Matthias Steinmann ist eine facettenreiche Persönlichkeit, die nicht im Mainstream schwimmen mag. Wir treffen den Medienwissenschaftler im Hangar Nord des Flughafens Bern-Belp, kurz vor der Buchvernissage. Denn der Mann ist auch Schriftsteller.
In zwei Stunden beginnt die Vernissage Ihres neuesten Buches «Flieg, Jorim flieg!» Verraten Sie uns in einem Satz den Inhalt!
Es geht darum, einem jungen, flugbegeisterten Knaben die Fliegerei so nahe zu bringen, dass sie auch realistisch wird.
Sie sind selber seit 1978 Berufspilot. Wie ist es nun dazu gekommen, über die Fliegerei ein Buch zu verfassen?
Ich schreibe nur über Themen, die ich selber erfahren habe; in der Fliegerei habe ich eine Erfahrung. Auf meinem dritten Jakobsweg in Spanien lernte ich einen Buben und seine Mutter kennen. Drei Tage lang wanderten wir zusammen und wir sprachen fast nur über die Fliegerei. Daraus entstand ein Buch, das anfänglich der Wahrheit entspricht, der Rest ist Fiktion.
Von der Idee bis zur Vernissage: Wie viel Zeit haben Sie aufgewendet?
Gut vier Monate. Den Text hatte ich bald beisammen, etwas mehr Zeit beanspruchten die Illustrationen mit dem heute 17-jährigen Noé Barcos, der die Geschichte treffend und schön umsetzte. Zurzeit arbeite ich an einem Buch mit dem Titel «Emmentaler und Chianti – die Steinmann-/Galli-Saga», das wird voraussichtlich mehr als ein Jahr beanspruchen. Hier geht es um eine Familiengeschichte, eingebettet in die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der letzten zweihundert Jahre. Dies ist mit viel Recherchierarbeit verbunden, was mehr Aufwand verursacht.
Seit 2014 haben Sie zehn Bücher verfasst. Sind Sie ein Vielschreiber?
Ich habe mich dazu entschieden, mit meiner bisherigen beruflichen Tätigkeit, der Medienwissenschaft und Forschung, aufzuhören. Einige meiner Bekannten können nicht so gut loslassen und fahren weiter, verlieren dann vielleicht an Bedeutung, weil sie älter werden und man sie nicht mehr so ernst nimmt. Deshalb wandte ich mich der Schriftstellerei zu, was als junger Mann schon ein Herzenswunsch war. Ich liebe es, Bücher zu wechselnden Themen zu schreiben: einmal Liebesroman, einmal Krimi, ein anderes Mal Kinder- und Jugendbuch.
Professor für Medienwissenschaft, Unternehmer, Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, Schriftsteller, Offizier, Schlossbesitzer, Kunstsammler, Pilot, Pilger: Wie bringt man das alles unter einen Hut?
Ich pflegte und lebte stets das Menschenbild eines Universalisten. Ich habe mich nie nur mit einer Rolle zufriedengegeben. Die verschiedenen Inhalte haben mich nicht belastet, im Gegenteil, oft langweilte ich mich in nur einer Rolle. In den letzten zehn Jahren war ich in der Rolle des «Landstreichers», indem ich den Jakobsweg mehrmals bewältigte.
Eine Biografie über Sie betitelte Sie als «Herrn der Quoten». Das von Ihnen erfundene Telecontrol- und Radiocontrol-System misst die Einschaltquoten von Sendungen. Besteht seither nicht die Gefahr, dass diese nur noch nach Einschaltquoten beurteilt werden?
Zu der Zeit, als ich mich noch aktiv damit befasste, wurden die quantitativen und qualitativen Kriterien in der Forschung gleich gewichtet. Es hängt natürlich davon ab, ob Werbung im Programm ist oder nicht. Ich habe aber den Eindruck, dass die Gefahr eher von den Online-Angeboten ausgeht, wo bloss aufgrund der Anzahl Klicks unmittelbare Anpassungen vorgenommen werden können.
Zu Ihrer Zeit an der Universität Bern existierten die sozialen Medien noch nicht …
Gott sei Dank!
Was halten Sie davon: Segen oder Fluch?
Die Zeit, die der Mensch in der artifiziellen Welt der Medien verbringt, geht an der Zeit der primären Welt ab. Mir wird jeweils auf meinen Wanderungen auf dem Jakobsweg so richtig bewusst, dass man mit der Zeit die Medien nicht mehr benötigt. Die Gefahr besteht doch, dass vor allem Kinder und Jugendliche immer weniger Zeit in der «normalen», direkten Welt verbringen.
