Rund ums Berner Trinkwasser gab es in letzter Zeit gleich mehrere Negativschlagzeilen. Ist Chlorothalonil wirklich so gefährlich? Kantonschemiker Otmar Deflorin beruhigt.
Wie sauber ist das Berner Trinkwasser denn nun wirklich?
Insgesamt sehr sauber, sowohl im Kanton Bern wie auch in der gesamten Schweiz.
Das heisst, Wasser aus dem Wasserhahn lässt sich bedenkenlos trinken?
Richtig. Wenn dem nicht so wäre, wären die entsprechenden Trinkwasserfassungen längst vom Netz genommen worden.
Genau das ist ja vor kurzem in Köniz passiert.
Man muss zwei Arten von Wasserverunreinigungen unterscheiden. Zum einen die bakteriologische, hier wären etwa die E. coli-Bakterien zu nennen, die auf eine Verunreinigung mit Jauche hinweisen können. Das passiert beispielsweise bei starken Niederschlägen. Findet man Colibakterien im Wasser, dann muss das Trinkwasser von der Bevölkerung abgekocht werden. Andererseits gibt es chemische Verunreinigungen, wie im Fall von Köniz geschehen mit dem Pestizid Chlorothalonil und seinen Metaboliten.
Da diese Wasserspeicher jetzt ausser Betrieb sind, haben die Menschen zuvor also Wasser getrunken, die ihre Gesundheit gefährdet?
Es handelte sich um eine reine Vorsichtsmassnahme. Eine Gefahr für die Gesundheit bestand nie, das wurde stets so kommuniziert. Das Ziel war, einen Qualitätswert von weniger als 0,1 Mikrogramm der Chlorothalonil-Metaboliten pro Liter zu erreichen.
Was ist Chlorothalonil eigentlich genau?
Ein Fungizid, das in der Vergangenheit sehr breit angewendet wurde. Es trägt dazu bei, insbesondere bei Getreidearten, Verschimmelungen zu verhindern. Selbstverständlich war der Einsatz dieses Pestizids in der Schweiz bewilligt, so wie alle anderen verwendeten Pflanzenschutzmittel auch. Aufgrund einer neuen toxikologischen Beurteilung wurde Chlorothalonil in der Folge als problematisch eingestuft und ist in der EU sowie in der Schweiz seit Anfang 2020 verboten.
Trotzdem befindet es sich nach wie vor im Boden?
So schnell baut sich ein Pestizid nicht ab. Chlorothalonil wurde über Jahrzehnte hinweg in der Landwirtschaft angewendet: Man spritzte es auf die Ackerkulturen, dort zersetzte es sich in verschiedene Abbaustoffe. Diese Abbaustoffe versickern mit dem Regen und gelangen auf diesem Weg ins Grund- und Quellwasser.
Der Agrochemiekonzern Syngenta hat unterdessen mittels einer sogenannten Zwischenverfügung erreicht, dass gegen mögliche überschrittene Höchstwerte nicht mehr vorgegangen werden kann. Das müssen Sie uns erklären.
Syngenta hat den Rechtsweg beschritten. Er führte zu zwei Zwischenentscheiden: Erstens darf man momentan nicht mehr sagen, dass die Abbauprodukte von Chlorothalonil potenziell krebserregend sind. Folglich ist es bis auf Weiteres ebenfalls untersagt, solche Metaboliten als relevant einzustufen. Hier liegt der entscheidende Punkt: Ist ein Metabolit relevant, gilt ein Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Bis zum endgültigen Urteil dürfen Überschreitungen dieses Höchstwertes somit nicht mehr beanstandet werden.
Was halten Sie vom Vorgehen von Syngenta?
Wir leben in einem Rechtsstaat. Es ist nun an den Gerichten, in dieser Angelegenheit ein Urteil zu fällen. Für die Trinkwasserversorger sowie für die Konsumentinnen und Konsumenten mag die Situation unverständlich erscheinen – doch so laufen Rechtsverfahren halt einmal ab.
Wie reagieren die Trinkwasserversorger, jetzt, da sie diese Höchstwerte nicht mehr einordnen dürfen?
