Er hat nie um den heissen Brei herumgeredet. Das macht er auch jetzt, kurz vor dem Abgang als Tierpark-Direktor, nicht. Bernd Schildger über seine Rolle als Krieger und wieso es im Zirkus Elefanten braucht.
Ende Oktober ist Schluss. Was tun Sie danach?
(Überlegt) Denken, schreiben, staubsaugen. Vor allem begleitete Tierreisen mit meiner Partnerin unternehmen.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie gerne noch weitergemacht hätten. Nun hören Sie doch «schon» mit 66 auf.
Dem Wasser nachweinen, das schon um die nächste Kurve gefossen ist – das halte ich für sinnlos. Vielleicht hätte ich bis 80 gearbeitet, vielleicht hätte ich mit 60 aufhören können. Hätte, hätte Fahrradkette, wäre meine Antwort. Mittlerweile bin ich im Übergabemodus. Ja
Schmeissen Sie noch ein grosses Abschiedsfest?
Das Fest der Krieger ist bereits durch (lacht).
Das Fest der Krieger?
Ja, Bern ist ein Schlachtfeld. Wer hierherkommt und meint, er oder sie könne es mit Streicheleinheiten zu etwas bringen, ist fehl am Platz.
Das müssen Sie uns erklären. Schlachtfeld, die links-grüne Wohlfühloase Bern?
Ja, und unser Betrieb ist dem einzigen bürgerlichen Gemeinderat angegliedert. Da ist schon das erste Schlachtfeld erkennbar. Zweitens halte ich es für falsch, kriegerisch als negativ zu konnotieren. Die ganze Geschichte Berns dreht sich um Bären und Kriege. Ich in meiner Funktion war immer als Söldner und nicht als Masseur hier.
Ihre 24 Jahre als Zoodirektor waren also durchaus konfiktbehaftet?
Natürlich, wäre ja stocklangweilig gewesen, wenn nicht. Konfikte sind die Essenz des Lebens und sorgen dafür, dass man erkennbar wach ist. Ich streite, also bin ich. Der konstruktive Disput ist die Grundlage der Demokratie. Wer sagt, im deutschen Bundestag werde heftiger gestritten als hier – Quatsch! Die Worte mögen deftiger sein, dafür ist der Streit hier ein echter. Die Band Fraktionszwang ist für mich ein Kondensat unserer Demokratie: Von ganz links bis ganz rechts sind alle vertreten, und trotzdem versteht man sich persönlich prima.
Nennen Sie uns doch bitte ein Beispiel eines ausgetragenen Konfikts.
In meinen ersten Wochen als Tierpark-Direktor kam der damalige Zooinspektor zu mir und wollte eine Rasenfäche vor dem Gitter der Bärenanlage durch einen Teich ersetzen – damit nicht mehr alle so nahe herantreten können. Ich sagte: Ja, das klingt plausibel, mach! Er meinte daraufhin, dass für die Bereiche vor den Anlagen die Stadtgärtnerei zuständig sei. Ich habe dann, vorsichtig ausgedrückt, meinen Unmut deponiert. Damit war das erste Schlachtfeld geboren.
Disput ist ein gutes Stichwort: Im Tierpark gilt seit kurzem die 3G-Pficht, in der Gesellschaft herrscht Unmut.
Ich verstehe nicht, wieso die Medien dauernd eine Spaltung herbeireden möchten. Es gibt eine Pro- und eine Contra-Seite. Das ist pure Demokratie. Das hochzustilisieren, bloss weil jemand eine andere Meinung hat, entbehrt jeder Grundlage. Ausserdem bin ich Naturwissenschaftler: Für mich zählen belegbare Fakten mehr als diffuses Pseudowissen.
Tatsächlich vergingen allerdings zwischen dem Ausbruch der Seuche und der Zulassung des Impfstoffes nur wenige Monate, um mal einen Stein des Anstosses zu nennen.
Dass ein riesiges Wettrennen um das Vakzin stattfnden würde, war doch klar: Bei einer Pandemie existiert ein Potenzial von 20 bis 30 Milliarden Impfdosen – und den Preis dafür bestimmst du als Firma selbst. Logisch kamen die wie Pilze aus dem Boden geschossen. Von wegen: Da steckt Bill Gates dahinter und das ging alles deutlich zu schnell. Hanebüchener Unsinn. Da verstehe ich auch SRF nicht, wieso man im «Club» mit dem Hinweis auf die Meinungsvielfalt irgendwelchen Schwurblern das gleiche Gewicht gab wie einem Regierungsrat, der sich zwanzig Stunden am Tag mit dem Thema befasst.
Haben Sie nicht einmal Verständnis für die vernünftigen Kritiker, die sagen, durch 3G würden sie sich vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen fühlen?
Erstens: nein. Sie können sich ja ein Zertifkat besorgen. Zweitens: Wegen der miesen Impfquote in der Schweiz wird die Geschichte länger dauern. Das ist die eigentliche Nötigung, die die dogmatischen Gegner verursachen. Und ich meine nicht jene, die unsicher sind. Mit ihnen kann man ja reden. Dumpfe Ängste sind in der Regel kein wirklich schlagkräftiges Argument.
Zurück zu Ihrem Wirken als Tierpark-Direktor: Bereuen Sie etwas?
Ich bin nicht im Besitz der Wahrheit. Ich würde wohl ziemlich vieles anders machen – zweimal dasselbe tun wäre ja auch langweilig. Im gleichen Moment, in dem eine Anlage eröffnet wurde, wussten wir bereits, was wir hätten anders umsetzen können.
Also nirgends offenen Baustellen?
Ich allein habe gar nichts erreicht. Wir gemeinsam haben das geschafft. Wir sind eine Schlachttruppe hier. Ich bin bloss der Kompass, der sagt: Zoos haben nur dann eine Existenzberechtigung, wenn es den Tieren gutgeht. Wenn der einzige Kritikpunkt ist, dass man bei uns lange suchen muss, um Tiere zu entdecken, ist das ein Mangel, den wir gerne in Kauf nehmen. Gäbe es keine Zoos, müsste man sie erfnden.
Wieso?
Wir verrennen uns in unserer Gesellschaft in einer Art Tierschutzgedanken, der abstrus ist. Ich bin sehr froh, nimmt der Schweizer Tierschutz hier eine kritische, kluge Haltung an. Peta klagte kürzlich, amerikanische Soldaten hätten am Flughafen von Kabul Minensuchhunde einfach so zurückgelassen. Ohne jeglichen Beleg. Wieso macht Peta das? Weil es sich um eine Marketingorganisation handelt. In den oberen Gremien sitzt niemand, der von Tieren überhaupt eine leise Ahnung an. Übrigens fängt es ja bereits im Kleinen an: Wie viele Menschen halten sich ein einzelnes Meerschweinchen, obwohl es hochsoziale Tiere sind? Gleichzeitig fnden wir es toll, wenn sich Paris Hilton im Burberry-Anzug mit Chihuahua, ebenfalls in Burberry-Klamotten, ablichten lässt.
Dass Zirkusse keine Raubtiere und Elefanten mehr halten dürfen, erachten Sie aber schon als richtig? Bei den Raubtieren bin ich bei Ihnen, denen wird es ziemlich schnell langweilig. Elefanten hingegen sorgten für einen ganz essenziellen Effekt: Menschen, die dieses mächtige Tier direkt vor sich erlebt und gerochen haben, haben eine Idee davon, was ein Elefant ist. Die heutigen Kinder kennen sie bloss aus dem Fernsehen – oder gehen mit reichen Eltern auf Safari in Afrika. Elefanten werden nicht aufgrund von Vorstellungen im Knie dezimiert, sondern weil Leute aus ihrem Elfenbein Schachfguren fertigen. Deshalb werden wir auch miterleben, wie das Nashorn ausstirbt. Und noch was…
Ja, bitte?
Keine Tiger und Elefanten im Zirkus – da kann man sagen: okay. Jetzt aber heisst es plötzlich: Pferde eigentlich auch nicht mehr. Und Ziegen sowieso nicht. Und dann gibts im Zirkus gar keine Tiere mehr. Damit sorgen sogenannte Tierschutzorganisationen dafür, dass sich die Gesellschaft immer weiter vom Tier entfremdet. Übrigens haben wir den Zoo hier ja unter dem Motto «Mehr Platz für weniger Tiere» umgebaut.
Genau.
Zürich ist es ähnlich angegangen, baute monstergrosse Leuchttürme, hat allerdings nur 50 Prozent der Fläche umgestaltet. Wir haben etwa 90 Prozent umgegraben und auf die Leuchttürme verzichtet. Ich fnde, wir haben das Rennen gewonnen. Ganz nach W. Bush: Mission accomplished (lacht).
Werden Sie nach Ihrem Abgang ab und zu auf Besuch in den Tierpark kommen oder zerreisst es Ihnen das Herz?
Ach Quatsch, nein. Vermeiden möchte ich einzig Fragen wie: Halten Sie es für richtig, was Ihre Nachfolgerin anstellt?
Was wünschen Sie Ihr?
Dass sie genau so viel Spass an den Schlachtfeldern hat wie ich.
Friederike von Houwald sagt, ihr Lieblingstier sei das Nashorn. Und Ihres?
Gestern wars der Flamingo, heute sind es die beiden Braunbären Misha und Masha und am Samstag werden es wohl die rund 150 Baumsteigerfrösche sein.
Welches Tier ist Ihnen besonders an Herz gewachsen?
Wer sich über eine gewisse Zeit mit einem Tier beschäftigt, merkt: Jedes Tier ist auf seine Weise grandios. Bei mir sind es die Colorado-Kröten. Wie schützen sie sich als lebende grüne Hamburger in der Wüste vor Feinden? In dem Moment, in dem ein Schakal die Kröte in den Mund nimmt, schwitzt sie ein weisses, klebriges Sekret aus. Noch während der Schakal versucht, die Flüssigkeit aus seinem Mund zu kriegen, fällt er in einen tiefen LSD-Rausch, der drei Tage lang anhält und dafür sorgt, dass er orientierungslos herumtorkelt und selbst zur potenziellen Beute wird. Vor allem wird er dem gesamten Nachwuchs erzählen: Lasst ja die Finger von den grünen Hamburgern!
Yves Schott