Früher hatten die Medien unter anderem eine Multiplikatorenfunktion. Mit Social Media wird jeder Bürger zum Journalisten und kann seine Meinung ungefiltert in Originalzeit an die breite Öffentlichkeit tragen.
Ich sehe sie bloss als Ergänzung. Nach wie vor sind die klassischen Massenmedien wirksam, wenngleich das Selektionsverhalten – das Agenda Setting – der Redaktionen bei Printund elektronischen Medien sehr ähnlich ist. Mit anderen Worten: Die Verbreitungsfunktion der Medien ist immer noch vorhanden, einfach über mehrere Kanäle. Umgekehrt gibt es die individualisierten sozialen Medien, wo neue Räume entstehen, in die ich keinen Einblick habe und deren Bedeutung ich nicht beurteilen kann. Ich selber mache wenig Gebrauch von den sozialen Medien.
Braucht es in Zeiten der Onlinemedien die Print-Tagesmedien noch?
Ja, davon bin ich überzeugt. Sie finden in einer Zeitung verschiedenste Inhalte in vertiefter Form, wenn auch manchmal tendenziös. Ich habe beispielsweise im «TagesAnzeiger» noch nie einen positiven Kommentar über Präsident Trump gelesen! Ich finde es schade, dass sich viele Menschen nur nach der veröffentlichten Meinung richten und weniger individuell die Fakten analysieren und deren Folgen berücksichtigen.
Sie sind auch Pilger des Jakobswegs, den Sie schon mehrmals zurückgelegt haben: Was treibt Sie an?
Das Für-sich-Sein, das Leben in der direkten Welt, weg von der medialen Welt. Ich gelange in einen Zustand des Nichtdenkens, das brauche ich!
Auf einer dieser Wanderungen kam Ihnen die Idee, ein Schloss zu kaufen, um das «an sich wertlose Geld» sinnvoll einzusetzen.
Ist das Geld in den beiden Schlössern Ursellen bei Konolfingen und Wyl in Schlosswil nun sinnvoll eingesetzt? Schloss Ursellen konnte ich günstig erstehen, ich habe das Anwesen aber in vielen Jahren renoviert. Ursellen ist mein Zuhause, unsere Familie stammt aus Gysenstein. Beim Schloss Wyl war es ein teurer Entscheid! (lacht) Ich habe das Schloss vom Kanton Bern erworben, restauriert und in eine Stiftung überführt. Nun stelle ich es der Öffentlichkeit für Besichtigungen und Anlässe zur Verfügung. Ich darf behaupten, dass mir alles ganz ordentlich gelungen ist.
Kann man ein Schloss überhaupt vernünftig unterhalten, ist es nicht ein Fass ohne Boden?
Das dauert sehr wohl seine Zeit, aber heute darf sich das Resultat sehen lassen, es hat sich gelohnt. Beim Schloss Wyl wurde ich von der Landeslotterie kräftig unterstützt, das ist super und ich bin sehr dankbar dafür.
Wie richtet man ein Schloss ein?
Es ist etwas, das mir liegt und auf Schloss Ursellen ist es mir gelungen, sich in die Zeit zu versetzen, wie es im 18. Jahrhundert gewesen sein könnte. Im Schloss Wyl habe ich versucht, jedem Raum ein bestimmtes historisches Ambiente zu verleihen, zum Beispiel Rokoko oder Renaissance. Grosse Antiquitäten dieser Epochen sind zurzeit günstig zu erwerben, was ein grosser Vorteil ist. Auch zeitgenössische Kunstwerke finden sich im Schloss Wyl, beispielsweise zahlreiche Werke von Ted Scapa, das beisst sich nicht mit der Einrichtung. Das Einrichten von Schlössern ist geradezu zu meiner Spezialität geworden; das ist es, was mich an diesen Gebäuden wirklich fasziniert hat. Vielleicht eröffne ich im nächsten Leben ein Büro für Schlosseinrichtungen. (lacht)
Zur bevorstehenden Buchvernissage erwarten Sie hundert Gäste. Nervös?
Ich habe schon einige Vernissagen «überlebt», die letzte war sehr erfolgreich mit meinem ersten Liebesroman «Ellen und This». Nein, nervös bin ich noch nicht – vielleicht kommts noch…
Peter Widmer