Nein, sie sei nicht hässig auf die Männer, betont Tamara Funiciello im Interview mit dem Bärnerbär. Doch diese müssten endlich verstehen, dass sexistische Witze zu Gewalt führen können.
Das feministische Streikkollektiv Bern sagt auf seiner Website, es sei «immer no hässig». Sie auch?
Ja. Und ich verstehe nicht, wie man unter den aktuellen Gegebenheiten nicht wütend sein kann.
Tatsächlich?
430 000 Frauen in diesem Land wurden bereits vergewaltigt, acht Prozent von ihnen erstatteten Anzeige. Sprich: 92 Prozent aller Fälle kamen gar nie zur Anzeige. Von den angeklagten Männern wiederum wurden nur 1,8 Prozent verurteilt. Es geht nicht vorwärts. Das ist das eine …
… und das andere?
Wir erleben in vielerlei Hinsicht gerade einen Rückschritt, der als Gleichstellung verkauft wird. Denken wir an die geplante Erhöhung des Rentenalters oder dass Frauen ins Militär sollen. Tatsache aber ist, dass Frauen weniger verdienen als Männer, im Alter hingegen deutlich häufiger arm sind – in erster Linie, weil sie zuhause Betreuungsaufgaben übernehmen. Nun auf dem Rücken der Frauen die AHV retten zu wollen, ist eine einzige Frechheit.
Sind Sie denn hässig auf die Männer?
Nein, das wäre eine Fehlinterpretation. Beim Feminismus geht es nicht um Männer gegen Frauen, sondern darum, wer wie viel Macht besitzt und wieso. Etliche Ressourcen, die Frauen benötigen würden, kann man nicht einfach Männern wegnehmen. Es ist eher eine Frage der Verteilung.
Konkret?
Ein Mann hat doch nichts davon, wenn ihre Frau länger arbeiten muss. Im Gegenteil: Männer sind in Beziehungen tendenziell älter als Frauen und warten dann einfach ein zusätzliches Jahr, bis ihre Partnerin pensioniert wird. Apropos: Wer es sich leisten kann, lässt sich schon heute mit 62 oder sogar noch früher pensionieren, die «Normalos» bügeln bis 65 durch.
Einverstanden. Hashtags wie #whitemenaretrash bringen den Feminismus allerdings auch nicht weiter. Ausserdem handelt es sich hier um Pauschalisierungen, die Sie normalerweise verurteilen.
Ihrer Aussage stelle ich die Incel-Bewegung (Männer, die unfreiwillig im Zölibat leben, jedoch der Ansicht sind, aufgrund ihres Geschlechts Anspruch auf Sex zu haben und deswegen Frauen verachten, sie im schlimmsten Fall sogar töten, d. Red.) gegenüber. Amok-
läufer Anders Breivik zum Beispiel war ein Incel. #whitemenaretrash hat niemanden getötet, das ist ein massiver Unterschied.
Trotzdem: Aufrufe wie #whitemenaretrash werfen alle Männer in einen Topf.
Sehen Sie: Wenn ich nachts alleine nach Hause gehe und hinter mir ein Mann herläuft, habe ich Angst, weil die Wahrscheinlichkeit, dass er mir etwas antut, hoch ist. Auch deshalb frage ich mich, wie man als Mann in einer Gesellschaft leben kann, von der man weiss, dass die schiere
männliche Existenz dazu führt, dass Frauen Angst haben und Mann nichts dagegen unternimmt. Statt über den Hashtag beleidigt zu sein – werdet Feministen und unterstützt uns endlich! Schon sexistische Witze führen dazu, dass wir abgewertet werden und Gewalt erfahren. Vereinfacht ausgedrückt: Ihr seid beleidigt, wir sind tot!
Ein heftiger Vergleich. Tatsache ist: Diverse Männer sind mit den derzeitigen gesellschaftlichen Debatten überfordert und komplett verunsichert.
Und diese Verunsicherung führt dazu, zu einer besseren Gesellschaft zu werden.
Wirklich? Einige wagen sich im Club kaum mehr, eine Frau anzutanzen, aus lauter Angst, gleich als Sexualstraftäter vor Gericht zu landen.
Die Basis eines Flirts ist der Konsens. Also: Jemand steht an einer Bar und erntet Blickkontakt. Dann fragt er vielleicht, ob er ihr einen Drink spendieren dürfe. Sagt sie Ja, läuft der Flirt weiter. Wenn sie den zweiten Drink dann ablehnt und aufs Handy schaut, ist die Sache hingegen erledigt. Wir tun so, als ob das alles eine Wissenschaft wäre – dabei ist es doch nicht so schwierig! Wenn die Leute also fragen: «Was darf ich überhaupt noch?», sage ich einfach: «Sei kein Arsch, achte darauf, was dein Gegenüber für Signale aussendet!»
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Eine Frau mit tiefem Ausschnitt, kurzem Rock und einigem an Schminke betritt eine Bar. Sie sendet ein klares Signal aus, nämlich: Ich will flirten! Logisch muss sie damit rechnen, Blicke zu ernten. Wer hinschaut, ist allerdings ein Glüschtler oder potenzieller Vergewaltiger. Flirten zu wollen ist selbstverständlich ihr gutes Recht! Und vor allem gibt es einen Unterschied zwischen Schauen und Starren. Man kann respektvoll jemanden betrachten oder die Person übergriffig anstarren.
Was Sie und Ihre Partei nicht anerkennen wollen: Gewalt und sexuelle Übergriffe sind oft importiert. Es sind gerade Menschen aus muslimischen Ländern, die die Rechte der Frau missachten. Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache.
Schweizer Männer vergewaltigen die Frauen hier durchaus selber. Das Patriarchat ist auf der ganzen Welt zuhause. Das zu einem Problem der anderen zu machen, ist tödlich für Frauen. Ich negiere nicht, dass es unterschiedliche Gruppen von Menschen gibt, die Gewalt ausüben. Ich stelle mich gegen jede Person, die Gewalt ausübt, völlig unabhängig von ihrer Herkunft. Das muss aufhören. Doch rassistische Pauschalisierungen helfen nicht. Es braucht beispielsweise Präventionskampagnen, Täterarbeit oder Opferberatungsstellen, die für alle zugänglich sind.
Solche Einrichtungen existieren längst.
Viel zu selten. Wer in Bern an einem Freitagabend vergewaltigt wird, wartet bis am Montag auf Kontakt mit einer spezialisierten Fachstelle, weil keine Rundum-Hotline existiert. Was mich richtig nervt: Jene, die am lautesten «Es waren die Ausländer!» schreien, sind dann nicht bereit, Geld für Prävention auszugeben. Wir müssen Gewalt verstehen und sie systematisch bekämpfen. Dazu gehört auch das Wissen, dass Jobverluste, zu wenig Geld und Stresssituationen Gewalt begünstigen.
Aber das darf doch keine Ausrede für eine Gewalttat sein!
Das müssen Sie mir nicht sagen – ich habe es mir zu Lebensaufgabe gemacht, Gewalt zu bekämpfen. Nur ersparen Sie mir bitte den Femi-
Nationalismus.
Den was?
Femi-Nationalismus. Selbsternannte «Feministinnen», die uns erklären, Gewalt würde einzig von Ausländern verübt werden, sich rassistischer Stereotypen bedienen und so den Frauen schaden.
Nächstes Thema: Wenn es um Lohngleichheit geht, heisst es meist, Frauen würden rund 19 Prozent weniger verdienen. Viele Lohnunterschiede sind hingegen erklärbar. Nicht erklärbar sind rund 7,7 Prozent. Das sind zwar immer noch 7,7 Prozent zu viel, tönt allerdings deutlich weniger dramatisch.
Dramatisch ist: Seit letztem Jahr arbeiten Frauen im Schnitt eine Stunde mehr als Männer, haben am Ende des Jahres aber 108 Milliarden Franken weniger auf dem Konto. Frauen verdienen ein Drittel weniger Rente und jede Zehnte bezieht bei Renteneintritt direkt Ergänzungsleistungen. Was mich an dieser Diskussion stört: Kein Ehepaar, keine Familie, niemand hat etwas davon, wenn Frauen weniger verdienen. Profiteure sind allein die Arbeitgeber. Ebenfalls interessant: Die Sozial- und Gesundheitskommission fand kürzlich heraus, dass, würde man die erklärbare Lohnungleichheit beheben, das Loch in der AHV sofort gestopft wäre, ohne das Rentenalter erhöhen zu müssen.
Das mag sein. Wenn Sie für echte Gleichstellung wären, würden Sie sich aber auch dafür einsetzen, dass Frauen ins Militär müssen.
Liberale Feministinnen sind der Ansicht, Frauen müssten sich einfach den Männern anpassen und gut ist. Ich persönlich bin der Meinung, man sollte sich überlegen, was am besten für die Gesellschaft ist und diesen Plan dann vorantreiben. Die Digitalisierung schreitet voran, wir werden immer produktiver. Alleine der Detailhandel umfasst derzeit 300 000 Jobs – wie lange gibt es diese Stellen noch? In Zürich eröffnete die Migros soeben eine vollautomatische Filiale ohne Personal. Und nun soll die Hälfte der Bevölkerung wirklich ein Jahr länger arbeiten? Die Forderung stammt von denselben, die uns nach 50 nicht mehr anstellen wollen, weil wir zu teuer sind. Das ist aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive, sorry, schlicht debil. Ein anderes Beispiel.
Bitte.
In der Schweiz fehlen aktuell rund 25 000 Kita-Plätze. Nun sollen Frauen länger arbeiten. Wer schaut dann zu den Kindern?
Zum Schluss: Was trägt Gendern zur Gleichberechtigung bei?
Sprache ist Macht. Wer etwas anderes behauptet, soll sich überlegen, welches Bild einem in den Sinn kommt, wenn von einem Autor die Rede ist.
Das gleiche wie im gegenteiligen Fall bei einer Autorin.
Genau. Und deswegen ist es so wichtig, zu gendern.
Wobei Gendern nicht nur Mann und Frau miteinbezieht, sondern auch jene 0,4 Prozent, die sich als non-binär einordnen.
Nochmals: Sprache zementiert bestehende Mehrheitsverhältnisse und Bilder. Wollen wir das ändern, müssen wir unserem Hirn andere Bilder liefern.
Wie das konkret umgesetzt wird, ist Gegenstand ausufernder Debatten und ein Prozess, der sich über Jahre hinziehen dürfte.
Logisch. Doch wir sprechen ja heute auch nicht mehr wie Goethe.
Yves Schott