André Béchir (73), der mit Good News und Gadget abc seit 50 Jahren Konzerte veranstaltet, spricht anlässlich der Open Airs im Stadion Wankdorf über seine Erlebnisse mit Elton John und den Rolling Stones.
Was bedeuten Ihnen die drei hochkarätigen Open-Air-Konzerte im Stadion Wankdorf, die im Juni stattfinden?
Für mich ist es ein Highlight, die Stones und Elton John nochmals präsentieren zu können. Er hat ja angekündigt, dass er auf Abschiedstournee ist. Da die zwei Konzerte im Hallenstadion schon ausverkauft sind und bei den Stones auch nicht davon auszugehen ist, dass sie nochmals auf Tour gehen werden, sind ihre Auftritte in Bern die letzte Gelegenheit, diese Künstler, die Songs für die Ewigkeit geschaffen und Musikgeschichte geschrieben haben, live zu erleben. Bei Imagine Dragons, die ich ebenfalls als sehr talentiert einschätze, ist Stefan Wyss, mein Nachfolger bei Gadget, federführend.
Wie haben Sie es geschafft, dass Sie eines der nur 16 Konzerte bekamen, welche die Stones in Europa geben?
Die Band verhält sich sehr loyal gegenüber Veranstaltern, mit denen sie schon seit vielen Jahren gewissenhaft zusammenarbeitet. Bei mir ist es schon das 15. Konzert. Die Stones schätzen die Schweizer Qualität und Zuverlässigkeit. So störte es sie nicht, dass das Stadion Wankdorf die kleinste Arena ist, in der sie spielen. Lustigerweise steht es ja gleich gegenüber der «alten Tante» Festhalle, in der ich 1973 zusammen mit Claude Nobs die ersten Konzerte mit den Stones veranstaltet habe. Da schliesst sich ein Kreis.
Welche Rolle spielte bei der Wahl des damaligen Konzertorts der Umstand, dass es sechs Jahre zuvor bei ihrem Konzert im Hallenstadion Krawalle gegeben hatte?
Da klar war, dass wir in Zürich keine Genehmigung bekommen würden, und weil Claude der Co-Organisator war, entschieden wir uns, das Konzert in der Mitte zwischen Zürich und Montreux zu veranstalten.
War es sich nicht ein riesiger Hosenlupf, nur ein Jahr nach dem Kauf von Good News die berühmteste Rockband der Welt für zwei Konzerte zu engagieren?
Wir haben es einfach getan und waren stolz, als wir es zustande gebracht hatten. Es ging weniger um den Businessaspekt. Es waren übrigens drei Konzerte. Es gab am ersten Tag noch ein Nachmittagskonzert um 15 Uhr!
Wie verhalten sich die Eintrittspreise gestern und heute?
Damals kostete ein Billett 26 Franken, diesmal sind es 180 Franken. Wenn man die Teuerung von 49 Jahren aufrechnet, sind wir bei den heutigen Preisen. Abgesehen davon ist die Produktion um ein Vielfaches grösser und professioneller, auch die Ansprüche der Zuschauer sind gestiegen und die Auflagen der Behörden haben sich vervielfacht. Während die Bands früher mit ein paar Lieferwagen kamen, sind es nun etwa vierzig Sattelschlepper. Die Stones selbst sind 1973 noch mit dem Zug angereist. Wir hatten Studenten angestellt, die sie mit von Hertz gemieteten Autos in der Stadt herumchauffierten! (lacht)
In welchem Hotel hat die Band damals gewohnt?
Sie haben damals im Bellevue Palace residiert. Wir wollten nur das Beste für die Band, in der Hinsicht hat sich nichts geändert.
Mussten Sie nachher für zerstörtes Mobiliar aufkommen?
Nein. Oder ich habe nichts davon erfahren … Meines Wissens haben sie aber keinen schlechten Eindruck erweckt. Natürlich, mit den langen Haaren waren sie alle nicht salonfähig.
Sind sie von Groupies belagert worden?
Ja, das gehörte zu jenem Zeitpunkt dazu. Das Hotel war total überfordert. Es haben unglaublich viele Fans vor dem Hotel gewartet. An alles andere denkt man nicht mehr – sie wissen schon, die Zeiten haben sich geändert! (schmunzelt)
Wie viel persönlichen Kontakt hatten Sie mit den Musikern?
Der war 1973 nicht gross. Ich habe sie am Bahnhof abgeholt, «Hello» gesagt und einige Worte gewechselt. Claude hat sie betreut und ich habe mich um das Organisatorische und Geschäftliche gekümmert.
Hat sich das inzwischen gewandelt?
Ja. Ich habe bei jedem weiteren Konzert mit Mick Jagger reden können, auch mit Charlie Watts. Wir kennen uns, finden sofort den Draht und haben uns beim letzten Konzert im Letzigrund fünf bis zehn Minuten über vergangene Zeiten unterhalten und gelacht. Ob sie am 17. Juni Zeit haben, weiss ich nicht. Schliesslich reisen sie wegen Corona in einem geschlossenen Kreis, wofür ich auch Verständnis habe. Wenn sich wieder ein Gespräch ergibt, freue ich mich, wenn nicht, hat es sicher seinen Grund.
Lag schon 2017 Abschiedswehmut in der Luft?
Nein, das Konzert auf dem Letzigrund war so sensationell gut und sie hatten so viel Spass auf und neben der Bühne, dass ich jede Wette eingegangen wäre, dass sie nochmals auf Tournee gehen. Obwohl Charlie fehlen wird, bin ich überzeugt, dass die Stones eine sensationelle Performance abliefern werden. Mir wurde mitgeteilt, dass die Show über zwei Stunden dauert. Wenn Mick nächstes Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, kann ich mir vorstellen, dass er keine so kräfteraubende Tournee mehr suchen wird.
Was ist Ihnen vom Konzert in Dübendorf in besonderer Erinnerung?
Der ganze Genehmigungsprozess. Wir haben die Luftwaffe 2006 angefragt, ob wir auf dem Flughafengelände ein Open Air veranstalten könnten. Dübendorf und die umliegenden Gemeinden reagierten sehr positiv. Von der Luftwaffe erhielten wir eine Absage in der Form eines trockenen Zweizeilers. Darauf habe ich Bundesrat Schmid, dem Vorsteher des Militärdepartments, geschrieben, wie positiv sich das Konzert auf das Image der Armee auswirken würde, worauf er nach kurzer Zeit antwortete: «Jawohl, das bewilligen wir!»
Wo lagen die grössten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Die Stones schicken vorab immer eine technische Delegation, welche die Machbarkeit prüft. Beim Betreten des Hangars, in dem die Garderoben geplant waren, standen immer noch F/A-18-Kampfjets. Ihr Kommentar: «We can’t believe that this is gonna be our dressing room! Are you sure?»
Haben sich die Stones für die Flugzeuge interessiert?
Ja, als die Patrouille Suisse anlässlich ihres Konzerts ihre Show zeigte, kam die Band aus den Garderoben gerannt und war so begeistert und gebannt, dass sie mir spontan sagten, sie würden gerne mal nach Dübendorf zurückkehren, inklusive des Auftritts der Patrouille Suisse. Nach dem Madonna-Konzert mussten wir die Idee für weitere Konzerte auf dem Flughafen aufgeben. Die Kosten und Auflagen machen eine Neuauflage unmöglich.
Ihr erstes Stones-Open-Air veranstalteten Sie 1982 im St. Jakobstadion. Mussten Sie damals Lehrgeld bezahlen?
Nein, dank dem Basler Polizeikommandanten Jules Stürzinger, der sofort seine Unterstützung zugesichert hatte, wurde es zu einem musikalischen Meilenstein. Aussergewöhnlich war, dass wir die Einfahrt ins altehrwürdige «Joggeli» tiefer legen mussten, da die Sattelschlepper sonst nicht durchgepasst hätten. Denkwürdig war auch, dass wir Luftballons aufblasen mussten, die am Ende der Show von den Lautsprechertürmen links und rechts der Bühne zu Tausenden aufstiegen. Eine unheimliche Büez.
Nicht nur 99 Luftballons?
Eher 9999 Luftballons! (lacht) Auf jeden Fall waren die Ballone auf dem Radar des Flughafens Mulhouse unbekannte Flugobjekte.
1998 traten die Stones in Frauenfeld auf. Welche Komplikationen gab es dort?
