Die Situation des stationären Detailhandels hat sich klar verschlechtert. Ein Gremium unter der Leitung von BERNcity und des Wirtschaftsamts der Stadt Bern hat nun griffige Massnahmenvorschläge erarbeitet. Omar El Mohib lässt sich in die Karten schauen.
Was war eigentlich der Auslöser zu diesem Projekt?
Es begann bereits vor der Coronakrise. Die Stadt Bern ist zwar bis jetzt mit toten Schaufenstern und leeren Ladenflächen noch einigermassen verschont geblieben. Aber hier wie auch in anderen Städten ist der Strukturwandel im Detailhandel im Gang. So lud Stadtpräsident Alec von Graffenried im August 2019 Vertreterinnen und Vertreter des Detailhandels an den runden Tisch im Alten Tramdepot ein, um zu spüren, wo der Schuh drückt. Das war eigentlich der Auslöser für das Projekt «Perspektive Detailhandel Innenstadt». Gewiss, Corona hat den Problemen des stationären Handels noch einen Schub gegeben und war sozusagen «Brandbeschleuniger». Ich denke hier besonders an den Onlinehandel, der während der Pandemie an Bedeutung gewonnen hat.
Sie haben das Beratungsunternehmen Synergo GmbH mit der Projektbegleitung beauftragt. Warum ein Unternehmen aus Zürich?
Synergo GmbH hat bereits das Projekt «Handel im Wandel» in Zürich entwickelt, welches viele Elemente enthält, die auch auf die Stadt Bern zutreffen. So war inhaltlich schon sehr viel Know-how vorhanden und wir waren der Auffassung, dass der «Blick von aussen» gar nicht so schlecht sei. Kommt dazu, dass das Unternehmen in Bern schon andere Projekte begleitet hat und mit den Verhältnissen der Stadt gut vertraut ist.
Welche Funktion haben Sie im Projekt?
Zusammen mit BERNcity hat das Wirtschaftsamt das Projekt partnerschaftlich aufgezogen und Synergo GmbH hat uns dabei begleitet und viel Knochenarbeit geleistet, zum Beispiel bei den Workshops die Moderation übernommen.
Der Gemeinderat hat die Ergebnisse des Projekts «zur Kenntnis genommen und die Prüfung der Massnahmen in Auftrag gegeben»: Wer prüft diese nun?
Unser Ziel war immer, Massnahmen zu entwickeln, die dann auch umgesetzt werden können, keine «Staubfänger». So haben wir uns auf fünf Massnahmen geeinigt. Der Gemeinderat hat nun Aufträge und Zuständigkeiten für die Umsetzung erteilt. Einen grossen Teil wird das städtische Wirtschaftsamt nun prüfen, aber auch BERNcity steht in der Pflicht. Es geht nun um die Festlegung der Ressourcen, um die konkrete Ausgestaltung der Massnahmen, um die Einzelheiten.
Nennen Sie einen Zeithorizont!
Ende 2021 sollten wir Klarheit haben, wie die Massnahmen konkret realisiert werden können.
Es soll ein Kontaktgremium zur Förderung der Zusammenarbeitskultur zwischen Stadt Bern und Detailhandel eingesetzt werden: War die Zusammenarbeitskultur bisher mangelhaft?
Eine institutionalisierte Form, wie man es sich hier wünscht, gab es bisher nicht. Es braucht einen ausgewählten Kreis aus der Stadtverwaltung, der für spezifische Anliegen des Detailhandels zuständig ist, ohne dass beispielsweise fünf verschiedene Anlaufstellen kontaktiert werden müssen. So haben wir alle relevanten Entscheidungsträger am selben Tisch, wo Ideen und Anregungen, aber auch Beanstandungen vorgebracht werden können.
Sie wollen die Aufwertung des öffentlichen Raums weiterentwickeln, damit sich die Menschen wieder vermehrt in der Innenstadt aufhalten. Haben Sie bereits konkrete Ideen?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das es schon gibt: Die Parklets in der Zeughausgasse, die in den letzten beiden Jahren im Sommer aufgestellt wurden. Das sind Hocker, Bänke, Stehtische, Sonnenschirme und Pflanzen auf einem Holzpodest. Diese Massnahme wurde von vielen Detailhändlern gelobt, weil sich die Aufenthaltszeit der Menschen in der Stadt verlängert hat. Neu ist, dass das Gewerbe künftig stärker einbezogen werden soll bei der Ideenfindung. Wichtig ist aber bei Belebungsmassnahmen, dass kein Konsumzwang besteht. Letztlich geht es darum, Verweilmöglichkeiten an superschönen Plätzen zu schaffen, die bisher leer standen, eventuell verbunden mit kulturellen Darbietungen. Die konkreten Ideen aus den Workshops werden nun auf ihre Umsetzung hin geprüft.
Eine weitere Idee ist der «zentrale digitale Marktplatz» mit gemeinsamem Lieferdienst und mit entsprechender Preistransparenz für den Kunden.
Diese Massnahme hat BERNcity bereits an die Hand genommen, und zwar mit schoufaensterle.lieberinbaern.ch. Da kann der Kunde virtuell sozusagen unter den Lauben flanieren und mit einem Klick das gewünschte Geschäft besuchen. Es beteiligen sich auch Läden, die bisher digital noch nicht so gut aufgestellt waren. Hier handelt es sich um eine Dienstleistung, die gerade in der gegenwärtigen Coronazeit mit Homeoffice enorm wichtig ist und geschätzt wird. Diese Massnahme wird namentlich von BERNcity weiterentwickelt.
Ein anderes Projekt sind sogenannte Pick-up-Stationen, wo die Kunden zeitunabhängig ihre eingekauften Produkte abholen können. Wie muss man sich den gesamten Bestell- und Einkaufsvorgang vorstellen?
Folgendes ist angedacht: Ich kann beispielsweise in der Stadt «lädele», etwas einkaufen, aber will mit der Ware nicht gleich nach Hause fahren, sondern in einem Restaurant gemütlich noch etwas trinken. Nun gibt es künftig in meinem Quartier eine Abholstelle, eben eine Pick-upStation, die von einem zentralen Lieferdienst bedient wird. Dort kann ich dann meine Ware nach dem Apéro jederzeit abholen. In diese Richtung könnte es gehen. Diese Massnahme wird nun im Rahmen des Konzepts «Stadtlogistik Bern» aufgenommen und weiterverfolgt.
Peter Widmer