Er ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Schweiz. Alle seine jüngsten Romane sind Bestseller. Auch sein jüngstes Werk, «Der Sänger», steht seit Wochen ganz oben in der Schweizer Bestsellerliste.
Wie lebt Lukas Hartmann in seinem Haus im Spiegel bei Bern? Wie denkt der 75-jährige ehemalige Lehrer, Journalist und Bundesratsgatte über Politik, Gesellschaft, Geld, Religion, Genuss und Alter?
Lukas Hartmann, Sie heissen ja nicht Hartmann, sondern …
… Hans Rudolf Lehmann.
Warum dann der Künstlername Hartmann?
Der Namenswechsel geht viele Jahrzehnte zurück, als ich das Bedürfnis hatte, ein anderer Mensch zu sein. Vielleicht hat man ja so eine Lebensphase zwischen 20 und 30.
Warum wollten Sie ein anderer Mensch sein?
Ich war ein braver, hervorragender Schüler und bestand die Prüfungen glänzend. Irgendwann wurde ich mit dem Rebellions-Bazillus der 68er-Bewegung angesteckt.
Gingen Sie denn als junger Mann auf die Strasse?
Ja, auch das. Ich demonstrierte zum Beispiel gegen die AKW.
Wenn ich sage: Lukas Hartmann ist ein «alter Linker» oder ein alter 68er. Trifft das zu?
Ich sehe mich eher als Sozialliberaler.
Wie denkt ein Sozialliberaler?
Er vertritt linke Positionen, ist aber kompromissbereit. Der Sozialliberale stellt sich zum Beispiel die Frage: Wie kommt der Staat zu Geld?
Sind Sie Mitglied der SP?
Ich war mal dabei, bin dann aber wieder aus der Partei ausgetreten. Offen gesagt: Es war mir langweilig.
Die Grünen sind die grossen Sieger der eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober.
Ich finde das gut, aber man darf das Soziale nicht aus den Augen verlieren. Genau dafür gibt es die SP. Ich vertrete viele Standpunkte der SP, aber auch der Grünen.
Welche Rolle spielt die Politik in Ihren Büchern?
Jedes Buch hat auch politische Seiten. Im jüngsten Roman «Der Sänger» wird zum Beispiel das Thema Flüchtlinge aufgegriffen. Es geht um das Verhältnis der Schweiz zu den Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg. Da existieren sogar Parallelen zur heutigen Flüchtlingssituation in der Schweiz.
Sie sind nicht Politiker, sondern Schriftsteller geworden. War das immer Ihr Wunsch?
Ja, ich wollte unbedingt Bücher schreiben, doch alle haben mir abgeraten. Alle.
Wie alt waren Sie da?
15 oder 16. Ich habe schon als Bub die halbe Schulbibliothek durchgelesen. Da war für mich klar: Ich will Schriftsteller werden!
Welche Bücher oder Geschichten haben Sie besonders inspiriert?
Charles Dickens zum Beispiel. «Oliver Twist» habe ich als zwölfjähriger Bub verschlungen. Ich wollte auch solche Geschichten schreiben, das war mein Traum.
Wie wird man eigentlich Schriftsteller?
Oh, das war ein langer Prozess. Bis 30 schrieb ich für die Schublade. Da war ich noch Lehrer. Ich habe meine Romane den Verlagen geschickt, doch niemand interessierte sich dafür. Heute weiss ich, dass diese Romane ganz einfach nicht gut waren.
Wie gingen Sie mit den Absagen um?
Ich war beleidigt und oft am Boden zerstört.
Sie haben trotzdem nicht aufgegeben und weiter für Ihre Romane gekämpft.
(Lacht) Ja, das verwundert mich noch heute!
Wann kam der grosse Durchbruch?
Nun, ich habe Geschichten aus meiner Zeit als Jugendberater verfasst. Es waren tragische Geschichten aus den Jahren 1974 und 1975, zum Beispiel über Drogensüchtige. Die Geschichten wurden in der «Weltwoche» veröffentlicht. Hugo Ramseier, der damalige Verleger des Zytglogge Verlages, entdeckte meine Texte und kontaktierte mich. Später entstand aus den «Weltwoche»-Geschichten ein Buch. Doch ich wollte mehr!
Was war Ihr bisher erfolgreichstes Buch?
(Denkt lange nach) «Gebrochenes Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Eis», ein autobiografisches Werk, es erschien 1980 im Arche Verlag. Das Buch basiert auf Gesprächen mit meinen Eltern. Ich würde es nicht mehr schreiben.
Und dieses Buch war erfolgreich?
