Dsc5514 Edit

«Kitas sind für viele Eltern zu teuer»

Zurzeit ist die Nachfrage nach Kita-Plätzen in der Stadt Bern gedeckt. Aber in Politik und Gesellschaft hapert es an der Anerkennung der Kitas als Bildungsinstitution.

Blättert man in den Annalen der Stiftung Kindertagesstätten Bern, erfährt man, dass die erste Kita Länggasse 1880 von Karl Stämpfli, Nationalrat und Inhaber der Druckerei Stämpfli, ins Leben gerufen wurde. Beweggrund für seine Initiative war, dass er und seine Frau sahen, wie viele Arbeiterkinder in der Länggasse tagsüber ganz sich selber überlassen waren und sich die Zeit auf der Strasse vertrieben. So soll Stämpfli einmal ein zweijähriges Kind schlafend in einem Strassengraben vorgefunden haben. Stämpflis wollten «solch unbewachten Kindern einen Ersatz für ihr Heim schaffen». So entstand die erste «Kinderbewahranstalt» in Bern.

«Da hat sich im Laufe der Jahre einiges verändert», sagt Lisa Plüss, Geschäftsleiterin der Stiftung. Früher seien Kinder von armen Arbeiterfamilien aufbewahrt, gewaschen, entlaust und ernährt worden. Heute vertrauten 50 Prozent der Eltern aller Schichten in städtischen Gebieten ihre Kinder den Kitas an und schätzten neben der Betreuung auch die Förderung, die Kinder in ihren verschiedenen Entwicklungsbereichen erfahren. «Vor etwa 15 Jahren kam man zur Erkenntnis, nicht nur Kinder zu hüten, sondern dass Kitas auch Bildungsinstitutionen sind. Leider sind wir gesellschaftlich noch nicht als solche anerkannt.»

Es herrsche die landläufige Meinung, Kinder würden erst ab Kindergarten gebildet und alles, was vorher geschehe, sei Familiensache. Schon kleinste Kinder würden durch den Kontakt mit anderen Kindern gebildet; sie seien permanent am Lernen. «In einer Kita werden sie möglicherweise sogar besser gefördert als im Elternhaus», resümiert Lisa Plüss.
Pommes ja, aber ausgewogen.

So werden denn heute nur noch Fachpersonen und Lernende fest angestellt. Es genüge nicht, «einfach Kinder zu mögen», um in einer Kita zu arbeiten. «Man hütet ja nicht bloss zwei Kinder, sondern betreut eine Gruppe mit zwölf Kindern und die haben Konflikte untereinander, sprechen unterschiedliche Sprachen. Das ist anspruchsvoll», begründet Lisa Plüss die hohen Anforderungen.

Die Kinder hätten sich in den letzten Jahren nicht grundlegend geändert, «ausser dass heute bereits Zweijährige auf ihrem Smartphone nach Spiel-Apps suchen», lacht Plüss. Digitale Spielzeuge sind aber in den Kitas (noch) tabu, Handys haben in den Gruppen nichts verloren. Für die Kinder gibt es keine Aufnahmekriterien, auch solche mit leichten Beeinträchtigungen werden berücksichtigt, solange sie noch vom bestehenden Personal betreut werden können. Aufgenommen werden bereits Säuglinge nach abgeschlossenem 14-wöchigem Mutterschaftsurlaub, wenn deren Mütter wieder arbeiten. Die am meisten nachgefragte Betreuungsform betrage zwei Tage, erzählt Stiftungsleiterin Plüss. Seltener sei das Maximum von fünf ganzen Tagen.

Auch für das leibliche Wohl der Kleinsten ist gesorgt. Die sieben Kitas besitzen das Qualitätslabel «Fourchette verte», welches Betrieben verliehen wird, die gesunde Ernährung fördern und ausgewogene Menüs anbieten. Da haben durchaus auch Pommes und Burger Platz. «Dafür gibts dann aber am Nachmittag nichts Fettiges, sondern Früchte», räumt Lisa Plüss schmunzelnd ein. Letztlich sei alles eine Frage des Masses und der Ausgewogenheit. «Bei uns gibt es höchstens zweimal Fleisch in der Woche. Sonderwünsche werden aber so weit als möglich berücksichtigt.»
Ein Tag schlägt mit 140 Franken zu Buche.

Lisa Plüss bezeichnet die derzeitige Auslastung in den sieben Kitas als «okay», die Nachfrage könne gedeckt werden. Nicht zuletzt durch die definitive Einführung der Betreuungsgutscheine für die Eltern habe es eine Angebotserweiterung gegeben durch neue oder ausgebaute Plätze. Selbst in kleineren Gemeinden im Kanton Bern seien Kitas gegründet worden. «Aber bei allem Optimismus: Während der Pandemie ging die Nachfrage dramatisch zurück und es ‹harzt› seither immer noch etwas. Doch wir sind so ausgelastet, dass wir über die Runden kommen», sagt Lisa Plüss weiter.
Dennoch ist die Finanzierung für sie die grösste Herausforderung. «80 Prozent unserer Kosten entfallen auf den Personalaufwand. Wegen der Teuerung müssen wir für 2023 die Tagessätze erhöhen. Ein Tag für ein- bis vierjährige Kinder wird 140 Franken kosten, einschliesslich Mahlzeiten.» Eltern, die sich im untersten Einkommensbereich bewegen, erhalten einen Betreuungsgutschein von hundert Franken, 40 Franken müssen sie selber berappen. «Das ist für viele Eltern zu viel, die Gutscheine müssten höher ausfallen», fordert Lisa Plüss.

Es handle sich um ein schweizweites Thema, dass Kitas unterfinanziert seien. «Wir geraten immer mehr unter Druck, Fachpersonal unter anständigen Bedingungen zu beschäftigen. Für die Eltern ist die Kita zu teuer und vom Staat gibts auch nicht mehr Geld. Politisch wird unsere Tätigkeit leider noch zu wenig anerkannt», bemängelt sie.

Peter Widmer

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge