive Erwartung feiern.

Wie kommt es, dass sich Ihr Gesang im Laufe der Jahre so markant verändert hat?
Ursprünglich hätten Jeans for Jesus eine Sängerin erhalten sollen. Wir hatten drei Songs geschrieben und verzweifelt jemanden gesucht. Ich hatte noch nie gesungen und konnte nicht singen. So habe ich einfach alles versucht, um irgendwie Melodie in meinen Sprechgesang reinzukriegen. Beim zweiten Album habe ich mich dann an Künstlern orientiert, die mir gefallen und alle eher hoch singen. Und dafür auch Gesangsunterricht bei Pamela Mendez genommen. Nun habe ich die Rückmeldung bekommen, dass es mir erstmals gelungen ist, wirklich zu singen. Und ich fnde es sehr bereichernd, dass Demi ebenfalls mehr singt.

Wenn Sie in Interviews den Bandnamen erklären, erzählen Sie die Legende, Sie hätten in den USA einem Randständigen namens Jesus Ihre Jeans geschenkt. Weil die Wahrheit zu banal wäre?
Die Geschichte von Jeans for Jesus ist natürlich eine wahre, schlecht überlieferte Geschichte, die immer wieder neu geschrieben werden muss.

Meine Vermutung ist ja, dass Sie als gewiefte Millenials zwei Worte in Verbindung gebracht haben, die häufg gegoogelt werden, um so zusätzliche Klicks zu erzielen …
Den lasse ich unkommentiert! (lacht) Wir haben ehrlich gesagt gar nie gedacht, dass man einmal viel über uns schreiben würde. Der Name hat natürlich auch Nachteile, weil immer noch viele glauben, wir seien eine religiöse Band. Aus diesem Grund sind wir sogar mal vom ICF (International Christian Fellowship) gebucht worden! (Das Konzert wurde dann abgesagt, d. Red.) Damals fand ich es etwas mühsam, heute nur noch lustig.

Was bedeuten Ihnen die zwei Konzerte im Dachstock?
Das ist ein Highlight des Jahres! Die letzte Plattentaufe werde ich nie vergessen, die Atmosphäre im Dachstock ist unvergleichlich. Ein magischer Ort.

Reinhold Hönle

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge