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«Lärmklagen nehmen stark zu»

In den letzten Monaten hatte Reto Nause kaum eine ruhige Minute. Aktuell muss er sich mit Rockern rumschlagen – und mit Menschen, die sich erst langsam wieder an das neue alte Normal gewöhnen.

Reto Nause, gerade als Sie dachten, Sie würden nach Aufhebung der Corona-Massnahmen endlich etwas zur Ruhe kommen …
… trat Putin auf den Plan und entfesselte seinen brutalen Krieg in der Ukraine.

Was bedeutete das für Sie respektive für Ihre Direktion?
Das Amt für Erwachsenen- und Kinderschutz etwa übernahm Beistandschaften von unbegleiteten, jungen Erwachsenen, die teilweise traumatisiert waren. Oder es traf nachts um zehn ein Zug mit hundert ukrainischen Schutzsuchenden in Bern ein, die wir in kürzester Zeit in der Mingerstrasse unterbringen und verpflegen mussten. Wir sind uns Krisen gewohnt, allerdings eher solche, die eine Art Anfang- und Schlussdatum haben, zum Beispiel ein Hochwasser.

Ausnahmesituationen in Dauerschleife – selbst für Sie ein neues Gefühl?
Letzte Woche musste ich am Dienstagmorgen wegen des Rocker-Prozesses am Amtshaus sämtliche meiner geplanten Termine streichen. Bloss sind diese ja dann nicht plötzlich weg, sondern werden irgendwann nachgeholt. Der Tag hat nur 24 Stunden, ab und zu bräuchte es definitiv mehr.

Zum Thema Rocker-Prozess: Bereiten Ihnen solche Schauplätze Kopfzerbrechen, weil die Polizei vor Ort quasi unnötig im Einsatz steht – oder nehmen Sie das als Business as usual hin?
Ich sage Folgendes dazu: Glücklicherweise gibt es in diesem Land Menschen, die willens sind, ihre körperliche Unversehrtheit zugunsten des Allgemeinwohls zu riskieren und hinzustehen. Ich meine: Ich bin ja «nur» Politiker und befinde mich nie bewaffnet und mit Helm im Zentrum des Geschehens.

Vermiesen Ihnen die Rocker die Laune?
Logisch finde ich solche Szenerien überflüssig. Schliesslich würde sich ihnen gerade jetzt die Gelegenheit bieten, zu beweisen, dass sie eben friedlich sind. Aber wir können ja vor diesen Situationen nicht einfach davonrennen.

Trotzdem dürften Sie froh sein, sich nicht mehr mit Freiheitstrychlern und Massvoll-Exponenten herumschlagen zu müssen.
Natürlich. Wobei: Als die Ukraine-Krise begann, verbreiteten genau jene Personen, die Sie ansprechen, in den sozialen Medien auf einmal Putin’sche Verschwörungstheorien. Bei Pro-Ukraine-Kundgebungen hielt die Kantonspolizei zudem Personen an, die mit Russlandfahnen unterwegs waren.

Corona, Ukrainekrieg, Rockerprozess – Sie hatten in den letzten zwei Jahren kaum eine freie Minute.
Moment: Die vergangenen zwei Sommer gingen eigentlich ganz friedlich vonstatten. Persönlich war ich abends zum Beispiel fast nie verplant, was für mich eine komplett neue Erfahrung darstellte. (lacht) Um 18 Uhr den PC runterzufahren und festzustellen: Hoppla, ich habe gar nichts vor … in solchen Momenten konnte ich durchaus auftanken.

Fühlen Sie sich ab und zu gestresst?
Ja klar, alles andere wäre gelogen. Manchmal stehst du vor Entscheidungen, bei denen du kaum weisst, was sie auslösen. Das sind schwierige und tatsächlich oft stressige Momente. In der Krise selbst funktioniert man einfach, vorher ist die Anspannung meist am grössten.

Nun folgt hoffentlich ein erneut ruhiger Sommer …
(Unterbricht schmunzelnd) … mit hoffentlich wahnsinnig ausgedehnten Aussenbestuhlungsflächen.

Da wären wir schon beim nächsten Thema. Die erweiterten Zonen gelten nur noch bis im Herbst – jene Bars und Beizen, die die erweiterten Flächen dauerhaft nutzen wollen, müssen ein Gesuch stellen.
Es gibt zahlreiche Betriebe, die sich bereits in diesem Bewilligungsverfahren befinden. Für andere wiederum ist das zu aufwendig, unter anderem wegen intensiven Diskussionen mit der Nachbarschaft. Unter dem Strich waren die beiden Corona-Sommer aus Gastrosicht in dieser Hinsicht grandios. Ich hätte mit weit mehr Auseinandersetzungen gerechnet. Womit wir uns aktuell hingegen beschäftigen, ist eine starke Zunahme von Lärmklagen.

