Muss es immer die Uni sein? Und soll sich der Staat bei den Löhnen wirklich einmischen? Im Bärnerbär kreuzen die beiden Grossräte Verena Aebischer (SVP) und David Stampfli (SP) die Klingen. Frau Aebischer, sie haben eine Berufslehre als Kauffrau absolviert und sind mittlerweile diplomierte bernische Gemeindeschreiberin. Kam eine Hochschulausbildung für Sie nie infrage?
Nein, das wusste ich schon sehr früh. Ich sah meinen Platz an einem anderen Ort. Ich weigerte mich sogar, in die Sek in Schwarzenburg zu gehen, weil unser Reallehrer uns sehr stark gefördert hat. Es hiess zwar, aufgrund meiner Noten müsse ich zweifellos dahin und ich habe mich quasi dazu breitschlagen lassen. Der Gymer war dann aber definitiv kein Thema.
Herr Stampfli, Sie haben Geschichte und Philosophie mit einem Master abgeschlossen. War immer klar, dass Sie studieren möchten?
Das hat sich mit der Zeit so ergeben, ja. Der Entscheid stand sicher auch in Zusammenhang mit meinen Eltern, die ebenfalls beide studiert hatten. Ich wählte Geschichte übrigens einfach deswegen, weil mich das Fach interessierte.
Übten Ihre Eltern Druck auf Sie aus, an die Uni zu gehen?
David Stampfli: Nein, ich persönlich habe mich dafür entschieden. Allerdings: Eltern mit Studienhintergrund helfen ihren Kindern zuhause häufiger, was dazu führt, dass diese wiederum eine Uni besuchen. Damit entsteht ein Ungleichgewicht. Deshalb ist es so wichtig, an der Schule für Chancengleichheit zu sorgen. Für viele ist ein Studium heute das Mass aller Dinge, auch aus finanziellen Gründen – das halte ich für keine gute Entwicklung.
Verena Aebischer: Schülerinnen und Schülern wird vermittelt, sie sollten am besten einfach mal studieren und danach weiterschauen. Das darf nicht sein! Wenn die Uni mein Ziel gewesen wäre, hätte ich wohl auch das hingekriegt. Wir müssen Jugendlichen einfach wieder viel deutlicher in Erinnerung rufen, dass, egal, ob sie sich für eine handwerkliche oder kreative Ausbildung entscheiden, es keine falsche Berufswahl gibt. Mit unserem dualen Bildungssystem ist es jederzeit möglich, einen neuen Weg einzuschlagen und allenfalls noch ein Studium zu beginnen – erfolgreiche Beispiele dafür existieren genug.
Wie soll das geschehen?
Stampfli: Bei der Entlöhnung des Pflege- oder Kitapersonals hätte der Staat eine direkte Möglichkeit, einzugreifen. Die Fluktuation in diesen Branchen ist enorm, weil das Einkommen gering und die Belastung hoch ist. Natürlich, das würde Geld kosten – es wäre in diesem Bereich jedoch deutlich sinnvoller investiert als bei neuen Kampfjets.
Verena Aebischer und die SVP würden eine solche Lösung kaum gutheissen.
Aebischer: Nein, meiner Meinung nach ist nicht der Staat verantwortlich für die Entlöhnung und letztendlich sollte nicht der Lohn darüber entscheiden, welchen Job jemand ausübt. Ich wollte bei dem, was ich tue, stets mit Leidenschaft dahinterstehen. Das stand für mich im Vordergrund. Glücklicherweise gibt es ja in jedem Beruf die Möglichkeit von Weiterbildungen, um sich so zu entwickeln und etwas aufzubauen.
Aber es ist doch unfair, wenn ein Florist oder ein Coiffeur kaum 4000 Franken pro Monat verdienen.
Aebischer: Meine Schwester ist Landwirtin; der Lohn und die Wertschätzung, die diese Branche erhält, empfinde ich als absolut unfair. Andererseits verdienen gewisse Manager so viel, dass sie dieses Geld ihr Leben lang nicht ausgeben können.
Innerhalb der SVP finden sich gleich mehrere solche Exponenten.
Aebischer (insistiert): Vor allem auch solche, die nicht zu diesen obersten zehn Prozent gehören!
Stampfli: Ich würde der SVP nicht vorwerfen, eine Partei von Gutverdienenden zu sein. Aber ich kreide ihr an, kaum etwas dafür zu tun, um einen Ausgleich zu schaffen. Wir brauchen eine gerechtere Besteuerung. Würden Leute mit grossem Einkommen stärker belastet, könnte der Staat im Gegenzug Kita- oder Pflegepersonal besser entlöhnen.
Aebischer: Eine unattraktive Besteuerung hat natürlich zur Konsequenz, dass jene, die unser System unterhalten, wegziehen!