Im Rahmen der Selbstkontrolle sind sie weiterhin verpflichtet, Proben zu entnehmen: mikrobiologische wie auch chemische. Wir empfehlen den Trinkwasserversorgungen, die bisherigen Untersuchungen weiterzuführen. Sollten die Metaboliten zu einem späteren Zeitpunkt wieder als relevant eingestuft sein, entstehen in den Aufzeichnungen somit keine zeitlichen Lücken.
Das heisst, die Chlorothalonil-Werte werden nach wie vor veröffentlicht?
Genau, einfach ohne qualitative Beurteilung. Nehmen wir an, in einem Liter Wasser befänden sich 0,4 Mikrogramm Chlorothalonil-Rückstände. Normalerweise würden im Untersuchungsbericht zwei Spalten zu sehen sein: eine mit dem eigentlichen Messwert, die zweite mit dem geltenden Höchstwert. Nun bleibt die zweite Spalte einfach leer und wir ordnen keine behördlichen Massnahmen an.
Da der Einsatz von Chlorothalonil schon seit längerem verboten ist, sinkt dessen Wert wohl zusehends?
Die Frage ist, von welchem Zeitrahmen wir sprechen. Ein Jahr, zehn oder zwanzig? Das ist fast unmöglich einzuschätzen und hängt von vielen Faktoren wie beispielsweise der Verweildauer der Chlorothalonil-Metaboliten im Boden ab. Natürlich gehen wir davon aus, dass der Wert rückläufig ist: Wenn Sie die gleiche Kaffeekapsel immer wieder verwenden, wird der Kaffee ja ebenfalls zunehmend heller.
Manche Trinkwasserversorger denken darüber nach, ChlorothalonilFilter zu installieren.
Zunächst einmal: Ein herkömmlicher Aktivkohlefilter reicht dafür nicht aus. In Worben zum Beispiel ist eine Umkehr-Osmoseanlage geplant, um Trinkwasser aufzubereiten und die Chlorothalonil-Metaboliten herauszufiltern. Wir überlassen das Vorgehen den Wasserversorgungen. Aus unserer Sicht werden mit solchen Anlagen jedoch eher die Symptome und nicht die Ursachen der Verunreinigungen bekämpft.
Wo ist das Trinkwasser im Grossraum Bern denn am besten und wo am schlechtesten?
Das lässt sich nicht einfach so sagen. Es gibt bloss gewisse Voraussetzungen, die die Bedingungen für die Wasserversorgung beeinflussen. Quellfassungen in den Bergen sind in der Regel weniger belastet mit Pestiziden. Im Mittelland andererseits spielt die Landwirtschaft eine grössere Rolle: Düngemittel oder Jauche. Deswegen wird das Grundwasser dort oft mikrobiologisch aufbereitet, etwa mit einer UV-Anlage oder mit Chlor. Seewasser wie jenes vom Bielersee wird zusätzlich mit verschiedenen Filtern aufbereitet, um es trinkbar zu machen.
Soll ich das Wasser trotz allem lieber in abgepackten Flaschen kaufen statt aus dem Hahn zu trinken?
Das ist Geschmackssache, Wasser aus Flaschen enthält je nach Marke mehr oder weniger Mineralien. Vielleicht schmeckt einem das Hahnenwasser wegen einer Entkalkungsanlage im Haus nicht besonders. Gesünder ist das Wasser aus der Flasche kaum. Nochmals: Hahnenburger kann man zu einem sehr günstigen Preis bedenkenlos trinken.
Sie selbst trinken ebenfalls Hahnenburger?
Natürlich!
Wo kann ich nachschauen, wie gut die Trinkwasserqualität in meiner eigenen Gemeinde ist?
Die Versorger sind verpflichtet, die Abnehmer transparent zu informieren. So wurde es im Lebensmittelgesetz festgelegt. Publiziert werden die Daten im Amtsblatt oder im Internet. Dort finden sich zugleich jene Parameter, die unter anderem benötigt werden, um den Härtegrad der Waschmaschine richtig einzustellen.
Zusammenfassend erklärt: Alles super mit unserem Wasser?
Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel, das uns zur Verfügung steht. Und es ist jenes, das am häufigsten kontrolliert wird. Von den rund 10000 Lebensmittelproben, die wir im Kantonalen Laboratorium pro Jahr untersuchen, entfallen 4000 aufs Wasser. Das Trinkwasser im Kanton Bern ist von guter Qualität. Seien wir uns dessen bewusst und tragen wir dazu Sorge, damit es auch so bleibt.
Yves Schott