Gwendolyn Masin 01

«Ich finde Bach gut – und ich finde Beyoncé gut»

Heute London, morgen Brüssel, dann Amsterdam und Budapest: Star-Geigerin Gwendolyn Masin (42) tourt durch ganz Europa und unterrichtet Musikstudenten. Was viele nicht wissen: Das ehemalige «Wunderkind» wohnt seit vielen Jahren in der Berner Altstadt. Dem Bärnerbär gewährte die Künstlerin ein exklusives Hausgespräch.

Frau Masin, woher kommt eigentlich der Name Gwendolyn?
Aus Wales in England. Masin ist übrigens ein hugenottischer Name.

Sie stammen aus einer MusikerFamilie.
Ja, meine Mutter und mein Vater spielten Geige und Bratsche. Ich bin jetzt die vierte Musikergeneration in dieser Familie.

Wann haben Sie mit der Musik begonnen?
Als ich 3 Jahre alt war, begann ich mit Klavier-Unterricht, mit 5 Jahren folgte die Geige.

Sie galten damals als Wunderkind.
Ja, aber gegen meinen Willen. Überall, in Holland, Kapstadt oder Ungarn wurde ich als sogenanntes Wunderkind bejubelt, was mir und meinen Eltern fremd war.

Immerhin: Mit 5 Jahren gaben Sie Ihr erstes Konzert …
…das war im grossen Saal der Liszt-Akademie in Budapest. Ich spielte ein Konzert für Geige und Orchester.

Wir sitzen jetzt in einem grossen Wohnraum in der Berner Altstadt. Hier wohnen Sie, wenn Sie nicht gerade auf Konzerttournee oder auf Reisen sind.
Ich wohne hier seit 2014. Vorher lebte ich 15 Jahre lang in einer WG. Aber ich war nie dort, denn ich war stets auf Reisen, lebte auf Flughäfen und in Hotels. Ich spielte oder studierte in ganz Europa.

Bern sei langweilig, bürokratisch und spiessig, sagen gewisse Leute. Wie empfinden Sie Bern?
Als ich mit 19 nach Bern kam, war das für mich ein Kulturschock. Ich wurde fast depressiv.

Warum?
Alles war neu für mich, ich sprach kein Deutsch, war 2000 Kilometer von zuhause entfernt, hinzu kam die Stimmung in der Stadt und am Konsi. Wer Ideen hatte, kreativ war und international dachte, war ein Exot. Deshalb kann ich gewisse Vorurteile verstehen.

Und wie empfinden Sie Bern heute?
Wenn man aktiv auf die Bernerinnen und Berner zugeht, sind sie sofort dabei! So gesehen, trifft das, was Sie vorhin gesagt haben, überhaupt nicht mehr zu. Ich werde oft gefragt: Warum lebst du in Bern, warum nicht in Zürich oder Berlin?

Und warum leben Sie seit über 20 Jahren immer wieder in Bern?
Erstens: meine Arbeit. Mein Festival GAIA. Hier befindet sich auch mein Buchverlag. Zweitens: Mein Leben ist sehr schnell. Bern gibt mir die nötige Ruhe.

Wie muss man sich den Alltag einer Star-Geigerin vorstellen?

(Lacht) Eine gute Frage! Was ich auf meinen Reisen im Ausland nicht kann, kann ich eben hier in Bern. Ich bin hier inspiriert, habe Zeit und Ruhe. Das eher langsame Tempo in Bern ist für mich perfekt. In New York, Berlin oder London wäre das ganz anders.

Damit bestätigen Sie ein uraltes Vorurteil: Bern ist langsam!
Ja, das allgemeine Tempo in der Stadt ist langsamer. Alles ist entspannter, gelassener, ruhiger.

Sie sind ein Star. Sie stehen auf den Konzertbühnen dieser Welt. Fühlen Sie sich auch als Star-Geigerin?
Nein, ganz und gar nicht!

Wie viele Werke haben Sie im Kopf? Stücke, die Sie jederzeit spielen können?
Ich kann Ihnen das genau sagen, weil ich das immer aufschreibe. Mein Repertoire umfasst mehr als 400 Stücke. Etwa 100 bis 150 Stücke kann ich jederzeit abrufen.

Das setzt ja ein gewaltiges Denkvermögen voraus. Wie schaffen Sie das?
Mit sehr viel Übung.

Was haben Sie eigentlich für eine Geige? Eine Stradivari aus dem 18. Jahrhundert?
Es ist eine italienische Geige. Sie wurde 1761 in Florenz gebaut und gehört meinem über 80-jährigen Vater, der sie selbst spielte. Daneben besitze ich eine neue Geige, die für mich gemacht wurde.

Was ist gute Musik?
Kurz gesagt: Ich finde Bach gut. Ich finde Stockhausen gut – und ich finde Beyoncé gut.

Viele Musikerinnen und Musiker möchten die Menschen nur unterhalten, ohne philosophischen Ansatz.
Das ist völlig legitim. Mal ganz ehrlich: Mozart war Unterhaltung. Oder die 9. Symphonie von Beethoven – Unterhaltung. Eines der populärsten Musikwerke der Welt.

Sie leben hier in der Altstadt mit Mann und Kindern …
Ich habe keine Kinder.

War das nie ein Wunsch?
Mittlerweile schon, es ist ja noch nicht zu spät. Mal schauen.

Ist Ihr Partner Musiker?
Nein. Unternehmer. Er ist Ingenieur und arbeitet im Umweltbereich.

Sie lieben gutes Essen?
Ich habe meinen Lebens- und Ernährungsstil vor etwa zwei Jahren komplett umgestellt. Ich mache vier- bis fünf Mal pro Woche Yoga, trinke nur noch eine Tasse Kaffee pro Tag – und sonst Wasser. Ich liebe eine gute Flasche Wein, bin aber keine Musikerin, die immer wieder Alkohol trinkt. Ich liebe Fisch, Gemüse. Ich gehe auch einmal pro Woche ins Fitness-Studio.

Ihr Lebensmotto?
(Denkt lange nach) Lebensmotto? Ich fühle mich jeden Tag sehr inspiriert.
Peter C. Moser

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