Lärmklagen über Jugendliche, die abends in einem Park Bier trinken?
Zum Beispiel. Obwohl der Lärm verglichen mit 2019 kaum zugenommen hat. Bloss war die Stille 2020 und 2021 fast absolut.

Viele sind sich das neue Leben gar nicht mehr gewöhnt. Als Regierungsstatthalterin Ladina Kirchen Anfang März die erweiterten Aussenbestuhlungsflächen aus dem Nichts strich, waren Sie stinksauer. Haben Sie sich aussprechen können?
Das haben wir getan – mit dem Ergebnis, dass die Flächen diesen Sommer weiterhin bestehen. Und das ist richtig.

Ladina Kirchen findet das ebenfalls gut?
Das fragen Sie am besten Frau Kirchen. Es ist jetzt so, wie es ist.

Bleiben wir in der Politik: Sie absolvieren Ihre vierte und letzte Amtszeit als Gemeinderat …
… vielleicht fusioniert Bern ja bald mit Ostermundigen und dann stehen die Zähler wieder auf Null. (lacht) Im Ernst: Ich werde nächstes Jahr für Die Mitte für den Nationalrat kandidieren.

Die Grünliberalen haben angekündigt, Ihren Sitz auf Gemeindeebene anzugreifen. Für Sie kein Problem, da Sie nicht mehr antreten oder fuchst Sie das trotzdem?
Wir haben in der Vergangenheit taktisch immer wieder ein geschicktes Händchen bewiesen, obwohl einige uns schon abgeschrieben hatten. Logisch werden wir den Sitz nicht kampflos preisgeben.

2020 mussten Sie tatsächlich um Ihr Amt zittern.
Sie fragten vorhin, ob ich manchmal gestresst sei: Für jemanden wie mich, der Berufspolitiker ist, sind Wahlen eine echte Stresssituation. Vor allem dann, wenn man einer Partei angehört, von der klar ist, dass sie nicht einfach so im Schlafwagen wiedergewählt wird. Ich meine: Ich führe keine Quali-Gespräche, Feedbacks erhalte ich via Medien oder aus der Bevölkerung und letztere sind meist negativ, da mir jene, die mit mir zufrieden sind, kaum je schreiben. Während Corona erhielt ich ohne Übertreibung rund tausend Drohmails mit teils unterirdischer Wortwahl.

Fakt ist: Grün ist en vogue.
Fakt ist auch: Die Stadt Bern hat mit einem bürgerlichen Mitte-Umweltdirektor in den letzten zehn Jahren im Gebäudebereich rund 30 Prozent CO2 eingespart – da sind wir absolut auf Kurs. Das kann man im Bereich ÖV und Individualverkehr so weniger behaupten, was ich hingegen nicht Frau Kruit anlasten möchte. Es gab da ja noch eine Vorgängerin … Wer sich progressiv grün nennt und laute Forderungen stellt, hat an sich noch nichts zum Klima beigetragen. Im Westen Berns entsteht derzeit gerade ein Fernwärmenetz von gut 50 Kilometern Länge, eine Investition für die nächsten 60 oder 70 Jahre. Das ist Energiewende und Knochenarbeit. Anstatt: «Wir würden gerne netto Null sein.»

Die Sommerferien rücken näher. Für Sie, Ihre beiden Kinder und Ihre Partnerin ist wohl definitiv erstmal Erholung angesagt.
Ja. Biken im Wallis. Zuvor allerdings noch ganz andere Dinge!

Nämlich?
Die Rolling Stones und die Imagine Dragons im Wankdorf oder auch Iron Maiden im Hallenstadion. Reisen und Konzerte zählen zu meinen grossen Leidenschaften. Dinge, die während Corona unmöglich wurden. Deshalb verspüre ich jetzt Nachholbedarf. Dummerweise habe ich Rammstein in Zürich verpasst.

Wird man als Polizeidirektor eigentlich zu all diesen Shows eingeladen?
Für den Auftritt der Imagine Dragons habe ich mir zugegebenermassen teure VIP-Tickets gekauft. Zu den Stones bin ich eingeladen. Die spielen aber auch an meinem Geburtstag.

Yves Schott

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