Chlyklass Pressefoto 1 By Peter Pfistner

«Gewisse Kids sind an einer ewigen Bad-Taste-Party»

Die Mundart-Rap-Band Chlyklass besteht aus elf Köpfen. Manager Baldy Minder (43) und Rapper Krust (42) haben mit uns über das neue Album und ihre Lieblingstankstelle gesprochen.

Eure Band heisst Chlyklass. Eine solche Sonderschule besuchen in der Regel schwierige oder lernschwache Kinder. Hat eigentlich einer von euch Erfahrung damit?
Krust: Nein. Aber wir sind eine chaotische Truppe, mit der es oft schwierig ist, etwas zu organisieren. Damit identifizieren wir uns. Alle haben eine eigene Meinung und sind recht stur.
Baldy Minder: Ursprünglich waren das drei Crews, die sich zu Chlyklass zusammengeschlossen haben: Wurzel 5, PVP und Thomes & Baze. Wurzel 5 und Baze waren Freunde aus dem Quartier Obstberg und PVP kommen aus dem Breitenrain.

Das heisst, es gab so etwas wie eine «Neighbourhood Pride», einen Stolz der Rapper auf ihr jeweiliges Quartier?
Baldy Minder: Auf alle Fälle. Anfangs haben sich die Crews eher so aus der Ferne betrachtet. Alle hatten ähnliche Interessen, begeisterten sich für Graffitis und Rap. Als Wurzel 5 in den früheren Bandraum von Polo Hofer & der Schmetterband in der Aarbergergasse zogen, fand man, PVP sowie Thomes & Baze sollten doch auch dazu kommen.

Krust, du bist mittlerweile zu alt, um nachts Graffitis auf Wände zu sprayen, oder?
Krust: Ja. Das macht man höchstens bis 25. Dann nimmt die Energie dafür ab. Ich habe immer nur legal gesprayt, offiziell.

Auf dem neuen Album besingt ihr mit dem titelgebenden Song «Deitinge Nord» eine Raststätte. Internationaler Rap erzählt von Gewalt und sozialen Problemen. Ist das nicht ein bisschen harmlos, wenn ihr über Minipics und Chipstüten rappt?
Krust: Es wäre schlicht nicht authentisch, wenn wir dieselben Probleme besingen würden, die beispielsweise amerikanische Rapper haben. Das wollen wir vermeiden. Man hört jene Geschichten gerne, die jemand auch erlebt hat. Natürlich gibt es auch in der Schweiz Probleme, die man benennen könnte. Wir haben uns auf diesem Album für einen anderen Weg entschieden.
Baldy Minder: Bei vielen Texten von Chlyklass handelt es sich um eine ironische Weltbetrachtung. Sozialkritische Untertöne sind dabei durchaus vorhanden.

Was ist so speziell an dieser Raststätte Deitingen Nord?
Krust: Das ist die einzige Raststätte, die in der Nacht nach den Konzerten offen hat, wenn du von Osten über die A1 kommst. Dort musst du raus, dort kannst du dich eindecken mit Essen.
Baldy Minder: Es gibt auch so etwas wie ein Ritual. Wenn wir dort vorbeikommen, singen wir ein Lied und klopfen an die Decke des Autos. Einmal weigerte sich ein Fahrer, dort anzuhalten. Wie haben ihn nie mehr beschäftigt.

Im Song «Neui Trainerhose» übt ihr Selbstkritik am Bild des Rappers …
Diens (Rapper und Produzent, d. Red.) kokettiert in der Textzeile «Sie für Rap ir Schwiz wi Parasite», damit, dass wir mit möglichst wenig Aufwand viel Ertrag machen. Das stimmt natürlich nur bedingt.

Könnt ihr eigentlich von der Musik leben?
Krust: Alle haben einen Zweitjob, obwohl Greis und Baze wohl davon leben könnten. Ich zum Beispiel arbeite als Lehrer.

Wer macht eigentlich was auf dem neuen Album?
Krust: Viele Refrains sind von Baze oder Diens. Sie sind brillant darin.
Baldy Minder: Aber letztendlich schreibt jeder seine Texte selber. Jeder ist für seinen Part verantwortlich.
Krust: Es sind zehn Lieder und jeder ist etwa auf sieben Liedern präsent.

Der Track «Nümm Normau» startet mit einer Diskussion unter euch. Seid ihr ein Debattierclub?
Krust: Wir diskutieren sehr gerne. Wir widersprechen uns oft aus Prinzip, am Spass an der Diskussion und Argumentation. Wir diskutieren einfach gerne kontrovers.
Baldy Minder: Wirklich? Jetzt geht mir ein Licht auf.

Wie politisch seid ihr?
Krust: Wir sind nicht engagiert oder Mitglied in Parteien, aber interessiert.
Baldy Minder: Wir sprechen intern eher über die nächste Tournee oder den kommenden Videoclip als über Politik. Oder über Fussball, das ist ein sehr wichtiges Thema.

Ich nehme an, ihr seid YB-Fans?
Krust: Klar. Darin sind wir hineingeboren. Das haben wir uns nicht ausgesucht.

Der Hipster bekommt in einem eurer Songs sein Fett ab. Ist das eine Gegenfigur zum Rapper?
Krust: Nein, nicht wirklich. Viele von uns haben selbst Eigenschaften des Hipsters. Ich gehe gern in einen Bioladen einkaufen. Und ich habe auch so ein altes umgebautes Rennvelo.
Baldy Minder: Ich glaube, es geht im Text um das Beobachten des Hipster-Phänomens: Wie hat sich die Szene und die Modewelt gewandelt?
Krust: Wir sind jetzt in einem Alter, in dem man Neuerscheinungen aus der Distanz wahrnimmt. Jede neue Jugendkultur werden wir wohl fortan kritisch beäugen. Man wird unflexibler. Diese neuen Frisuren zum Beispiel. Ich verstehe es nicht. (lacht)
Baldy Minder: Wenn ich gewisse Kids anschaue, habe ich das Gefühl, die sind an einer ewigen Bad-Taste-Party.

Ihr seid mittlerweile alle Väter. Passt das zusammen – Vater sein und cooler Rapper?
Es schliesst sich nicht aus, denn man kann auch als Eltern noch sein Ding durchziehen. Aber es bleibt massiv weniger Zeit übrig. Und wenn man an ein Konzert geht, überlegt man sich schon, ob man sich abschiessen will, wenn man am nächsten Tag wieder funktionieren muss.

Helen Lagger

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