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«Gibt es genug Geimpfte, kann wieder Normalität einziehen»

Noch ist die Lage schwierig, die Zahl der Neuinfektionen relativ hoch. Doch Kantonsärztin Linda Nartey vermittelt Zuversicht – vor allem auch für die Jungen.

Ende Februar 2020 wurde der erste Corona-Fall im Kanton Bern bekannt. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Wenn ich mich richtig zurückerinnere: nichts Wahnsinniges. Ich wusste: Jetzt geht es los. Das Virus trat bereits in der Schweiz auf, es war also nicht die Frage ob, sondern bloss wann es Bern erreicht.

Das letzte Gespräch mit Ihnen führten wir in jenem Februar, als die Pandemie gerade anrollte. Wenn Ihnen zu jenem Moment jemand gesagt hätte, wie sich die Lage entwickelt – hätten Sie ihm geglaubt?
Sagen wir es so: Wir haben gehofft, dieses Ereignis würde sich weniger lange hinziehen. Natürlich weiss man aus der Geschichte von Pandemien, dass sie bis zu zwei Jahre dauern können und sie sich in verschiedenen Wellen abspielen. Dennoch glaubten wir, dank verschiedener Massnahmen eine Pandemie abschwächen oder den Verlauf verkürzen zu können.

Über Schutzmasken wurde zu Beginn intensiv diskutiert. Sie, Frau Nartey, waren damals ebenfalls der Auffassung, diese würden kaum einen Schutz vor Viren bieten. Heute sind Masken im öffentlichen Raum Standard. Haben Sie sich getäuscht?
Was wir bereits zu Beginn wussten, war, dass es sich bei Covid-19 um eine Tröpfcheninfektion handelt. Die Rolle von Hygiene-Schutzmasken wurde zunächst kontrovers diskutiert, das stimmt. Masken können schützen, sind aber nicht das Allerheilmittel gegen die Pandemie, denn wie Sie sehen, schaffen wir es momentan selbst mit koordinierten Massnahmen nur, die Situation einigermassen zu stabilisieren.

Was gilt denn nun als beste Massnahme, um sich zu schützen? Einige Menschen wissen gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht.
Am effektivsten ist nach wie vor, Kontakte weitestgehend zu vermeiden. Letzten Frühling, als praktisch alles geschlossen war, sanken die Zahlen dank des Lockdowns relativ schnell. Aktuell wird versucht, ein Gleichgewicht zwischen Restriktionen, Freiheiten und dem wirtschaftlichen Überleben herzustellen. Im Herbst 2020 hatten wir kurzzeitig die Kontrolle verloren; heute sind die Zahlen zwar nach wie vor relativ hoch, aber die Situation ist weniger akut als damals.

Vor allem besteht seit kurzem die Möglichkeit, sich zu impfen.
Genau. Aber eben noch nicht lange. Jetzt geht es darum, möglichst schnell viele Menschen zu impfen und zu beobachten, wie gut der Schutz dieser Vakzine ist: Schützt er nur die betreffende Person selbst oder verhindert die Impfung auch eine weitere Übertragung? Die derzeitigen Daten weisen in eine gute Richtung. Wenn sich das weiter bestätigt, werden wir die Massnahmen lockern können, in dem Masse, in dem genug Menschen geimpft sind.

Wenn alle geimpft sind, spricht doch nichts dagegen, wieder ein normales Leben zu führen?
Es kommt vor allem darauf an, wie viele Menschen sich impfen lassen. Wenn deren Zahl gross genug ist, kriegen wir das Virus unter Kontrolle und es kann wieder Normalität einziehen.

Konkret: Wie lange müssen wir noch mit Masken rumlaufen und dürfen junge Leute nicht in Clubs und Bars?
Wenn viele Menschen geimpft sind, die Impfstoffe die erhoffte Wirkung zeigen und die Ansteckungen sich auf einem niedrigen Niveau einpendeln, werden wir die Masken weniger tragen müssen und können uns wieder frei bewegen, auch in Clubs. Lokale Ausbrüche sind in Zukunft nicht auszuschliessen. Das bedeutet allerdings nicht, immer sofort alles abzuriegeln. Gleichzeitig kann ich mir durchaus vorstellen, dass Masken in Zukunft gerade im Winter häufiger getragen werden, schon alleine wegen der saisonalen Grippeviren.

Etliche da draussen sind Coronamüde. Das ist angesichts der harten vergangenen Wochen verständlich. Ganz ehrlich: Einen zweiten Lockdown im kommenden Winter hält doch keiner durch?
Ich verstehe, dass die meisten Menschen genug von Corona haben. Das geht mir auch so. Diese Aufgabe kann uns aber niemand abnehmen: das Universum nicht und auch nicht der Bundesrat. Nur wir selber können das, jeder und jede Einzelne und wir gemeinsam. Ich meine das nicht als Vorwurf, ich will bloss sagen: Keine Lust mehr darauf haben ist das eine, aber die Bekämpfung nicht mitzutragen, funktioniert nicht.

Wie hoch ist denn Ihr Corona-Müdigkeits-Level?
Ich kann die Situation aushalten. Sonst geht es mir wie allen anderen: Ich habe Corona gründlich satt.

Was hat Corona mit Ihnen persönlich gemacht? Sie mussten sich viel Kritik anhören und arbeiteten teilweise sieben Tage pro Woche.
Generell geht es mir gut. Aber selbstverständlich hat mir das letzte Jahr einiges an Energie geraubt, ich bin schon weniger fit als noch vor einem Jahr. (lacht)

Einmal hat sie sogar ein Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner verfolgt.
Das war eine unangenehme Situation, klar, das hat niemand gerne. Deshalb laufe ich nun allerdings nicht voller Angst durch die Gassen. Soweit das möglich ist, bewege ich mich in der Stadt ganz normal.

Unter den intensiven Arbeitstagen litt Ihr Privatleben. Können Sie jetzt wieder vermehrt Zeit mit Ihrer Familie verbringen?
An meiner Auslastung hat sich noch nicht sehr viel verändert. Da aber bekanntermassen eine Homeoffice-Pflicht herrscht, sehe ich meine Familie tatsächlich wieder häufiger.

Wie hat die Coronakrise Sie persönlich verändert?
Fachlich habe ich vieles dazugelernt. Persönlich habe ich gemerkt, wie wichtig Bescheidenheit und Achtsamkeit sind. Jeder hat nur ein Leben, das können wir nicht auf später verschieben. Trotzdem können wir gerade in einer Pandemie nicht immer ganz frei entscheiden, wie wir leben. Was uns die Pandemie in aller Deutlichkeit vor Augen geführt hat: Wir besiegen das Virus nicht als Einzelkämpfer, sondern als Gesellschaft.

In einem Zeitungsbericht haben Sie angedeutet, diesen Job vielleicht nicht mehr allzu lange ausüben zu wollen. Treten Sie bald ab?
Nein, so sollte das nicht rüberkommen. Ich meinte damit, dass es auch von mir abhängt, dieses Jahr anders einzuteilen und mir Inseln zu schaffen, meine Batterien wieder aufzuladen. Es ist keine Tragödie, eine gewisse Zeit an die Grenzen zu gehen, im richtigen Moment sollte man hingegen wieder gut zu sich schauen.

Sie bleiben also Berner Kantonsärztin?
Ja, ich mache mir keine anderen Überlegungen. Nur in die Ferien möchte ich gerne mal.

Yves Schott

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