Für viele ist er der Inbegriff des personifizierten Provokateurs. Doch die Aussagen von Beda Stadler lassen kaum jemanden kalt. Wieso der emeritierte Berner Immunologieprofessor von Massentests abrät und was er von Diktatur-Vorwürfen hält.
Wir treffen Beda Stadler im Innenhof des Burgerspittels. Ohne zu zögern, streckt er uns seine Hand entgegen. «Ich hatte Corona bereits. Ich kann Sie also weder anstecken noch angesteckt werden», erklärt er in bester Laune und mit breitem Grinsen.
Herr Stadler, Sie sagten im Bärnerbär-Interview im September, Mehrfachinfektionen seien «ein Märchen». Mittlerweile häufen sich Berichte, in denen von Personen die Rede ist, die mehr als einmal an Corona erkrankten.
Mehrfach positiv getestet zu werden, ist selbstverständlich möglich. Das hat aber nichts mit der Krankheit zu tun – um diese nachzuweisen, dafür ist der PCR-Test unbrauchbar. Wenn man auf diese Art und Weise probieren würde, die saisonale Grippe nachzuweisen, wären in der Schweiz jedes Jahr Zehntausende grippekrank. Immun sein heisst, vor dem Krankwerden geschützt zu sein. In den Körper eindringen kann das Virus weiterhin.
Die Wissenschaft scheint sich indes einig zu sein, dass man nur rund drei Monate gegen das Virus immun ist.
Eine solche Aussage stimmt nur, wenn stichfest nachgewiesen werden kann, dass jemand ein zweites Mal typische, klinische Covid-19-Symptome aufzeigt. Und das ist äusserst selten. Wird jemand ein zweites Mal positiv getestet, zeigt jedoch nicht eindeutige Symptome, kann er sich mit irgendeinem anderen von rund 200 möglichen Erkältungsviren infiziert haben. Denn solche weist der PCR-Test ja nach.
Im Magazin des «Tages-Anzeigers» erschien eine dramatische Reportage aus Manaus in Brasilien. Die Mutation P1 raffe die Menschen en masse hinweg, gerade auch jüngere.
Sehen Sie: Das Immunsystem kam in der Evolution als letztes «Puzzleteil» zum Körper hinzu – und es ist die erste Funktion, die der Körper abschaltet, wenn andere Systeme gefährdet sind. Bei Personen, die etwa an Hunger leiden, sind einige Systeme definitiv massiv gefährdet. Bei den von Ihnen erwähnten Opfern müsste also geklärt werden, ob es sich hier um Leute aus Slums oder aus reichen Gegenden handelt. Diese Analyse lässt sich übrigens auf die Schweiz übertragen: Das Coronavirus findet die Schwächen im Gesundheitssystem – sprich: Praktisch alle Todesopfer litten an einer Vorerkrankung. Und zweitens schnappt es sich jene, die nicht gerade in besten Zuständen lebten. Deswegen plädierte ich stets dafür, ausschliesslich die Risikogruppen zu schützen. Doch man schickt ja lieber 20-Jährige in Quarantäne und legt eine ganze Gesellschaft lahm.
Sie halten die Massnahmen des Bun-des generell für übertrieben. Wahr ist hingegen: Hätte es keinen Lockdown gegeben, wäre die Zahl der Toten massiv höher als jetzt schon.
Mit Blick auf Schweden ist diese Aussage so falsch. Ich halte es für richtig, dass der Bundesrat überhaupt eine Taskforce gegründet hat. Die Wissenschaft ist allerdings nicht dazu da, um Prognosen zu machen und Panik zu schüren. Es hätte den Kantonen erlaubt sein müssen, verschiedene Regelungen zu treffen und diese dann von Wissenschaftlern begleiten zu lassen. Um herauszufinden: Was bringt wirklich etwas? Das Resultat waren diese Dinger … (lacht und zeigt auf seine Maske) die nützen nun wirklich nichts!
Masken nützen nichts?
Praktisch nicht. Schafft es der ÖV nicht, zu bestimmten Zeiten ein Gedränge zu verhindern, wäre das ein Fall für die Maske, einverstanden. Man ist sich in einem Innenraum nahe, der Abstand beträgt weniger als 50 Zentimeter. Aber jeder, der hier in Bern mit Maske im Freien die Stadt runterläuft, ist Opfer einer falschen Kommunikation.
Sonst sind Masken sinnlos?