Wir mussten die Stones-Bühne neben der «Out In The Green Festival»-Bühne aufbauen. Das Stones-Management und der Agent haben uns klargemacht, dass wir nur 10 000 Karten kombiniert mit dem Festival verkauften dürfen. Weitere 50 000 Besucherinnen und Besucher reisten nur an, um die Stones live zu erleben, viele davon mit dem Auto. Für fünf Franken konnten sie diese auf abgemähten Wiesen parkieren. Das Problem war dann, dass wir vergessen hatten, diese zu beleuchten. So fanden viele Besucher in der Dunkelheit ihre Autos nicht mehr und es kam zu Schlägereien, bei denen die Polizei einschreiten musste.
Elton John tritt bereits zum 43. Mal in der Schweiz auf. Wie viele Nerven hat es gekostet, einen so extravaganten Superstar so lange bei Laune zu halten?
Ich nehme Künstler, wie sie sind. Wir sind Dienstleister und machen fast alles möglich. Elton John war in den 70er- und 80er-Jahren anspruchsvoller und unnahbarer als jetzt. Als er ein Konzert in Basel gab, haben wir einen Limousinen-Service mit dem Transfer vom Zürcher Flughafen beauftragt. Ich habe dem Chauffeur klar gesagt, er solle seinem Fahrgast keine Fragen stellen. Dennoch fragte er Elton John, was er in der Stadt mache. Bei einem nicht ausverkauften Konzert war das suboptimal. Als Elton John ihn darauf fragte, ob er denn keine Plakate gesehen hätte, sagte dieser «Nein».
Und was ist dann passiert?
Sie können es sich vorstellen: Kaum in der Halle, musste ich bei ihm und seinem Manager Red und Antwort stehen und mir die Leviten lesen lassen. Ich habe die Kritik stoisch über mich ergehen lassen. Die Zeiten haben sich geändert, wir haben längst über die Affäre Basel gelacht und verstehen uns heute blendend. Ich freue mich auf das Wiedersehen mit ihm.
Weshalb tritt er erst jetzt zum ersten Mal in Bern auf?
Das Stadion Wankdorf war das einzige Stadion, das zu diesem Zeitpunkt noch frei war. Es wird das letzte Konzert, die letzte Chance sein, Elton John noch einmal live in der Schweiz zu erleben. Seine beiden Hallenstadion-Konzerte 2023 sind schon restlos ausverkauft. Das Stadion ist vollbestuhlt und er wird zwei Stunden seine grossen Hits spielen. Dafür gibt es noch Restkarten und jeder Platz in diesem «intimen Stadion» wir die Reise mehr als wert sein.
Spüren Sie einen Unterschied, ob Sie einen Anlass in der Musikhauptstadt der Schweiz oder in der Konzerthauptstadt der Schweiz veranstalten?
In der Stadt Zürich frage ich mich ab und zu, ob unsere «kommerzielle» Kultur auch Platz hat. So generieren wir neben vielen Übernachtungen auch noch Steuereinnahmen, vom Standortmarketing reden wir gar nicht. In Bern freute sich Stadtpräsident Alec von Graffenried sehr über die musikalischen Highlights. Spontan hat er mir gesagt: «Wenn du etwas brauchst, dann sag es mir. Wenn ich helfen kann, helfe ich.» Es ist einfach eine andere Kultur!
Wie sehen Ihre bevorstehenden Konzerttage aus und wie viel werden Sie von der Musik mitbekommen?
Ganz wenig. Ich werde den Anfang sehen, einen Mittelteil und das Ende, aber das ist normal. Für mich ist es Arbeit. Die Konzerte werden schon am Konzerttag abgerechnet. Es ist fast immer sehr hektisch. Jeder will etwas von dir. Alles ist komplizierter geworden. Die Verträge sind nicht mehr zwei, sondern fünfzig Seiten lang. Konzerte dieser Grössenordnung sind logistisch und finanziell eine Riesenherausforderung für mich und das ganze Team.
Wollen Sie nicht mal mehr freie Zeit haben?
Da ich hohe Qualitätsansprüche habe, bin ich immer noch motiviert, alles zu geben, denn ich will, dass die Künstler gerne mit uns zusammenarbeiten und Gadget abc weiterhin Champions League spielen kann. Mit der Verpflichtung von Bruce Springsteen für das Konzert im Letzigrund am 13. Juni 2023 ist das nach langen und schwierigen Verhandlungen gelungen.
Reinhold Hönle