Baenz Friedli Live 2018 3561opt

«Manchmal frage ich mich: Muss ich überhaupt wieder raus?»

Sein künstlerisches Leben steht still: Wegen des Coronavirus darf Bänz Friedli derzeit seinem Beruf nicht nachgehen. Trotzdem kann der Berner der Krise auch Positives abgewinnen.

Wie geht es Ihnen?
Ich bin sehr heiter und gelassen. Das erstaunt mich selbst ein wenig. Ich erkläre es mir damit, dass ich in meinem Umkreis äusserst gut aufgehoben bin: Meine Frau, die beiden erwachsenen Kinder und ich essen zu viert Znacht und führen anregende Gespräche. Das haben wir in den letzten Jahren nur selten gemacht. Nur, eben: Ich kann meinen Beruf derzeit nicht ausüben. Aber noch habe ich keine finanzielle Panik.

Wirklich? Als Künstler ist man selbstständig und hat kein Anrecht auf Kurzarbeit.
Ich habe eine Art Grundvertrauen. Im Sinne von: Wir sind in der Schweiz und die Gesellschaft wird das schon auffangen. Als zuerst die Rede von 10 Milliarden Franken Soforthilfe war, dachte ich zwar: Moment, hat die UBS vor zwölf Jahren nicht 60 Milliarden erhalten? Und nun sollen alle Schweizer Gewerbler, Künstlerinnen und Künstler eingeschlossen, nur einen Sechstel davon «wert» sein? Immerhin wurde der Betrag ja mittlerweile aufgestockt.

Nochmals: kaum existenzielle Ängste?
Bis im August komme ich sicher durch. Ich sorge mich viel eher um die Floristin, den Sportladen und die chemische Reinigung im Quartier. Diese Kleinstunternehmen sind das Rückgrat unseres Landes. Klar reut es mich, dass ich wahrscheinlich meine Auftritte in der Cappella im Mai absagen muss. Dumm ist, dass just März bis Mai die Monate wären, in denen wir Geld für die auftrittsarme Zeit beiseitelegen. Es muss ja dann auch reichen, wenn ich ein halbes Jahr lang ein neues Programm vorbereite. Und ich muss Grafikerin, Fotografin, Druckerei und Webdesigner bezahlen. Wenn die Leute hören, wie viel Gage ein Büne Huber erhält, denken sie: Der muss ja steinreich sein! Aber er braucht ja auch etwas zum Leben, wenn er nicht auf Tour ist. Polo Hofer sagte jeweils, er verdiene «etwa so viel wie ein Gymlehrer». Bei mir ists eher wie eine Seklehrerin.

Sie wirken trotz allem sehr gefasst.
Ich mag diese gegenwärtige Ruhe, ja – und frage mich manchmal: Muss ich überhaupt wieder raus? Einsam bin ich nicht, es ist ja kein Social, sondern nur ein Physical Distancing.

Viele Künstler reagieren kreativ auf die Krise. Mario Capitanio etwa hat bereits zum zweiten Mal an einem Wochenende kleine Privatkonzerte in der Altstadt gegeben.
Davon habe ich viele Filmchen erhalten. Damit hat er viele Herzen berührt. Andererseits mag ich, bei allem Respekt, Chris von Rohr auf Instagram nicht beim Händewaschen zusehen. Ich jedenfalls möchte die Welt mit einer Überdosis von mir verschonen und nicht, wie Jovanotti, übrigens einer meiner Lieblingsmusiker, mit sieben oder mehr CoronaPosts pro Tag nerven.

Was tun Sie stattdessen?
Ich habe das Pech, dass jetzt gerade ein neues Buch von mir erscheint; aber die Läden sind zu, der Verlag kämpft ums Überleben. Nun werde ich via Social Media regelmässig ein Kapitel daraus vorlesen, da ich die Vernissage im Stauffacher und die geplanten Lesungen nicht abhalten kann.

Wie hoch schätzen Sie den Schaden für die Kulturszene ein?
Da ist zum einen die Veranstalterszene, die ihre Angestellten beschäftigen muss. Hinzu kommen wir Künstler plus sämtliche Personen, die im Eventbereich tätig sind. Nehmen Sie unsere kleine Agentur: Wir beschäftigen vier Frauen, ihr Lohn wird durch einen Teil unserer Gagen bezahlt. Nur kommt derzeit kein Geld rein. Kompliziert stellen sich zudem die Künstlerentschädigungen dar: Im Kanton Bern ist der Server mit dem entsprechenden Formular dauernd überlastet. Solothurn hat noch nicht einmal entschieden.

Trotz allem bleiben Sie stimmungsund hoffnungsvoll?
Ich bin weit weg davon zu sagen, das Universum wolle uns mit diesem Virus etwas mitteilen. Darin nun einen höheren Sinn zu suchen, ist komplett absurd. Bei den Islamisten im Bataclan schimpften wir, diese Menschen wollten unseren westlichen Lebensstil zerstören. Und wenn dieses Virus uns nun am Ausgehen hindert, soll das einen tieferen Sinn haben? Man kann die Krise höchstens als Chance nehmen. Ich habe gerade ein Buchprojekt, das seit zwanzig Jahren brachlag, mit riesiger Freude wieder aufgenommen.

Welche Frage wird Ihnen derzeit am häufigsten gestellt?
Ob mir der Applaus nicht fehle. Klar, der Auftritt im Bierhübeli im Februar war grandios. Aber ich werde nicht krank ohne Applaus. Das zu spüren, ist gut.

Welche Motivationstipps geben Sie jenen, die sich in einem Loch befinden?
Hmm … der Frühlingsputz ist wohl bei vielen schon erledigt – und wer immer mal eine Reise nach Alaska unternehmen wollte, hat grad Pech. Jede und jeder muss für sich herausfinden, wie sie mit der Situation umgehen können. Meine Empfehlung: Schreibt Karten! Ich finde fast jeden Tag Briefe in meinem Briefkasten. Deshalb: «Wosch e Brief, de schrib e Brief!»

Yves Schott

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge