Seit 2018 heisst die Könizer Gemeindepräsidentin Annemarie Berlinger-Staub. Im grossen Bärnerbär-Interview erklärt die 49-Jährige, wo ihre grösste Baustelle liegt, was sie heute anders machen würde und wie sie sich selbst beurteilt.
Am 28. November stimmt die Gemeinde Köniz über eine auf sechs Jahre befristete Steuererhöhung auf 1,6 Punkte ab. Vor zwei Jahren wurde eine Erhöhung abgelehnt. Haben Sie wegen der bevorstehenden Abstimmung schlaflose Nächte?
Nein, sonst würde ich seit vier Jahren schlecht schlafen. Die Finanzlage war bei meinem Amtsantritt nicht gut und ist nicht besser geworden. Dieses Thema hat mich seither immer begleitet.
Haben Sie im Fall einer erneuten Ablehnung einen Plan B?
Eine Ablehnung würde bedeuten, dass wir am 1. Januar 2022 einen budgetlosen Zustand hätten. Dann müsste der Gemeinderat dem Parlament nochmals einen Vorschlag unterbreiten. Der Gemeinderat hat klar kommuniziert, dass der Fehlbetrag mit Einsparungen nicht mehr getilgt werden kann. Die Steuererhöhung brächte Mehreinnahmen von 7,5 Millionen Franken, so dass wir Ende 2022 eine schwarze Null schreiben könnten. Bei einer Ablehnung müssten wir bei den freiwilligen Leistungen ansetzen, welche die Gemeinde aber attraktiv und lebenswert machen. Wir haben dem Parlament eine Liste dieser Leistungen vorgelegt.
Also bleibt als Rettungsanker nur noch die Steuererhöhung?
Ja, über 80 Prozent der Leistungen, die wir erbringen, können wir nicht beeinflussen. Bund und Kanton machen zahlreiche Vorgaben.
Beispiele?
Beispielsweise Dienstleistungen wie die Einwohnerkontrolle. Auch müssen wir pro Einwohner definierte Beträge in den Lastenausgleich zahlen. Ich denke an die Sozialhilfe, die Lehrerlöhne, an den öffentlichen Verkehr. Gewiss, die Könizer Bevölkerung profitiert indirekt auch davon, aber in Bezug auf unsere Finanzen haben wir keinen Spielraum. Der Bereich, den wir beeinflussen können, ist also relativ klein. Aber diese Leistungen werden stark nachgefragt, die Tagesschulen boomen beispielsweise zurzeit. Die Bedürfnisse ändern sich, verzichten will niemand.
Haben Sie den Eindruck, dass die von der Gemeinde erbrachten Leistungen genügend ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt sind?
Das ist sicher die grosse Frage. Es ist wahrscheinlich noch nicht in genügendem Mass bekannt, was die Gemeinde eigentlich alles macht. Es fällt erst auf, wenn die Leistungen ausbleiben. Ich bin aber überzeugt, dass die Bevölkerung während der Coronazeit stärker mitbekommen hat, was der Staat in einer Krise zu leisten vermag. Wir haben zum Beispiel im März 2020 sicherstellen müssen, dass die vitalen Leistungen der Gemeinde erbracht werden. Dabei handelt es sich um die Wasserversorgung, die Müllabfuhr, die Sicherheitsleistungen. Fallen diese Leistungen weg, dann fehlt viel! Wir nehmen saubere Strassen oder funktionierende Schulen gerne als Selbstverständlichkeit hin. Wir beschäftigen mehr als 650 Mitarbeitende in über hundert Berufen, welche den «Betrieb Köniz» zum Laufen bringen!
Ihre Gemeinde erlebt einen Boom: 2200 Personen sind seit Anfang 2020 hierhergezogen. Wie erklären Sie sich das?
Es handelt sich dabei nicht um einen Zuwachs von 2200 Personen. Es ziehen auch immer wieder welche aus der Gemeinde weg. In unserer Gemeinde wird viel gebaut, ich denke dabei an Ried bei Niederwangen, wo ein neues Quartier entsteht. Wir rechnen in den nächsten Jahren mit bis zu 2500 Menschen, die sich dort niederlassen werden. Aber auch in Wabern, im Liebefeld und in Köniz haben wir eine rege Bautätigkeit. Es ist logisch: Wo gebaut wird, ziehen mehr Menschen ein. Diese Bautätigkeit passiert dort, wo es raumplanerisch gewollt ist: an gut erschlossenen Orten.
