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«Ich möchte auch mal in die Kanalisation steigen»

Bald ist Marieke Kruit (SP) ein halbes Jahr Gemeinderätin. Zeit, eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen. Wie hat sich ihr Alltag verändert? Und wieso will sie Bern von unten sehen?

Frau Kruit, ist es in Ihrem Amt etwa so, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Der Start verlief schon eher speziell: Ich suche zu Menschen eigentlich den direkten Kontakt, wegen Corona war das leider kaum möglich. Die Fülle der Aufgaben in meiner Direktion und die verschiedenen Ämter sind enorm breit und interessant, deshalb habe ich mich in den letzten drei Monaten in für mich neue Dossiers eingearbeitet und mich mit verschiedensten Personen ausgetauscht.

Im Vergleich zu Ihrer vorherigen politischen Tätigkeit als Stadträtin dürfte das Arbeitspensum kaum abgenommen haben.
Definitiv! Zuvor war ich ja nicht nur als Parlamentarierin tätig, sondern auch in meinem Beruf. Jetzt kann ich mich voll und ganz auf mein Amt konzentrieren. Das erachte ich als grossen Vorteil.

Sitzen Sie von morgens um 8 bis abends um 10 am Schreibtisch?
So generell kann man das nicht sagen. Oft arbeite ich von zuhause aus weiter, hie und da dauert eine Sitzung länger als gedacht. Insgesamt sind meine Tage sehr ausgelastet.

Sie schlafen gut und genug?
Ja. Genügend Schlaf ist wichtig, um an Sitzungen, an denen wichtige Entscheidungen getroffen werden, präsent zu sein und um über genügend Energie zu verfügen. Da braucht es einen klaren, ausgeruhten Kopf. Darum gehe ich unter der Woche in der Regel einigermassen beizeiten ins Bett.

Als Belastung empfinden Sie Ihren Job jedenfalls nie?
Definitiv nicht, nein. Obwohl ich natürlich froh bin, wenn ich am Wochenende mal ausschlafen oder eine Velotour unternehmen kann. Und ich koche sehr gerne.

Was am liebsten?
Momentan Spargeln, in allen Variationen. Oder asiatisch. Ich bekoche auch sehr gerne Gäste.

Dürfen Sie als Mitglied eines links-grünen, teilweise veganen Gremiums überhaupt noch zu Ihrem Fleischkonsum stehen?
(Lacht) Wenn ich Fleisch esse, dann bewusst und nicht täglich. Meine Grosseltern waren übrigens Vegetarier. Ich bin mir fleischlose Kost also schon von Kind auf gewohnt.

Sie sind nun ein knappes halbes Jahr im Amt. Auf welche Leistung sind Sie besonders stolz?
Der Schlussspurt bei der Bahnhof-Abstimmung war enorm wichtig. Ich bin stolz auf unsere ganze Direktion; dass wir es geschafft haben, der Bevölkerung die Vorteile dieses Projekts aufzuzeigen.

Wo haben Sie noch Nachholbedarf?
Wir sind eine Outdoor-Direktion. Ich möchte mir von unseren Mitarbeitenden und ihrem Alltag ein besseres Bild machen können. Dazu gehört auch, zum Beispiel mal in die Kanalisation zu steigen.

Mit Ihnen als Verkehrsdirektorin scheint ein neuer Wind zu wehen. Bürgerliche Verbände wie KMU Stadt Bern oder der Handels- und Industrieverein loben Sie in höchsten Tönen. Sie fühlten sich wieder ernst genommen, heisst es.
Der Austausch mit dem Gewerbe ist mir wichtig, wobei es hin und wieder logischerweise zu Interessenskonflikten kommen kann. Man soll kontroverse Standpunkte miteinander wenn immer möglich ausdiskutieren.

Die Reaktionen zeigen insbesondere, dass Wirtschaftsorganisationen in den letzten Jahren einen schwierigen Stand hatten.
Diese Art von Gesprächen begann bereits vor meiner Amtszeit. Wir führen diese Arbeit nun weiter.

Wurde dieser Dialog unter Ihrer Vorgängerin Ursula Wyss schlicht vernachlässigt?
Ich bin ich und gehe Dinge so an, wie ich sie für richtig halte.

Ursula Wyss förderte vor allem die Velos – Autos waren ihr ein grosser Dorn im Auge. Ist das bei Ihnen ähnlich?
Mir ist ein nachhaltiger Verkehr wichtig, darauf werden wir weiterhin setzen – und ja: ein gutes Berner Velonetz ist mir ebenfalls ein grosses Anliegen. Aktuell sind wir daran, das Defizit an Veloparkplätzen, gerade rund um den Bahnhof, besser in den Griff zu kriegen.

Man könnte einfach weitere Autoparkplätze aufheben, Richtung Schanze hat es noch ein paar davon.
(lacht laut) Wir müssen in Städten grundsätzlich umdenken. Shared Mobility wird ein immer wichtigeres Thema. Denn: In einer Stadt wie Bern bleibt der Platz, den wir zur Verfügung haben, stets gleich gross. Das Mobilitätsbedürfnis nimmt aber zu.

Ihre politischen Schwerpunkte?
Wegen der Klimaerwärmung muss die Stadt unbedingt hitzeverträglicher gemacht werden. Die zunehmende Versiegelung des Bodens müssen wir stoppen. Und wir werden der Biodiversität noch mehr Beachtung schenken.

Stichwort hitzeverträglich: Der Waisenhausplatz ist schon länger eine Betonwüste.
Dazu gibt es eine Initiative der SVP, die bereits 25 Jahre alt ist. Die Gesamtsanierung der Plätze steht weit oben auf der Agenda.

Was spricht eigentlich gegen einen autofreien Bahnhofplatz? Damit wüssten Sie sogar die Jungfreisinnigen hinter sich.
Nichts! Wichtig ist hier einfach, dass wir Kanton, Bund und die Region mit an Bord haben. Zudem stellt sich die Frage, wie der ÖV und der Wirtschaftsverkehr weiterhin fliessen können. Die Diskussionen laufen, wir werden aber nicht schon übermorgen einen autofreien Bahnhofplatz realisieren können.

Wo ist Ihrer Meinung nach in einer modernen Stadt Bern denn der Platz des motorisierten Individualverkehrs?
Wir müssen vermehrt auf kombinierte Mobilität und Mobilitäts-Hubs setzen. Klar ist: In der Stadt bin ich mit dem Velo oder zu Fuss viel schneller unterwegs als mit dem Auto. Wer ein grösseres Möbel abholen muss, greift verständlicherweise auf ein Auto zurück. Und dass das Auto in ländlichen, wenig erschlossenen Regionen für viele ein wichtiges Transportmittel ist, stelle ich nicht infrage.

Wer etwa am Helvetiaplatz mit dem Auto in der weissen Zone parkiert, kann nur Kleingeld in die Automaten einwerfen. In anderen europäischen Städten bezahlen die Leute längst mit Karte oder via App. Dass hier nach wie vor keine neuen Geräte stehen, riecht schwer nach Schikane.
Ja, diese Parkuhren sind in die Jahre gekommen und bedeuten für uns übrigens einen ziemlich aufwendigen Unterhalt.

Also stehen dort bald Parkuhren, die mit EC-Karte funktionieren?
Wir haben einen Pilotversuch durchgeführt und planen die Einführung von Parking-Apps oder die Bezahlmöglichkeit mit Twint auf Spätsommer 2021. Derzeit läuft das Beschaffungsverfahren mit möglichen Anbietern.

Spätsommer 2021, wir notieren uns das. Besser spät als nie. Zurück zum Gemeinderat: Wie wurden Sie aufgenommen?
Sehr freundlich. Wir führen spannende, immer wieder auch kontroverse Diskussionen. Hart in der Sache, ohne dass auf die Person gespielt wird.

Harte Diskussionen hauptsächlich mit Reto Nause, dem einzigen Bürgerlichen in der Stadtregierung? Sie vier von Rot-Grün praktizieren doch sicherlich einen gegenseitigen Schmusekurs.
(Lacht) Mit wem ich Differenzen habe, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.

Mit wem verstehen Sie sich besten?
Das lässt sich nicht verallgemeinern. Je nach Thema habe ich mit dem einen oder anderen Gemeinderat respektive Gemeinderätin gemeinsame Interessen. Ich möchte hier keine Rangliste erstellen.

Sie möchten sich nicht festlegen, das war eigentlich klar. Immerhin: Jetzt, wo die Aussenbereiche der Restaurants wieder offen sind, können Sie ja gemeinsam essen gehen.
Absolut, auf ein Zmittag beispielsweise. Bei Klausuren ziehen wir uns ab und zu zwei Tage zurück. Da ergibt sich schon die Gelegenheit, privat miteinander zu plaudern.

Wer ist der Tätschmeister bei solchen Anlässen?
Die Organisation obliegt dem Stadtpräsidenten.

Bald liegen selbst Ausflüge ins Ausland wieder drin. Wohin zieht es Sie in die Ferien?
Letzten Sommer waren mein Mann und ich im Tessin und in Österreich, diesmal verbringen wir unsere freien Tage am Vierwaldstättersee. Eines meiner Ziele sind zudem die Niederlande: Freunde und Bekannte besuchen.

Dort sind Sie geboren.
Meine Eltern stammen von da, ja.

Doppelbürgerin sind Sie nicht?
Nein, das wäre schön. Ich spreche allerdings fliessend Holländisch.

Sie sind zwar keine Grüne – und trotzdem: Darf man aus Ihrer Sicht noch irgendwo hinfliegen?
Ferien in Europa versuche ich mit dem Zug zu unternehmen. Aber klar war ich auch schon in Australien. Ich fliege nicht gar nie – allerdings hat bei mir schon länger ein Umdenken stattgefunden.

Wenn Ihnen eine Bekannte einen Tag lang einen SUV zur freien Verfügung stellen würde: Wie würden Sie ihn nutzen?
(Schmunzelt) Wenn, dann würde ich seinen Innenraum ausnutzen und in ein Gartencenter fahren, um Pflanzen und Geräte zu kaufen, die ich schon lange auf meiner Liste habe.

Yves Schott

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