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In Berlin die Sau rauslassen, in Bern wieder runterkommen

42 Millionen Klicks auf Youtube. Mit «Fading» ist Ilira Gashi der grosse Durchbruch gelungen. Von einer jungen Frau, die zwar nicht aus Köniz auszog, aber dennoch die Musikwelt eroberte.

Wo erreichen wir Sie gerade?
In Berlin, obwohl ich regelmässig Zeit in meinem Wohnort Köniz verbringe. Ich pendle hin und her.

Wie pendeln Sie?
Meistens mit dem Zug. Hier kann ich in Ruhe arbeiten und meine Sachen produzieren. Ausserdem leide ich ein wenig an Flugangst.

Tatsächlich?
Ja, leider. Sie kam vom einen Tag auf den anderen. Ich habe deswegen auch schon geweint und mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht, mir einen anderen Beruf zu suchen. Ich habe alles probiert: Therapien, ich habe online darüber gelesen, habe sogar Flugstunden genommen, um eine Fluglizenz zu nehmen.

Hat alles nichts genützt?
Ich nehme jetzt halt immer Medikamente, Psychopharmaka und solche Dinge. (lacht) Mittlerweile geht es etwas besser. Wenn möglich, suche ich mir im Flugzeug immer den besten Platz in der Mitte gleich beim Flügel.

Wie sind Sie eigentlich gerade auf Berlin gekommen?
Ich habe lange versucht, in der Schweiz Fuss zu fassen, wollte an die richtigen Leute gelangen und mich mit ihnen connecten. Dasselbe habe ich in meiner Heimat Albanien probiert, doch das stellte sich insgesamt als ziemlich schwierig heraus. Zum Glück hat mich dann Prinz Pi via Instagram entdeckt. Er meinte, er möchte mich managen. So nahm das Ganze seinen Lauf.

Fühlen Sie sich wohl in Berlin?
Es ist eine Art Hassliebe. Ich erlebe enorm Spannendes, andererseits gibt es Dinge, die mir auf den Nerv gehen: Der Lärm ist enorm, und es dauerte ziemlich lange, bis ich mir eine Art Freundeskreis aufgebaut hatte. Mit Berlin verbinde ich so etwas wie ein Gemeinsam-einsam-Gefühl. Mit der Schweiz bin ich definitiv tiefer verwurzelt.

Haben Sie vor, langfristig dort zu bleiben?
Um Kinder zu kriegen und eine Familie zu gründen, würde ich nicht nach Berlin ziehen. Ich bin ein Mensch, der die Natur braucht. Für das Business andererseits ist es ideal, hier eine Wohnung zu haben. Hier kann ich die Sau rauslassen, um dann in Bern wieder runterzufahren. (lacht)

Wo haben Sie eigentlich am meisten Fans?
In Deutschland, in der Schweiz oder im Kosovo? Privat verkehre ich sowohl mit Albanern wie mit Schweizern. Lustigerweise höre ich von der einen Seite immer, dass ich mehr von der anderen Seite besitzen würde. Sprich: Den Schweizern bin ich nicht schweizerisch genug. (lacht) Ich sage immer: Ich habe mir von beiden Kulturen einfach das Beste mitgenommen.

Nämlich?
Schweizerisch an mir sind die Pünktlichkeit, die Organisation, die Qualität meiner Arbeit, meine diplomatische Art und die Arbeitsmoral. Wobei diese wiederum als albanisch durchgehen könnte, denn dort waren die Frauen früher gezwungen, äusserst hart zu arbeiten.

Noch mehr Albanisches an Ihnen?
Mein Temperament, meine laute, emotionale Art. Und ich bin sehr direkt und ehrlich.

Möglicherweise auch das Exzentrische? In der Öffentlichkeit treten Sie beispielsweise betont geschminkt auf.
In Berlin laufe ich eigentlich völlig «normal» rum. (lacht laut) Sie haben recht: Auf der Bühne sieht man den extrovertierten Teil von mir – der gehört allerdings ebenfalls zu meiner Persönlichkeit. Manche ziehen sich zwar bescheiden an, verhalten sich dafür aber extrem arrogant. Menschen nach dem Äusseren zu beurteilen, ist eine typisch europäische Eigenheit. Amerikaner sind da ganz anders. Der Freund von Mariah Carey zum Beispiel sagte mir einmal hinter der Bühne, ich würde mich zu wenig gut verkaufen und dürfe durchaus noch etwas präsenter auftreten.

