Der Berner Marcus Signer(«Der Goalie bin ig») über Staffel 3 der SRF-Krimiserie «Wilder», Privatsphäre, sein Verhältnis zu Kägi, Bruno Ganz und die Romandie.
Wie geht es Ihnen?
Danke, soweit gut. Ich bereite mich gerade auf die Dreharbeiten der vierten Staffel vor.
Was für Kleider packen Sie ein?
Weshalb fragen Sie?
Das Wetter spielt in «Wilder» eine Hauptrolle. Es ist kalt, mit Schnee oder Nebel, und ist oft dunkel, gera-de in der dritten Staffel. Wie nehmen Sie es wahr?
Für mich ist es ein Teil der Gesamt-energie. Zusammen mit der Landschaft und der Art, wie sich das Dorf anfühlt, erzeugt es die Atmosphäre, in der die Handlung eingebettet ist. Die Stimmung im Berner Jura und in La-Chaux-de-Fonds war schon sehr speziell. Das Wetter hat oft gewechselt, manchmal war es düster, dann wieder sonnig.
Von der Sonne sieht man aber nichts …
Wir haben oft frühmorgens in der Dämmerung und kurz vor Sonnenuntergang gedreht. Bei schönem Wetter kann man das Licht mithilfe eines Filters verändern oder macht dann Innendrehs.
Wie gut kannten Sie den Jura vor «Wilder»?
Gar nicht gut. Ich habe ihn erst durch die zweite «Wilder»-Staffel kennengelernt. Von meinem Welschlandjahr, das ich abgebrochen habe, war mir in der Romandie nur die Gegend oberhalb von Montreux ver-traut. Die hügelige Juralandschaft mit ihren Wäldern, Grotten und ver-lassenen Höfen war für mich eine Entdeckung.
Könnten Sie sich vorstellen, dort zu leben, oder brauchen Sie die Urbanität?
Nein, mir gefällt auch das Ländliche. Ich bin ja teilweise in Walkringen und Bremgarten aufgewachsen und erst danach wieder in die Stadt Bern gekommen.
Kägi haust in einem Wohnwagen. Welche Ansprü-che ans Wohnen haben Sie?
Wasser ist wichtig, WC und Dusche, dass es nicht kalt ist und dass man selber kochen kann.
«Wilder» hat durchschnittlich 600 000 Zuschauer. Wie reagieren diejenigen, die Ihnen zufällig begegnen?
Die meisten Schweizer sind sehr diskret. Sie reden hinter vorgehaltener Hand über mich. Vor Corona gab es aber auch Leute, die mich auf der Strasse direkt ansprachen und Kritik oder Lob äusserten, obwohl ich sie nicht darum gebeten hatte (lacht)! Andere möchten ein Foto oder ein Autogramm. Viele freuen sich einfach, mich als Normalo auf der Gasse, im Bus oder Zug zu erleben. Seit ich Maske trage, werde ich jedoch seltener erkannt.
Könnten Sie Kägi für alle Leute, denen «Wilder» noch nicht vertraut ist, aus Ihrer Warte charakterisieren?
Ich finde, das sollte jeder selbst herausfinden. Man sieht doch, was für einer das ist: Ein Einzelgänger, ein arbeitsamer, akribischer Polizist… Er denkt viel, oft zu viel, hat mit bestimmten Dingen seine Mühe, je länger, je mehr. All die Toten, die seinen Weg pflastern. Die Routine, die Fälle, die einem mehr oder weniger nahegehen. Mit sozialen Kontakten ist er sehr zurückhaltend.
Kommt es Ihnen entgegen, dass «Wilder» eine eher wortkarge Serie ist?
Ja, das entspricht ganz meinem Geschmack. Das ist gut für die Figur, gut für das Spiel, gut für die Konzentration. Ich sehe gern Sachen, wo nicht viel geredet wird. Das finde ich spannender.
Sehen Sie sich zuhause verwandte oder ganz andere Krimis an?
Nordische Krimis gefallen mir, doch ich schaue querbeet: alte Klassiker, Stummfilme, Naturfilme über Tiere oder das Universum, Dokumentationen, Politisches, Geschichtliches. Es kann auch mal eine Komödie sein.
Ihre Jugend war nicht so lus-tig. Sie schienen eher auf die schiefe Bahn zu kommen als Polizeibeamter zu werden. Woran lag das?
Schwierig zu sagen…Ich weiss es auch nicht. Wir zogen oft um, dauernd änderte das Umfeld. Meine Mutter war alleinerziehend und musste arbeiten. Es gab keine festen Strukturen daheim, kein Aufwachsen in klassisch-bürgerlichen Verhältnissen. Mit meinem Bruder war ich viel allein unterwegs. (Räuspert sich) Schiefe Bahn? Nein, einfach ein paar Flegeljahre. Die sind normal und kommen auch in besseren Kreisen vor. Ich habe einige Geschichten aus dieser Phase ausgeplaudert und die hat man an die grosse Glocke gehängt. Ich möchte nicht mehr darauf reduziert werden.
Nach welchem Film haben Sie zum ersten Mal davon geträumt, Schauspieler zu werden?
Starke Figuren wie Charlie Chaplin haben mich seit jeher begeis-tert. Auch clowneske Sachen. Schon früh habe ich Emil-Programme auf Kassette aufgenommen und konnte alle Nummern auswendig. Wenn in der Schule jemand gesucht wurde, der etwas vortragen sollte, war ich immer der Erste, der sich gemeldet hat. Dann stellte sich zwar sofort das Lampenfieber ein, doch die Lust, mein schauspielerisches Talent und meine komödiantische Seite auszuleben, war grösser.