Sie dienen vor allem dazu, die Bevölkerung auf eine bestimmte Linie zu trimmen. Ich persönlich wage es kaum, ohne Maske in einen Zug zu sitzen, obwohl das Abteil während meiner Fahrt von Visp nach Bern komplett leer war. Das ist absurd!
Wann nützt eine Maske dann?
Wenn jemand heftig hustet zum Beispiel.
Wenn jemand infiziert ist?
Nicht einmal das reicht. Die entsprechende Person muss in jener Phase sein, in der sie so viele Viren produziert, dass diese dann in die Atemwege gelangen können. Würden Wissenschaftler anonym gefragt, ob sie es wagen, mit Maske einen Ebola- Patienten zu behandeln, würden wohl höchstens ein paar Theologen mit Ja antworten (lacht). Im Ernst: Selbst jene, die bereits geimpft sind, müssen weiterhin Maske tragen. Indirekt sagt der Staat damit: Impfungen wirken wahrscheinlich nicht.
Das wird allein deshalb so gehandhabt, weil noch kein Impfpass existiert und keine Zweiklassengesellschaft geschaffen werden soll.
Genau darum geht es: Jeder, der die zweite Dosis erhalten hat, sollte zwei Wochen später einen Impfpass im Kreditkartenformat zugeschickt bekommen. Eine solche Karte sollte ebenfalls erhalten, wer erwiesenermassen gegen das Virus immun ist. Nur sind Antikörper-Tests nach wie vor nicht derart validiert, dass sie einen Schutz vorhersagen. Ich betone: Man impft nicht, bloss um sich selbst zu schützen, sondern die anderen.
Sie erklärten in unserer September-Ausgabe ausserdem, dass rund die Hälfte der Bevölkerung immun gegen das Virus sei.
Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr. Coronaviren treten saisonal jedes Jahr bei uns auf. Rhino- oder Adenoviren etwa – und sie verursachen ähnliche Symptome wie Covid-19. Das Coronavirus löst hingegen Reaktionen aus, die bis dato unbekannt waren; typischerweise der Geschmacksverlust. Man hätte also beispielsweise entscheiden können, nur Betroffene mit solch spezifischen Symptomen als positiv zu deklarieren. Immerhin spricht das BAG mittlerweile nicht mehr von Neuinfektionen, sondern von neuen Fällen. Und von diesen wird nur ein winziger Prozentsatz krank. Wir sind umgeben von gut- und bösartigen Keimen, was nicht automatisch eine Erkrankung bedeutet.
Ein weiteres Zitat aus dem Gespräch damals: Viren schwächten sich mit der Zeit ab, sagten Sie. Mit Blick auf P1 in Brasilien oder B.1.1.7. aus Grossbritannien scheint das Gegenteil passiert zu sein.
B.1.1.7. dürfte ansteckender sein, richtig. Aber nicht gefährlicher. Denn es passiert praktisch nie, dass ein Virus während einer Pandemie an Mortalität gewinnt.
Das wäre für das Virus ja wenig sinnvoll.
Korrekt. Deswegen sagte ich schon vor Monaten: Hört auf mit dieser Testerei! Sequenziert besser jeden zehnten positiven Fall, denn die Mutanten sind schon lange hier. So wäre sichtbar geworden, welche Mutanten in welchen Ländern gleichzeitig entstanden. Denn jede Mutante, die ansteckender ist, bedeutet sozusagen einen Hoffnungsschimmer.
Wie bitte?
Alle Menschen, die infiziert werden, ohne dabei krank zu sein, bilden Antikörper.
Klingt nach einem Plädoyer für die Herdenimmunität.
Natürlich. Impfen ist nichts anderes als eine Beschleunigung dieser Herdenimmunität.
Mit diesen Aussagen sorgen Sie bei sämtlichen Experten des Bundes für rote Köpfe. Denn diese Strategie würde ja Hunderte ins Spital oder sogar in den Tod führen.
Moment! Ich habe nie gesagt, man soll eine Herdenimmunität bewusst herbeiführen. Ich erklärte zu Beginn unseres Gesprächs: Schützt die Risikopatienten! Darum geht es mir: eine Herdenimmunität aufbauen und gleichzeitig die Risikopatienten schützen. Ich bin gespannt, ob der Term «mit» oder «an» Corona gestorben jemals aufgearbeitet wird. Es wurden stets Einzelfälle gehypt, um Angst zu generieren. Dabei hätte man mich als Idealfall präsentieren können: Wenn der dicke, ungesunde Stadler Corona überlebt, muss wohl einiges an Vorerkrankungen gegeben sein, damit überhaupt jemand daran stirbt. (schmunzelt)
«Mit» oder «an» – diese Differenzierung ist höchst umstritten.