Bevor wir in eine handfeste Steuerdiskussion reinschlittern, lassen Sie uns zurück zum eigentlichen Thema kommen. Frau Aebischer, Ihrer Meinung nach werden Unis an den Schulen eindeutig zu stark beworben.
Aebischer: Es darf nicht sein, dass jedes Kind in Richtung Studium gefördert oder beinahe gedrängt wird, wenn vielleicht die Fähigkeiten und Interessen in einer anderen Sparte liegen. Die Berufslehre muss im Gegenzug dazu zwingend an Attraktivität gewinnen, ein späterer Studiengang ist dank unseres Systems ja jederzeit möglich.
Stampfli: Deswegen müssen wir über die Förderung reden. Wir von der SP setzen uns dafür ein, dass Kinder an Ganztagesschulen möglichst viel Zeit in der Schule verbringen, um sie einheitlich zu fördern.
Nun stellt sich die Frage, ob Sie die richtige Person sind, um solche Forderungen zu stellen. Innerhalb der SP wimmelt es von Intellektuellen, eine Partei der Büetzer sind Sie schon lange nicht mehr.
Stampfli: Die Frage ist ja eher, wofür man sich einsetzt.
Eine gewisse Vorbildfunktion wäre durchaus angebracht.
Stampfli: Wahrscheinlich ist der Ausdruck Büetzer mittlerweile einfach ein veralteter Ausdruck. Ich bin der Meinung, die Sozialdemokraten unterstützen Angestellte und kleine Betriebe sehr wohl. In der Corona-Krise haben wir schliesslich probiert, solche Menschen zu unterstützen, sind jedoch leider am Widerstand von rechts gescheitert. Ja, in der SP gibt es einige Studierte, aber wir setzen uns nach wie vor in erster Linie für die kleinen Einkommen ein.
Aebischer: Ich frage mich schon, wie Sie sich für jemanden einsetzen wollen, von dessen Berufsalltag Sie kaum Ahnung haben. Ich kenne etliche Handwerker, die weder SVP noch SP wählen, die aber mit den Gewerkschaften schlicht nichts anfangen können.
Halten Sie sich eigentlich für gebildet, Herr Stampfli?
(Überlegt) Als Kind glaubt man, man müsse bloss einige Dinge wissen, um zu kapieren, wie die Welt funktioniert. Als Erwachsener stellt sich dann heraus, dass man nur von einem winzig kleinen Teil wirklich Ahnung haben kann. Von da stammt wahrscheinlich der Ausdruck «Fachidiot». Ich habe einen Uni-Abschluss – und gleichzeitig von zig anderen Bereichen überhaupt keine Ahnung.
Aebischer: In gewissen Bereichen habe ich durch meinen Werdegang bestimmt eine gute Bildung erhalten. Aber ich durfte auch andere Fähigkeiten erlernen und bin beispielsweise stolz darauf, eine Kuh melken zu können. Das wird einem in der Schule oder im Studium normalerweise nicht beigebracht. Durch meine verschiedenen Erfahrungen und meinen Beruf fühle ich mich in dem Sinne schon gebildet, ja ausgelernt hat man aber nie.
SVP, ländlich, kein Studium und deshalb ungebildet. Dieses Klischee wurde Ihnen noch nie an den Kopf geworfen?
Aebischer: Nein, wirklich nicht. Wer weiss, was eine Ausbildung zur Gemeindeschreiberin beinhaltet, würde das auch nicht behaupten. Ich muss mich mit diversen Gesetzen auskennen und eine grosse Bandbreite abdecken. Um in die Tiefe zu gehen, beispielsweise bei juristischen Angelegenheiten, ziehe ich dann aber sehr gerne einen sogenannten «Fachidioten» zu Rate. (lacht)
Was tun Sie für Ihre tägliche Bildung?
Stampfli: Um ein Buch zu lesen, fehlt mir leider oft die Zeit. Stattdessen studiere ich regelmässig die Unterlagen der Grossratssessionen. (lacht) Abgesehen davon höre ich mir häufig das «Rendez-vous» oder das «Echo der Zeit» auf Radio SRF an.
Aebischer: Bücher sind bei mir ebenfalls eher ein Ferienprojekt. Was ich konsumiere, sind Zeitungen vor allem in digitaler Form: «Der Bund», «BZ» oder «NZZ». Den Bärnerbär bekommen wir in Guggisberg leider nicht. (lacht)
«Bildung bedeutet Begabung zum Mensch sein». Was halten Sie von diesem Zitat?
Stampfli: Eine schwierige Frage. Für den Menschen ist Bildung etwas enorm Wichtiges. Dass jemand mehr Mensch ist, weil er oder sie gebildet ist – dieser Aussage würde ich hingegen klar widersprechen.
Aebischer: Den Satz kann man auch so auslegen, dass es keine Hochschulausbildung benötigt, um ein guter Mensch zu sein. Das hat aber mit dem ständigen Lernprozess in verschiedenen Bereichen sowie mit Werten und Erziehung zu tun.
Yves Schott