Ja, das war zu dieser Zeit ein Sensationserfolg.
Ihr jüngstes Buch, «Der Sänger», ist ganz oben in den Schweizer Bestsellerlisten.
Seit dem Roman «Bis ans Ende der Meere» schafften es alle meine Bücher in die Bestsellerlisten.
Themawechsel. Wie viele Stunden pro Tag schreiben Sie?
Unterschiedlich. Wenn es mich richtig packt oder wenn ich gerade an einer Schlüsselstelle bin, können das schon sechs oder sieben Stunden sein. Normalerweise schreibe ich vier bis fünf Stunden am Tag.
Wann schreiben Sie?
Am Morgen. Ab 9 Uhr. Vorher lese ich die Zeitungen, beantworte ein paar Mails, führe Telefongespräche…
Sie wohnen in einem Haus im Spiegel bei Bern. Sie leben und schreiben dort ganz alleine, denn Ihre Frau lebt ja unter der Woche in einer Wohnung in der Stadt. Sie führen ein einsames Schriftstellerleben …
Nein, so einsam ist das nicht. Gerade bei meinen Recherchen komme ich mit vielen Leuten in Kontakt.
Viele grosse Autoren sagen: Das Schreiben ist ein einsamer Akt.
Ja, das ist so.
Ist Lukas Hartmann ein Geniesser, der gerne gut isst und einen guten Wein trinkt?
Ja, sicher. Ich stehe gerne selber in der Küche und koche für Gäste, ich mag gute Weine, ab und zu einen Whisky…
Wie kochen Sie?
Ich mag die italienische Küche.
Man geniesst ja nicht nur gutes Essen und schöne Weine, sondern das Leben ganz allgemein.
Genuss heisst Vielfalt. Vielfalt des Lebens. Ich bin mir auch bewusst, dass ich ein sehr privilegiertes Leben habe. Andere sind arm, haben Hunger.
Spenden Sie auch Geld für wohltätige Zwecke?
Ja.
Vieles in unserer sogenannten Wohlstandsgesellschaft dreht sich um Geld. Was bedeutet Ihnen Geld?
Ich finde es schön, wenn mir genügend Geld zur Verfügung steht. Es gab Zeiten, da hatte ich fast kein Geld. Als ich den Job beim Radio aufgab und freier Schriftsteller wurde, war Geld Mangelware, ich musste sparen und lebte knapp über dem Existenzminimum.
Sie sind gesund und fit.
Ja, aber ich muss auf meinen Lebensrhythmus achten. Sechs oder sieben Stunden durcharbeiten, ohne Pause, ohne Essen und Trinken – das geht nicht mehr. Sonst führt das zu einem Schwächeanfall.
Das Leben geht langsam zu Ende, irgendwann stirbt der Mensch. Macht Ihnen der Tod zu schaffen?
Die Vergänglichkeit des Lebens ist für mich ein Thema. Ja, das Leben geht vorbei! Ganz viele Dinge auf dieser Erde sind vergänglich. Doch ich kann mich immer noch freuen und ich kann mich noch spüren – im Gespräch, auf Wanderungen in der Natur, bei kreativen Arbeiten…Ich hoffe, dass das noch lange so bleibt.
Und wenn das eines Tages vorbei ist?
Dann muss ich das akzeptieren. Dieser Moment kommt. Vielleicht in fünf Jahren, in zehn Jahren…
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ja. Dann frage ich mich, wie lange dieses Leben noch andauert, wann es vorbei ist. Doch dann bin ich wieder gelassen. Eigentlich will ich gar nicht wissen, wie und wie lange die Lebensuhr im Hintergrund tickt.
Und wenn der Moment kommt, wo man dem Tod sozusagen in die Augen schaut. Was dann?
Dann möchte ich, dass dies möglichst ohne Schmerzen geschieht.
Sind Sie Mitglied der Sterbehilfeorganisation Exit?
Ja. Ich habe diese Mitgliedschaft sehr bewusst gewählt. Und zwar, nachdem ich einen guten Freund in den Tod begleitet hatte, dessen langes Leiden mir sinnlos schien.
Sind Sie ein religiöser Mensch?
Ich wurde christlich erzogen und bin nach wie vor Mitglied der Landeskirche. Doch ich bin kein Gläubiger im üblichen Sinne. Ich bin aber auch kein Esoteriker. Atheist bin ich auch nicht… Ob es Gott, etwas Göttliches gibt, weiss ich nicht. Aber ich schliesse es nicht aus, ich ahne es manchmal.
Peter C. Moser