Der Song «Fading», den Sie zusammen mit DJ Alle Farben produziert haben, wurde auf Youtube über 40 Millionen Mal angeklickt. Macht Sie das stolz?
Hinzu kommen 80 Millionen Aufrufe auf Spotify. Ja, es ist in meiner Karriere ein absoluter Meilenstein. Der Erfolg kam sehr unerwartet. Zunächst hiess es, Alle Farben brauche einen neuen Hit – und ich war bloss als Songwriterin angedacht. Als das Demotape erschien, wollten sie mich auf dem Track behalten. Ich fragte mich, ob diese Musik überhaupt zu meinem Stil passt. Ich war anfangs einigermassen skeptisch.

Und, ist es Ihr Stil?
Geht man als Songwriterin an ein Lied heran, fragt man sich zuerst einmal, ob der Song überhaupt zum DJ passt. Ich finde: ja – und er passt auch zu mir.

Werden Sie nun in Zukunft weiterhin mit Alle Farben zusammenarbeiten?
Ich habe ihn kennengelernt, er ist ein sehr netter Typ. Natürlich bleiben wir in Kontakt, und es wäre ja einfach zu sagen: Never change a winning System. Eventuell entsteht bald eine nächste Kollaboration, gleichzeitig sollte man ja nicht zu gierig werden.

Gutes Stichwort: Manchen steigt der Erfolg zu Kopf, vor allem, wenn er sich so plötzlich einstellt.
Auf einmal triffst du viele bekannte, wichtige Personen. Ich persönlich habe so lange für den Erfolg gearbeitet, und du denkst dir: Ich möchte das nicht sofort wieder verlieren, ich will mehr davon. Genau an diesem Punkt habe ich allerdings schnell wieder abgebremst und mich auf meine Werte zurückbesinnt. Ich bin und bleibe ein Bärner Meitschi, brauche Harmonie und meinen Rückzugsort.

Ilira, keine Spur arrogant?
Alles im Leben ist temporär, wieso sollte ich mich über andere stellen? Und was heisst schon Erfolg? Was macht einen zu einem besseren Menschen als jemand anderen? Es geht doch darum, sein Umfeld zu lieben.

Bei Ihrer Landsfrau Loredana entsteht tatsächlich der Eindruck, dass sie die Bodenhaftung verloren hat.
Ich kenne sie persönlich kaum, deshalb masse ich mir kein Urteil an. Was ich hingegen wirklich schade finde, ist den Lifestyle, den sie verkörpert: Materialismus, Protz und unfeministisches Verhalten. Die Welt ist weiss Gott frauenfeindlich genug.

Wenn jemand sagt: «Ilira Gashi, woher kommt die? Klingt jedenfalls nicht wirklich schweizerisch.» Empfinden Sie das dann als rassistisch?
Im Gegenteil, ich bin sogar stolz darauf, wenn mich jemand nach meiner Herkunft fragt. Vor einigen Jahren gab es vielleicht einige, die unser Land in der Öffentlichkeit nicht so würdig vertreten haben und negative Schlagzeilen lieferten. Mittlerweile aber haben wir mit Dua Lipa, Xherdan Shaqiri oder Granit Xhaka doch tolle albanische Vorbilder. Man sollte seine Herkunft nie verleugnen, deswegen fühle ich mich in dieser Beziehung überhaupt nicht rassistisch angegriffen.

Was haben Sie für Pläne?
Ich würde gerne mit DJs auch ausserhalb Deutschlands zusammenarbeiten, etwa mit DJ Tiësto. Und ich hoffe, dass ich bald wieder auf der Bühne stehen darf. Davon leben wir Künstler.

Haben Sie eigentlich einen Freund?
Das kann ich Ihnen nicht verraten, mein Manager hört gerade mit… (lacht)

Yves Schott

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