Gerade zu Beginn der Pandemie starben in China viele, weil sie falsch behandelt wurden. Ich persönlich erhielt das Ebola-Medikament Remdesivir, das, wie wir mittlerweile wissen, kaum nützt.
Wechseln wir zur Aktualität: In der Schweiz wurden bis jetzt knapp neun Prozent der Bevölkerung komplett geimpft, andere Länder wie Israel oder die USA sind viel weiter.
Das hat mit der Impfgeschichte unseres Landes zu tun. Erst einmal wurden Apotheken für eine nationale Impfkampagne eingespannt: Das war bei Polio, also Kinderlähmung. Heute müssen sich die Menschen einen halben Tag freinehmen, um sich impfen zu lassen – das wirkt wie aus einer anderen Zeit. Bei der Coronaimpfung war der Bund zu langsam, eindeutig. Insbesondere wenn man bedenkt, dass in Visp eine Firma steht, die in kürzester Zeit halb Europa hätte beliefern können. Mein Plädoyer war seit eh und je: Das Impfen darf nicht alleine der Industrie gehören, weil sonst der Profit im Vordergrund steht. Und dann geht die Dritte Welt leer aus.
Was halten Sie von Corona-Leugnern wie sie sich zuletzt in Altdorf gezeigt haben?
Für gewisse Leute in diesen Kreisen habe ich Verständnis. Verständnis dafür, dass sie besser informiert werden und die demokratischen Rechte geschützt sehen möchten. Wer immun ist und unter den gleichen Restriktionen leidet wie alle anderen – das frustriert. Aber es ist wie bei der AfD: Die Bewegung wurde zu einem Sammelbecken verschiedenster, auch abwegiger Meinungen. Doch es wurde ja sogar versucht, Stanford-Professor und Massnahmen-Kritiker John Ioannidis, ein renommierter Epidemiologe, einen Aluhut aufzusetzen. Die sozialen Medien spalteten die Diskutierenden in zwei Lager. Tatsächlich fand oft keine echte wissenschaftliche kontroverse Diskussion über Sinn und Unsinn bestimmter Regelungen statt.
Ein Wort zum Diktatur-Vorwurf von Frau Martullo-Blocher?
Manche Sanktionen des Bundes erinnerten mich an eine Schulklasse. Wenn jemand einen Seich gemacht hat und keiner zugeben wollte, wer es war, wurden alle bestraft. Vieles konnte wissenschaftlich kaum begründet werden. Wieso etwa war ein Bordell offen und die Beiz nebenan zu? Ich finde es schade, dass solche Dinge nicht breiter diskutiert wurden. In dieser Hinsicht nahm unser Staatsfernsehen übrigens ebenfalls eine unbefriedigende Rolle ein.
Arbeitgeberchef Valentin Vogt erklärte, die Schweiz könne mit bis zu 30 000 Fällen pro Tag fertigwerden, wenn sämtliche Risikogruppen geimpft sind.
Eine schwierige Aussage, vor allem, weil sie auf Computermodellen beruht. Was stimmt: Für jedes Virus, das potenziell einen grossen Teil der Bevölkerung anstecken kann, gilt die Herdenimmunität.
Dürfen wir uns auf einen entspann-ten Sommer freuen?
Sobald sich die Menschen draussen aufhalten, werden die Fälle sinken, keine Frage.
Was wünschen Sie sich für die nächsten Monate?
Zwei Dinge: Erstens, dass wir einem einzelnen positiven Fall nicht mehr eine derart grosse Bedeutung zumessen und uns stattdessen auf jene konzentrieren, die unsere Hilfe benötigen – und das sind die Kranken. Dort sollten wir unser Geld für bessere Therapien reinstecken. Wir sollten aufhören, stolz auf die AHV zu sein. In einem Alters- oder Pflegeheim reicht sie gerade mal für einige Tage.
Und zweitens?
Ich hätte gerne Beweise, ob die Strategien des Bundes tatsächlich etwas gebracht haben. Ich wünsche mir einen Staat, der in solch einer Lage rational bleibt und die Wissenschaft nicht missbraucht, um noch mehr Panik zu schüren. Zynisch wäre, wenn die Todesfälle nun zurückgehen, weil die Risikopatienten bereits gestorben sind.
Yves Schott