Mit neuem Wohnraum gewinnt die Gemeinde einerseits neue Steuerzahlende. Andererseits haben diese Menschen Bedürfnisse, die zu grösseren Ausgaben führen. Was bedeutet das für Sie?
Ja, das führt zu Vorinvestitionen wie neue Strassen, Schulhäuser, öffentlicher Verkehr. Im Ried bauten wir beispielsweise ein neues Schulhaus. Wie in der Stadt Bern haben wir auch in Köniz stetig wachsenden Schulraumbedarf. Heute wird nicht mehr so unterrichtet wie noch vor 40 Jahren. Die Steuereinnahmen entwickeln sich leider nicht proportional mit den Neuzuzügern. Im Jahr 2010 haben wir die Steuern gesenkt. Hätten wir dies damals nicht gemacht, stünden wir heute nicht mit dieser angespannten finanziellen Lage da. Aber die Swisscom hat sich umorganisiert und man konnte damals nicht ahnen, dass das Unternehmen aus der Gemeinde wegzieht.
Die 43000 Bewohnenden der Gemeinde Köniz mit 22 Ortschaften im urbanen und ländlichen Gebiet haben unterschiedliche Bedürfnisse. Wie bringen Sie diese unter einem Hut?
Indem wir allen zuhören. Auch die Gemeinderäte und die Mitglieder des Parlaments mit unterschiedlichen Lebenshintergründen wohnen in unterschiedlichen Ortsteilen. Die politischen Gremien sind ein gutes Spiegelbild der Könizer Bevölkerung. Ich habe es bis jetzt so erlebt, dass man trotz verschiedener Ortschaften und Bedürfnisse nahe beieinander ist und die Solidarität gut spielt.
Gibt es denn noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter der Könizer Bevölkerung?
Die Zusammengehörigkeit spielt sich vor allem innerhalb ihres Wohnorts ab, also in Wabern, im Liebefeld, in Schliern, Gasel, Oberwangen usw. Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, sage ich klar Schliern, wo ich wohne und meinen Lebensmittelpunkt habe. Die Gemeinde Köniz ist mein beruflicher Alltag. Es ist ja in der Stadt nicht anders, das Wohnquartier liegt einem am nächsten. Die politische Gemeinde ist eher ein künstliches Gebilde.
Warum wollen Sie 2018 Gemeindepräsidentin werden?
(Überlegt lange und lacht) Ich war vorher während zwölf Jahren Mitglied des Könizer Parlaments und durfte in dieser Zeit die Faszination der Themenvielfalt, die einem die Politik beschert, kennenlernen. Ich bin zwar Juristin, habe mich aber nicht auf ein Spezialgebiet festgelegt, ich sehe mich viel mehr als Generalistin. Es besteht in der Gemeinde noch genügend Spielraum, wo wir gestalten können, wo ich mich persönlich einbringen kann. Ich suche und schätze die Nähe zu den Leuten. Es war vor vier Jahren ein guter Entscheid!
Welche Schulnote würden Sie sich nach den ersten vier Jahren als Gemeindepräsidentin geben?
Nachdem mich die Bevölkerung bei den Wahlen Ende September 2021 im ersten Wahlgang klar als Gemeindepräsidentin bestätigt hat, gebe ich mir auf der Skala eins bis sechs die Note 5,25.
Was ist derzeit Ihre grösste Baustelle?
Ganz klar die Finanzen, davon hängt alles ab.
Wenn Sie zurückblicken: Was würden Sie im Nachhinein anders machen?
Im Nachhinein ist man immer gescheiter! Im 2019 haben wir gleichzeitig ein Sparprogramm und eine Steuererhöhung vorgelegt. Dann wurde bloss das Sparprogramm gutgeheissen. Diese Konstellation kam sich in die Quere. Viele sahen darin einen Widerspruch: Mehr Steuern und weniger Leistungen. Es war zwar beste Absicht, aber sie ist nicht aufgegangen. Das würde ich heute anders aufgleisen.
Peter Widmer