Was hat Ihnen die Energie verliehen, mit der Sie die Schauspielerei zu Ihrem Beruf machten?
Der Wunsch, neue Welten zu entdecken, sich zu verwandeln. Auch der Erfolg und die Freude darüber, dass man ankommt mit dem, was man macht.
Eine Bestätigung, die Sie noch nicht kannten?
Genau. Nach meiner Lehre als Hochbauzeichner wollte ich ursprünglich Architekt werden, aber da ist es noch schwieriger zu reüssieren als in der Schauspielerei.
Gibt es Parallelen zwischen diesen Berufsgattungen? Sind Sie der Planer oder der Spontane?
Das kommt ganz auf die Figur an. Bei Kägi hatte ich das Bedürfnis, mich vorzubereiten. Ansonsten ist viel Intuition im Spiel. Ich versuche immer, mich weit auf die Äste hinauszulassen. Es kommt oft vor, dass ich eine Figur zeichnerisch skizziere, damit ich sie mir vorstellen kann. Es gibt Vorbereitungstechniken, die man einsetzen kann: Welches Tier wäre der Mensch oder welche körperlichen Schwachstellen hat er? Aber alles will ich über meine Arbeitsweise nicht verraten (lacht).
Wie gehen Sie mit den Dialogen um?
Ich halte mich nicht immer an den Text des Drehbuchs. Manchmal verändern sich die Wörter während des Spiels. Ich brauche kein starres Gerüst, um loszulegen. Bei Kägi ist das anders: Er hat eine klare Struktur. Ich stelle mir vor, dass er Rituale hat, bevor er zu arbeiten beginnt. Die dritte Staffel ist insofern speziell, weil es ein interner Fall ist, der mit der Polizei selber zu tun hat. Das macht ihm schlaflose Nächte und lässt ihn an der Institution zweifeln. Zudem kommt er selbst in Gefahr. Und wenn die Angst dazukommt, beginnt das Gefüge zu wanken. Zudem will er mit dem Rauchen aufhören.
Nehmen Sie sich das auch vor?
Ich nehme mir schon Sachen vor, aber nur im positiven Sinn. Ich wünsche mir, dass sie passieren. Wenn man etwas aufgeben will, sollte man den Entschluss eher aus dem Moment heraus fassen.
Möchten Sie gar nicht aufhören?
Nein, im Moment nicht. Obwohl das Rauchen gar keinen grossen Spass mehr macht, weil man sich immer verstecken muss oder an besondere Plätze gehen, wo man es noch tun darf.
Zurück zu Ihrem Beruf: Ist man als guter Schauspieler verführt, seinen Mitmenschen auch in der Realität etwas vorzuspielen?
Das machen doch alle Menschen! Ich glaube nicht, dass man als Schau-spieler etwas besser vorgeben oder verstecken kann.
Vielleicht begegnet man Schauspie-lern misstrauischer …
Das ist wahr! Man fragt sich, ob es wirklich stimmt, was er erzählt und wie er sich gibt. Meine Erfahrung ist, dass Schauspieler echt sein wollen, müssen sie doch schon im Beruf immer etwas vorspielen. Ich persönlich bin privat lieber authentisch und nicht mit Allüren behaftet.
Apropos Allüren: Wie haben Sie Stars wie Bruno Ganz oder Gudrun Landgrebe erlebt, als Sie mit ihnen drehten?
Ich kann nicht sagen, dass ich mit Bruno Ganz gespielt habe. Ich kam im gleichen Film vor. Aber ich erinnere mich, dass er sich den anderen gegenüber sehr verschlossen verhielt. Er kam auch nur an eine einzige Probe. Ich war etwas enttäuscht von ihm, nicht als Schauspieler, sondern von seinem Umgang. Danach habe ich ihn eine Zeit lang nicht mehr gerne gesehen.
Sie haben von sich gesagt, Sie hät-ten sich früher nicht immer bemüht, rechtzeitig auf Rollenangebote zu antworten. Was war Ihnen damals wichtiger?
Vermutlich mein Privatleben, meine Privatsphäre. Wahrscheinlich ver-passte ich einiges, weil ich Angst davor hatte, meine Selbstbestimmung zu verlieren. Ich bin halt schon ein freiheitsliebendes Tier. Ist man erst einmal in Agentenhänden, muss man Verpflichtungen eingehen und dann wird es ein Müssen statt ein Dürfen. Lieber versuchte ich, in den kleinen Dingen zu glänzen. Den Anspruch, das Beste aus einem Moment herauszuholen, habe ich schon, aber manchmal keine Lust, mehr dafür zu tun, als ich will (schmunzelt).
Wie beeinflusst Corona Ihr Leben?
Es drückt natürlich auf die Stimmung. Das ist klar. Es ist jedoch auch ein Anstoss, sich seine Gedanken zu machen. Es wäre schön, wenn es zu gesellschaftlichen Veränderungen, mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit führen würde, aber es sieht nicht danach aus. Ansonsten gehe ich mit dem Virus um wie alle anderen, halte die Regeln ein und lasse mich testen.
Hatten Sie mehr Zeit zum Malen und Musik machen?
Ja, aber das ist nun vorbei. Ich muss gleich zur «Wilder»-Kostümprobe nach Zürich.
Was machen Sie an den Dienstag-abenden im Januar?
(Denkt lange nach) Keine Ahnung, ich werde vermutlich am Arbeiten sein, am Drehen. Wenn ich Zeit habe, werde ich mir «Wilder» ansehen.
Sehen Sie die dritte Staffel nicht, be-vor sie ausgestrahlt wird?
Ich habe sie noch nicht bekommen und daher auch nicht gesehen. Aber ich kann warten, denn ich weiss, wie die Geschichte ausgeht..
Reinhold Hönle