Auch in der Stadt Bern sind Lehrpersonen Mangelware. Bildungsdirektorin Franziska Teuscher erklärt, was das für Folgen hat, wie ausländische Kinder integriert werden und welche Erinnerungen sie an ihren ersten Schultag hat.
Frau Teuscher, wir treffen uns auf dem grossen Areal des Markus-Schulhauses. Warum?
Weil die Stadt Bern dieses Schulhaus mit zwei Kindergarten-Pavillons soeben saniert hat. Das Schulhaus beinhaltet für mich wichtige Themen: Die Einführung der Basisstufe, wo Kinder
des Kindergartens sowie des ersten und zweiten Schuljahres in einer Klasse vereint sind. Bei dieser Schulanlage besticht weiter der schöne Aussenraum. Hier können Themen wie beispielsweise Biodiversität auch ausserhalb des Klassenzimmers vermittelt werden. Der für mich dritte wichtige Aspekt ist die Photovoltaikanlage auf dem Dach. So können wir den Kindern zeigen, dass Sonne auch Energie bedeutet.
Steht zum diesjährigen Schulbeginn in der Stadt Bern auch jede zehnte Lehrperson ohne pädagogisches Diplom vor der Klasse?
Da die Lehrpersonen von den einzelnen Schulen angestellt werden und diese uns den Stand nicht melden müssen, kann ich diese Frage nicht beantworten. Aber ich weiss, dass es in diesem Jahr schwieriger war, die Stellen zu besetzen, besonders für Logopädie. Im Vergleich zu anderen Orten im Kanton hatten wir bis jetzt in der Stadt Glück, weil Bern für viele als attraktiver Arbeitsort gilt, nicht zuletzt wegen unseren verschiedenen interessanten Schulmodellen. Ich denke an Mehrjahrgangsklassen, an Basisstufen und an Ganztagesschulen. Ich gehe aber davon aus, dass auch in der Stadt Lehrpersonen ohne Lehrpatent verpflichtet werden mussten. Natürlich ist es nicht gut, dass wir zum «Notnagel» greifen müssen, Leute ohne pädagogische Ausbildung anzustellen. Aber auch diese Personen werden sorgfältig ausgewählt und von erfahrenen Lehrkräften begleitet. Der Fachkräfte-
mangel auch in anderen Berufen ist derzeit schweizweit ein grosses Problem. Wir sind gefordert, vermehrt Ausbildungen für Quereinsteiger:innen anzubieten.
Nicht selten hört man, dass heute «jede und jeder» an einer Schule unterrichten könne. Mussten Sie die Ansprüche tatsächlich so weit herunterschrauben?
Nein, diese Aussage ist schlicht falsch. Der Lehrplan 21 gilt weiterhin und die Schulen setzen diesen um. Im Zusammenhang mit Lehrpersonen ohne pädagogische Ausbildung haben wir nun dieselbe Diskussion wie bei den Kitas, wo früher die Meinung verbreitet war, jede Frau, welche einmal Kinder grossgezogen habe, könne in einer Kita arbeiten. Wir dürfen nicht zulassen, anspruchsvolle Berufe, bei denen es pädagogisch ausgebildete Fachpersonen braucht, abzuwerten.
Worauf führen Sie den Mangel an Lehrkräften zurück?
Die Babyboomer-Generation, die in Rente geht, und der generelle Fachkräftemangel sind wichtige Gründe. Wenn ich mit jungen Lehrpersonen spreche, höre ich als Argumente zum Beispiel die grosse zeitliche Belastung, die Last der Verantwortung und teils auch die ungenügende Vorbereitung auf die Praxis. Helfen könnte, diesen tollen Beruf verstärkt als vielseitig und attraktiv ins Bewusstsein zu rücken. Die Lehrperson begleitet die Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Wichtig ist zu überlegen, wie wir die jungen Lehrkräfte zu Beginn noch besser begleiten können, damit sie nicht alleingelassen die ersten Dämpfer kriegen. Bei meinen monatlichen Schulbesuchen treffe ich aber grossmehrheitlich auf motivierte und begeisterungsfähige Lehrerinnen und Lehrer. Das ist jeweils ein richtiger Aufsteller!
Wie autonom sind Sie als städtische Bildungsdirektorin?
(Schmunzelt) Gute Frage! Die Volksschule ist eine gemeinsame Aufgabe
von Kanton, Stadt und den sechs städtischen Schulkreisen, das ist gut so. Dadurch ist meine Autonomie beschränkt. Jeder Schulkreis hat seinen eigenen Charakter. Die Lehrkräfte kennen die Menschen im Quartier am besten, jede Schule orientiert sich nach den Bedürfnissen der Bevölkerung. Die Aufgabe der Stadt ist es vor allem, zu vernetzen und für die entsprechende Infrastruktur zu sorgen. Wir haben gemeinsam mit allen an der Schule beteiligten Gremien die Bildungsstrategie erarbeitet, welche der Chancengerechtigkeit einen grossen Stellenwert beimisst. Wichtig ist mir, mehr Ganztagesschulen zu eröffnen. Neu bieten wir in jedem Schulkreis während aller Schulferien eine sogenannte Ferieninsel an. Ein tolles Angebot für die Kinder, wo sie gut aufgehoben sind, während die Eltern arbeiten. Von der guten Vereinbarkeit von Beruf und Familie profitiert auch die Wirtschaft.
Wie sorgen Sie dafür, dass fremdsprachige Kinder möglichst rasch und gut integriert werden?
Wenn Schulkinder nicht Deutsch sprechen, besuchen sie zuerst eine Integrationsklasse, wo sie schnell Deutsch lernen, um möglichst rasch dem Unterricht in der Regelklasse folgen zu können. Wir setzen auch voll auf die Frühförderung und betreiben seit 2020 das Angebot «Deutsch lernen vor dem Kindergarten». Wir empfehlen fremdsprachigen Eltern, dass ihre Kinder eine Kita oder Spielgruppe besuchen, um mit genügenden Deutschkenntnissen im ersten Schuljahr zu starten. Dadurch haben die Kinder viel bessere Bildungschancen.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Schultag?
Ich erinnere mich an meinen schönen blauen Schulsack, aber auch an meine strenge, für mich damals «uralte» Lehrerin im Hochfeldschulhaus. Wir mussten mäuschenstill mit verschränkten Händen am Pult sitzen. Sie hielt das lange Lineal in der Hand und drohte uns schon am ersten Schultag mit dessen Schlägen, wenn wir uns nicht so verhielten wie sie sich das wünschte. Das war mir fremd und anders als vorher im Kindergarten oder zuhause! Aber ich ging immer gerne zur Schule, als «braves» Mädchen hatte ich auch mit dieser strengen Lehrerin kaum Probleme.
Peter Widmer